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Sicherheit in Deutschland
Und wer schützt die Polizei?

Police patrol at the entrance of a fan zone in Dusseldorf, on June 14, 2024 during UEFA Euro 2024 opening football match between Germany and Scotland. (Photo by Kenzo TRIBOUILLARD / AFP)
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An manchen Polizeiautos in Deutschland hängt noch immer dieses schwarze Band. Ein Trauerflor für den Kollegen Rouven Laur, der am 31. Mai in Mannheim von einem mutmasslichen Islamisten mit einem Messer angegriffen wurde und zwei Tage später starb. Es gab Trauerfeiern, eine Gedenkminute im Deutschen Bundestag, und Kanzler Olaf Scholz bezeichnete Rouven Laur als «heldenhaft». Der Polizist habe «sein Leben eingesetzt für unsere Freiheit und unsere Sicherheit», sagte Scholz.

Der Tod von Rouven Laur hat Polizistinnen und Polizisten in ganz Deutschland schockiert. Ein Schock, der sie in einer ohnehin angespannten Lage getroffen hat. Beamte aus dem Streifendienst, aus Einsatzhundertschaften, von der Bundespolizei und vom Bundeskriminalamt klagen über gravierende Probleme: Sie seien überlastet, schlecht ausgerüstet und mit immer mehr Gewalt konfrontiert. Gerade erst hat Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul – eigentlich dafür bekannt, der Polizei immer Rückendeckung zu geben – 2300 Polizistinnen und Polizisten 12’650 Überstunden gestrichen, die nicht abgebaut werden konnten. Ohne Kompensation.

Propalästinensische Demos, Terrorgefahr, Fussball-EM

Die Arbeitsbedingungen sind also schwierig – und werden immer schwieriger, denn die Sicherheitslage in Deutschland verlangt Polizisten extrem viel ab. In den Grossstädten vergeht seit dem Terrorangriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober kein Wochenende ohne grosse Pro-Palästina-Demonstrationen, die häufig eskalieren. Dazu kommt die seit Monaten erhöhte Terrorgefahr. Und jetzt läuft mit der Fussball-Europameisterschaft auch noch ein Grossereignis, das in zehn deutschen Städten vier Wochen lang Zehntausende Polizeibeamte quasi im Dauereinsatz hält und die Bundespolizei mit Grenzkontrollen beschäftigt.

TOPSHOT - German anti-riot police officers and stewards stand in the grandstands next to Georgia's supporters ahead of the UEFA Euro 2024 Group F football match between Turkey and Georgia at the BVB Stadion in Dortmund on June 18, 2024. (Photo by INA FASSBENDER / AFP)

Auch bei der EM läuft vieles nicht friedlich ab. Allein am vergangenen Wochenende berichteten Polizisten von Warnemünde bis München von zahlreichen tätlichen Angriffen. Nach einer Massenschlägerei zwischen englischen und serbischen Fans am Sonntag in Gelsenkirchen vermeldet die Polizei nun mehrere Ermittlungserfolge, wie der deutsche Fernsehsender WDR am Donnerstag berichtete. Es seien insgesamt elf Straftäter identifiziert worden.

Rasant verbreiten sich die Bilder der Auseinandersetzung im Netz – zum Beispiel auf der Social-Media-Plattform X. Sie zeigen die gewaltsamen Szenen. Anhand solcher Videos ist es der Polizei gelungen, beteiligte Fans zu ermitteln. Einem Engländer wurde in Manchester direkt nach seiner Rückkehr der Reisepass abgenommen und ein dreijähriges Stadionverbot sowie ein Einreiseverbot in Deutschland erteilt.

Keine Messer mehr in Innenstädten

Trotz solcher Erfolge steigt die Zahl der Übergriffe auf Beamte immer weiter: Laut polizeilicher Kriminalstatistik wurden im vergangenen Jahr knapp 38’000 Beamte Opfer von tätlichen Angriffen, fast elf Prozent mehr als im Jahr zuvor.

Die Statistiken kennt auch Jochen Kopelke, Chef der Gewerkschaft der Polizei (GDP). «Die Gefahr, als Uniformträger zum Opfer zu werden, steigt», sagte er dieser Redaktion, «und die Verletzungen werden immer schwerer.» Kopelke findet, dass deshalb etwas passieren müsse.

Wobei natürlich schon etwas passiert, das weiss auch der GDP-Chef: Nach dem Mord an Rouven Laur in Mannheim Ende Mai hat Kanzler Scholz nicht nur angekündigt, Abschiebungen straffälliger Asylbewerber nach Afghanistan und Syrien zu ermöglichen – der mutmassliche Täter ist ein 25-jähriger Afghane. Scholz hat auch versprochen, Attacken auf Polizisten härter bestrafen zu lassen; ausserdem sollen in Innenstädten künftig mehr Zonen ausgewiesen werden, in denen keine Waffen wie etwa Messer getragen werden dürfen.

Falsch ist das aus Sicht der GDP, der mit mehr als 200’000 Mitgliedern mit Abstand grössten Polizeigewerkschaft, zwar nicht. Doch die Gewerkschafter sind überzeugt, dass Gesetzesverschärfungen und Waffenverbotszonen ihre Leute im Ernstfall nicht retten, weil sich längst nicht alle potenziellen Täter dadurch von Attacken auf Polizisten abhalten lassen. «Unser wirkliches Arbeitsfeld muss in den Fokus», sagt GDP-Chef Kopelke, «nicht das Strafgesetzbuch.»

Von Bundesland zu Bundesland verschieden

Deshalb fordert die Gewerkschaft höhere und bundesweit einheitliche Entschädigungen für Beamte, die bei der Arbeit schwer verletzt werden. Diese Entschädigungen unterscheiden sich von Bundesland zu Bundesland. Kopelke fordert 500’000 Euro für schwer verletzte Polizisten, Hinterbliebene von Todesopfern sollen 300’000 Euro erhalten. Die Beträge sollen ausserdem unabhängig vom Status gezahlt werden – egal also, ob ein Polizist schon länger im Dienst oder noch Beamter auf Probe ist.

Von einem «föderalen Flickenteppich» spricht Sebastian Fiedler, Bundestagsabgeordneter der SPD und im Hauptberuf Kriminalbeamter. «Ich fände es gut, wenn wir in Deutschland wieder zu einheitlichen Besoldungs- und Versorgungsstrukturen kämen», sagte Fiedler im Gespräch.

Angesichts der sich häufenden belastenden Einsätze verlangen die Gewerkschafter ausserdem, die Anerkennung von posttraumatischen Belastungsstörungen zu vereinfachen. Betroffene Beamten seien hierbei oft langwierigen bürokratischen Verfahren ausgesetzt. Kopelke setzt nun auf die Budgetberatungen im Bund und in den Bundesländern. «Dort wird sich zeigen, wie ernst es die Politik meint mit dem Schutz der Polizistinnen und Polizisten.»