Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Martin Schlegel
Der neue Nationalbank-Chef steht vor seiner ersten heiklen Entscheidung

Swiss National Bank's (SNB) Vice Chairman of the Governing Board Martin Schlegel speaks during a media briefing at the Swiss National Bank in Zurich, Switzerland, on Thursday, June 20, 2024. (KEYSTONE/Michael Buholzer).
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk
In Kürze:
  • Martin Schlegel steht vor seinem ersten Auftritt als Nationalbankpräsident.
  • Geht er geldpolitisch zu wenig aggressiv vor, droht der Franken stärker zu werden.
  • Zu entschiedenes Handeln bringt die Zinsen aber näher an die Nullmarke.

In der Geldpolitik braucht es Hirnschmalz. Man muss Hunderte von Datenreihen mit Tausenden von Datenpunkten auswerten, um treffende Wirtschaftsprognosen zu erstellen und passende Zinsentscheide abzuleiten.

Aber es braucht auch noch etwas anderes: ein gutes Händchen. Ein Gefühl dafür, wie stark man in einem gegebenen Moment am Rädchen drehen muss, damit Finanzmarkt und Wirtschaft die richtigen Impulse erhalten.

Thomas Jordan war ein Notenbankchef, der diese Gabe besass – und dazu einen guten Riecher: Unter ihm ging die Nationalbank im vergangenen März als weltweit erste Notenbank aus der Deckung und senkte die Zinsen.

Das machte in der Szene bleibenden Eindruck und erwies sich im Nachhinein als goldrichtig, nachdem im weiteren Jahresverlauf auch die restlichen Notenbanken umgeschwenkt und Schritt für Schritt die Geldpolitik gelockert hatten.

Vor zwei Monaten hat Jordan jedoch seinen Posten geräumt. Und Martin Schlegel, den er als Nachfolger aufgebaut hat, ist Nationalbankchef geworden.

Genauso wie sein Mentor hat der neue Präsident alle Voraussetzungen, um eine gute Geldpolitik zu führen. Er kann sich dabei auf einen erfahrenen Stab stützen, der ökonomische Modelle durchrechnet und das Direktorium berät.

Doch just anlässlich von Schlegels erster Pressekonferenz – an der er unter spezieller Beobachtung stehen wird – erweist sich der Beschluss, den er als Präsident verantwortet und öffentlich erklären muss, als besonders knifflig.

Zwei Optionen liegen auf dem Tisch

So gut wie sicher ist, dass die Nationalbank am Donnerstag eine weitere Zinssenkung bekannt geben wird. Das hat sie vor drei Monaten in Aussicht gestellt – und es ist undenkbar, dass sie dieser Ankündigung nicht Folge leisten wird. Ihre Glaubwürdigkeit am Finanzmarkt wäre sonst dahin.

Doch die grosse Frage ist, wie stark die Nationalbank den Leitzins senken soll. Seit März hat sie bereits drei Schritte um je einen Viertelprozentpunkt abwärts gemacht und damit den Zins von 1,75 auf 1 Prozent gedrückt.

Soll Schlegel einfach die Serie fortsetzen und den Leitzins um einen weiteren Viertelprozentpunkt senken? Oder soll er gleich einen halben Prozentpunkt nach unten gehen? Der Entscheid erfordert einiges an Fingerspitzengefühl.

Ein grosser Schritt, um ein Zeichen zu setzen

Denn am Markt hat sich bereits eine feste Erwartung gebildet: Anlegerinnen gehen davon aus, dass Notenbanken weltweit in den nächsten Monaten ihre Geldpolitik noch einmal deutlich lockern werden. Gründe dafür sind die flaue Konjunktur, speziell in der Eurozone, aber auch die fallenden Inflationsraten.

Auch die Nationalbank ist hiervon betroffen. Bereits im März soll ihr Leitzins nur noch gut 0,25 Prozent betragen, wird spekuliert. Und bis Mitte Jahr wird damit gerechnet, dass der Nationalbankenzins fast auf 0 Prozent fällt. Das würde bedeuten, dass die Nationalbank ihr Tempo verschärfen müsste: Sie müsste irgendwann einen grösseren Zinsschritt als zuletzt üblich vornehmen.

Karsten Junius, Chefökonom bei der Bank J. Safra Sarasin, findet, dass jetzt der richtige Moment dafür wäre. «Martin Schlegel sollte an der kommenden Sitzung ein Ausrufezeichen setzen», sagt er. «Mit einer Zinssenkung um 0,5 Prozentpunkte könnte er ein starkes Signal aussenden, dass die Nationalbank bereit ist, den Wettlauf der Zinsen nach unten mitzumachen und dafür zu sorgen, dass der Franken als Anlagewährung nicht zu attraktiv wird.»

Begnüge sich die Nationalbank hingegen mit einem kleinen Zinsschritt, so bestünde laut Junius die Gefahr, dass der Franken an Attraktivität gewinnen würde. Das käme der Exportwirtschaft allerdings ungelegen, da die Schweizer Währung gegenüber Vergleichswährungen wie dem Euro bereits jetzt eher stark ist. Eine weitere Aufwertung würde besonders Unternehmen aus der Maschinen- und Elektroindustrie treffen, aber auch die Uhrenbranche. Sie leiden schon heute unter der schwachen Nachfrage aus den Euroländern.

Laut Junius wäre ein grosser Zinsschritt aber auch binnenwirtschaftlich gerechtfertigt. «Die generellen Aussichten haben sich verschlechtert», sagt er. «Unternehmen haben über die vergangenen Quartale hinweg nur wenig Investitionen getätigt, der Arbeitsmarkt verschlechtert sich zusehends, und insgesamt wächst die Wirtschaft langsamer, als sie es potenziell könnte.»

Ein kleiner Schritt, um Pulver zu sparen

Anders sieht das Thomas Stucki, Anlagechef bei der St. Galler Kantonalbank. «Martin Schlegel sollte jetzt nichts überstürzen», sagt er. «Wenn die Nationalbank jetzt die Zinsen um 0,5 Prozentpunkte senkt, so schürt sie am Finanzmarkt noch grössere Erwartungen. Dann werden Anleger davon ausgehen, dass die Zinsen nächstes Jahr sogar unter 0 Prozent fallen.»

Leitzinsen im Minusbereich sind ein Thema, zu dem sich die Nationalbank bereits geäussert hat. Niemand liebe Negativzinsen, sagte Martin Schlegel kürzlich an einer Konferenz in Zürich, auch die Nationalbank liebe sie nicht. «Doch wir sind bereit, sie zu implementieren, falls es sich als nötig erweist.»

Laut Thomas Stucki wäre es aber unklug, zu schnell in diese Richtung zu gehen. «Besser ist, wenn die Nationalbank erst mal einen kleinen Schritt macht», sagt er, «so behält sie mehr Handlungsspielraum für später.»

Über die Geschäftslage der Exportindustrie ist zwar auch Stucki besorgt. Doch er glaubt, dass tiefere Zinsen den Unternehmen nicht gross helfen würden. Denn erstens lasse sich der Frankenkurs damit nur kurzfristig beeinflussen, und zweitens sei dieser gar nicht das Hauptproblem. «Es fehlt schlicht an Aufträgen aus Absatzmärkten wie Deutschland, die tief in der Krise stecken.»

Wählt die Nationalbank den Mittelweg?

Auf wessen Argumente der Nationalbankchef hört, weist sich schon morgen. Gemäss den Wetten am Finanzmarkt ist die Angelegenheit völlig offen: Die Chancen stehen fünfzig-fünfzig für eine kleine und eine grosse Zinssenkung.

Gut möglich, dass Schlegel den Mittelweg wählt. Und es vorerst bei einer Senkung um 0,25 Prozentpunkte belässt – mit dem expliziten Hinweis darauf, dass die Nationalbank künftig noch weitere Zinssenkungen vornehmen wird.

Genau so hatten es Thomas Jordan und er schon vor drei Monaten gemacht. Und genau so würde das wohl noch ein weiteres Mal funktionieren – ohne dass dabei die Märkte zu stark in die eine oder die andere Richtung ausschlagen. Mal sehen, ob der neue Nationalbankchef das gleich auf Anhieb hinkriegt.