Skigebiet Adelboden-LenkEin Arbeitstag am Bügellift: «Es ist ein bisschen wie fernsehen»
Wie ist es, an einem Skilift zu arbeiten? Ein Besuch bei Sandra Meier an der Lenk – und ein Selbstversuch im «Bügeln».

- Sandra Meier betreut seit sechs Saisons den Bügellift Balmen am Betelberg.
- Sie gehört zu den 84 Saisonangestellten der Bergbahnen Adelboden-Lenk.
- Morgens erledigt Meier zusätzliche Aufgaben, bevor der Liftbetrieb startet.
- Ihr Job am Lift erfordert hohe Aufmerksamkeit, besonders bei den Anfängern.
«Das ist der schönste Moment des Tages», sagt Sandra Meier, als wir um 7.45 Uhr aus der Gondelstation treten. Wir blicken über die menschenleere, frisch präparierte Piste, hinter den Berggipfeln im Osten verfärbt sich der Himmel langsam von Dunkelblau zu Pastellrosa.
Die Ruhe, die hier noch herrscht, wird bald vom emsigen Treiben des Skibetriebs abgelöst. Wir befinden uns bei der Mittelstation der Gondelbahn am Betelberg im Berner Oberland.
Sandra Meier ist Saisonnière bei den Bergbahnen Adelboden-Lenk. Sie betreut den Bügellift Balmen, einen anfängerfreundlichen Lift im unteren Teil des Skigebiets. Meier erlebt dort unzählige erste Liftfahrten mit, verlangsamt das Tempo, wenn die Nervosität der kleinen oder grösseren Anfängerinnen und Anfänger zu gross ist, und redet jenen gut zu, denen das Anbügeln nicht auf Anhieb gelingt.
Im Winter verstärken 84 Saisonmitarbeitende das Bergbahn-Team
In der Mittelstation hinter uns herrscht bereits reger Betrieb, Lastengondeln werden entladen, Paletten voller Lebensmittel und Verbrauchsmaterialien auf Trolleys mit Raupenantrieb umgestapelt. Die Zeit bis zum offiziellen Betriebsbeginn ist eng getaktet.
Sandra Meier bleibt entsprechend nur wenig Zeit, um die morgendliche Bergruhe zu geniessen. Bevor sie ihren Lift für den Tag vorbereiten kann, hat sie noch eine Handvoll andere Aufgaben zu erledigen.
Sie hilft etwa ihrem Kollegen beim Ausgaragieren der 128 Gondeln, von denen die meisten manuell ins System eingefädelt werden müssen. Meier stemmt sich mit ihrem ganzen Gewicht gegen einen Konvoi von sechs Gondeln, die sich langsam in Bewegung setzen und weiter vorne von ihrem Kollegen dann eine nach der anderen zum Transportseil geschickt werden. «Hier komme ich immer schon zum ersten Mal ins Schwitzen», sagt sie.

Meier ist eine von 84 Bahnmitarbeitenden, die das ganzjährig angestellte Team der Bergbahnen Adelboden-Lenk während der Wintermonate verstärken. Für gut drei Monate wächst der Betrieb so jedes Jahr von 50 auf knapp 140 Angestellte, die allein an den Gondel- und Sesselbahnen sowie an den Skiliften arbeiten. Die 50-Jährige ist eine von insgesamt zehn Frauen im Bahnbetrieb.
Um Punkt neun Uhr Betriebsbeginn
Bald schon kommen zwei Kollegen zur Ablösung, sie sind mit der späteren Dienstgondel eingetroffen. Bis zum Betriebsbeginn am Bügellift sind es noch 50 Minuten. Wir steigen in die Skibindung und ziehen die allerersten Spuren auf der frisch präparierten Piste.

Doch noch bevor wir uns an das wohlige Rattern unter den Skiern gewöhnen, erreichen wir schon Meiers Arbeitsplatz: die Talstation des Bügellifts Balmen. Hier stellen wir zuerst die Absperrungen rund um die Lifteinfahrt wieder auf. Wie alle nicht fix installierten Signalisierungen werden diese abends weggeräumt, damit die Pistenfahrzeuge freie Fahrt haben.
Mit einem Akkubohrer bohrt Meier die Löcher in der Pistenunterlage vor, um dann Eisenstäbe und Holzpfähle zu platzieren. «Dieser Bohrer ist das Beste», sagt sie lachend und lässt den überdimensionierten Bohraufsatz surrend in der pickelharten Pistenunterlage verschwinden.

Es ist mittlerweile 8.40 Uhr. Höchste Zeit für die Kontrollfahrt auf dem Lift. Unterwegs fällt uns auf, dass der Bügel mit der Nummer 21 nicht ganz bis zum Anschlag in seiner Halterung sitzt. «Das ist gefährlich, dann schleudert es ihn unkontrolliert um das Antriebsrad bei der Talstation», sagt Meier mit alarmiertem Blick und zückt sogleich das Handy, um einen Kollegen aus der Mittelstation mit entsprechendem Werkzeug zu rufen.
Fünf Minuten vor Betriebsbeginn sind wir schliesslich startbereit zurück am Lift. Der Kollege schraubt gerade noch den fehlerhaften Bügel ab. So stressfrei sei die Morgenroutine nur bei idealen Wetterbedingungen, sagt Meier. Hätte es geschneit oder geweht, hätte man noch Schnee schaufeln und Treppen frei räumen müssen.
Sandra Meier ist eine «Wiederkehrende»
Pünktlich um 9 Uhr kommen die ersten Skigäste. Und genauso pünktlich klettert die Sonne über den Horizont. «Es wird ein Top-Skitag», sagt Sandra Meier und schickt die frühen Gäste mit einem Lächeln den Berg hoch. Sie rechnet mit einem Grossandrang, jetzt, wo in der ganzen Schweiz Sportferien sind. Am Vortag habe sie auf ihrem Lift 3500 Fahrten gezählt, das seien mehr als doppelt so viele wie an einem durchschnittlichen Tag.
«Ihr» Lift: Sandra Meier betreibt den Bügellift Balmen schon die sechste Saison. Sie ist wie viele andere Saisonangestellte eine «Wiederkehrende». Die Bergbahnen Adelboden-Lenk teilen mit, dass von den 84 Temporären dieses Jahr 72 bereits in vorangehenden Saisons aktiv waren. Viele von ihnen kommen aus der Region, arbeiten in Jobs, die im Winter weniger aufwendig sind, etwa in der Landwirtschaft oder im Baugewerbe.

Sandra Meier lebt eigentlich im Seeland. Sie führt seit elf Jahren eine Motorbootschule am Murtensee. Die Saison dort beginnt im März und endet im Herbst. In den ersten Wintern habe sie jeweils irgendwo im Verkauf gearbeitet, erzählt sie. «Aber das machte mich unglücklich. Ich muss draussen sein können.»
Irgendwann kam ihr die Idee, in einem Skigebiet anzuheuern. Seither hat sie sich jeden Herbst von neuem für eine Saison am Bügellift entschieden. Ihr gefalle aber die Freiheit, in einem anderen Winter vielleicht auch mal etwas anderes machen zu können, sagt Meier. Sie lebt den Winter über jeweils in einer Studiowohnung an der Lenk.
An einem schönen Tag «räblets»
Die Arbeit am Bügellift schätzt Meier, weil sie eigenständig und trotzdem immer mit Menschen in Kontakt ist. Wenn das Wetter mal nicht so gut sei, arrangiere man sich. «Dann ist viel weniger los, und man sitzt halt öfter im geheizten Häuschen.» Aber an einem Tag wie diesem, «da räblets», so Meier.


Das kann man wohl so sagen. Ab Betriebsbeginn ist am Lift Hochbetrieb. Scharenweise Skischulen, Familien und Skilager tummeln sich auf der blauen Piste und kehren immer wieder an den Balmen zurück. Schon nach einer halben Stunde kommt einem die Hälfte der Gesichter, beziehungsweise der Kombination von Skikleidern und -helmen, bekannt vor.
Stress angesichts der vielen wartenden Gäste hat Sandra Meier keinen. Das strahlt sie auch aus – sie ist die Ruhe selbst, während die wartende Menschentraube zeitweise bis in die Pistenmitte anwächst. «Der Lift fährt halt einfach so schnell, wie er fährt.»
Und zwischendurch bleibt er auch immer mal wieder stehen: Meier und ihr Kollege oben am Liftende drücken den roten Knopf, wenn beim An- oder Abbügeln etwas schiefgeht. Am liebsten lasse sie die Person sich jeweils selbst aus der Situation helfen, sagt Meier. «Aber es soll ja niemand ein Lifttrauma erleiden», fügt sie lachend an. «Und wenn es zu lange dauert, greifen wir auch ein. Der Lift soll ja so rasch wie möglich wieder fahren.»
Ein Selbstversuch der Redaktorin
Apropos fahren: Die Redaktorin versucht sich selber als Liftmitarbeiterin und löst Sandra Meier während der vormittäglichen Rushhour für eine Weile ab.
Während die Schreibende die ersten Gäste erfolgreich den Berg hochschickt, sieht sie im Augenwinkel, wie eine Skilehrerin ihre Gruppe Kleinkinder auf die erste Bügelliftfahrt vorbereitet, indem sie sie auf einer Bügelattrappe hinter sich herzieht. Vor ihrem inneren Auge sieht die Redaktorin schon haufenweise Kinder zu Fall gehen, bevor sie überhaupt richtig angefangen hat mit «Bügle».
Dieses Szenario tritt zum Glück nicht ein. Aber die Gäste an die richtige Position einweisen, die dahinter Wartenden warnen, wenn sie zu nahe aufschliessen und vom heranrauschenden Bügel getroffen werden könnten, den Bügel in der richtigen Höhe und Position bei Gross und Klein auf Ski und Snowboards platzieren, ohne dabei jede zweite Person ungewollt zu begrapschen – und gleichzeitig auch noch auf möglichst jedes freundliche «Merci» reagieren, von denen es viele gibt: Monoton ist das mitnichten. Eher ziemlich anstrengend.

Denn egal was sich am Fusse des Bügellifts gerade ereignet: Der Lift gibt den Takt vor. Und wenn die Wartenden mal nicht parat sind, gehört es auch dazu, einen Bügel aus der Schusslinie zu ziehen, damit niemand einen Schlag an den Hinterkopf oder eine zerrissene Jacke riskiert. Die Schreibende ist froh, den Profi Sandra Meier neben sich zu haben, damit sie sich nicht gleichzeitig auch noch um die Bedienung des Stopp- und des Startknopfs und die Temporegulierung kümmern muss.
Am Mittag wird der Arbeitsplatz getauscht
Als wir um 11 Uhr für die Mittagspause abgelöst werden, ist die Redaktorin erschöpft. Sandra Meier hat dafür ein mildes Lächeln übrig. Der Nachmittag werde weniger anstrengend. Am Mittag tauschen die beiden Bügelliftmitarbeitenden jeweils ihren Arbeitsplatz, sodass wir die zweite Hälfte dieses Tages oben am Bügellift verbringen.
Tatsächlich ist dort weniger aktive, körperliche Arbeit gefordert. Aber ein wachsames Auge. «Beim Abbügeln passieren viel öfter Missgeschicke als unten am Lift», so Meier. Dann stoppt sie den Lift und wartet, bis der Bereich zum Abbügeln wieder frei ist. Nachdem sie vormittags lange auf den Beinen gewesen ist, setzt sie sich hierfür nachmittags jeweils gerne in die kleine Holzkabine.
Den Blick immer auf die eintreffenden Liftfahrenden
An diesem Nachmittag stehen wir eine ziemliche Weile draussen und beobachten die bisweilen abenteuerlichen Techniken des Abbügelns. «Es ist ein bisschen wie fernsehen hier», witzelt Sandra Meier.

Während wir so am Reden sind – den Blick immer auf die eintreffenden Liftfahrenden gerichtet –, kommt ein Junge allein auf dem Bügel oben an und lässt ihn sichtlich verkrampft nicht los. Sandra Meier drückt den Stoppknopf, aber der Bub fährt mit Schuss direkt auf uns zu und kommt, nachdem wir einen Sprung zur Seite gemacht haben, mit den Skispitzen in einem Schneehaufen zwischen uns zum Stehen. Der Bügel rattert wenig neben unseren Köpfen vorbei, zurück in seine Halterung. «Das nächste Mal lässt du den Bügel früher los, isch guet?», sagt Meier in einer Seelenruhe zu ihm, während sie ihn sachte zurück auf die Piste schiebt und der Schreibenden mit einem milden Lächeln zuzwinkert.
Bis zum Betriebsende wird Meier den Stoppknopf noch einige Male betätigen. Und wenn dann die allerletzten Gäste um 16 Uhr abgebügelt haben, wird sie nochmals hier und dort einen Handgriff tun, um das Skigebiet für seine kurze Nachtruhe vorzubereiten, die erst eintreffen wird, wenn die Pistenfahrzeuge ihre Runden gefahren sind.
Fehler gefunden?Jetzt melden.