Grosse Schweizer Ski-HoffnungWegen ihr vergisst Lara Gut-Behrami ihre Prinzipien
Als Kind hatte Malorie Blanc so starkes Heimweh, dass sie fast krank wurde. Mittlerweile 21, ist sie die Aufsteigerin im Frauenteam – und verblüfft mit ihrer kuriosen Rennvorbereitung.
Im Februar 2008 rast Lara Gut in St. Moritz aufs Podest, in ihrer ersten Weltcup-Abfahrt stürzt sie durchs Ziel und wird Dritte. Die Skiwelt scheint ihr offen zu stehen – über zwei, drei Umwege hat sie diese längst erobert.
17 Jahre später in St. Anton ereignet sich ähnlich Sensationelles, nun jubelt Malorie Blanc nach Platz 2, auch bei ihr ist es die erste Abfahrt im Weltcup. Wieder dicke Schlagzeilen, wieder euphorische Prognosen. Und wenn sich die Geschichte nicht wiederholt, aber zumindest reimt, dann steht der Walliserin eine schöne Karriere bevor.
Nun ja, der Vergleich mit Gut-Behrami mag hinken, nur schon wegen des Altersunterschieds bei der Podestpremiere. War die Tessinerin erst 16 und eine Ausnahmeerscheinung, ist Blanc Anfang Jahr 21 geworden. Und doch wird von ihr nicht minder geschwärmt, und es ist sogar Gut-Behrami selbst, die sie mit Lob eindeckt. Vor ein paar Wochen sagt sie: «Es ist schön, zu sehen, wie Malo die Rennen vorbereitet und sich aufs Skifahren konzentriert. Sie ist sehr ruhig, schaut nicht gross nach links und rechts, das schätze ich sehr. Sie ist ein ausserordentliches Talent.»
Sie spürte etwas Angst
Das Lob von der Gesamtweltcup-Siegerin bedeute ihr viel, sagt Blanc, «es hat mich berührt». Sie habe noch nicht viele Möglichkeiten gehabt, länger mit ihrer Teamkollegin zu sprechen, «Lara zieht sich während der Weltcup-Wochenenden eher zurück und bleibt ein wenig für sich, aber ich werde mich sicher noch bei ihr bedanken». An und für sich war es ja eine spezielle Aussage Gut-Behramis, was auch Blanc so sieht. «Lara spricht in der Öffentlichkeit eher selten über ihre Teamkolleginnen und auch nicht so positiv. Darum bedeutet das schon etwas.»
Vielleicht passt das Timing ja ganz gut: Wenn Gut-Behrami in gut einem Jahr womöglich abtritt von der Ski-Bühne, könnte Blanc bereitstehen, um zumindest mit ein paar Zehen in die riesigen Fussstapfen zu treten. Vergangene Saison holte sie an der Junioren-WM Gold im Super-G und in der Teamkombination, dazu Silber in der Abfahrt; sie gilt als gute Gleiterin, die aber auch technisch bereits erstaunlich entwickelt ist. Eine Strahlefrau sei sie, die viel Positivität vermittle, sagt der Schweizer Cheftrainer Beat Tschuor, eine Athletin aber auch, die bereits eins auf den Deckel gekriegt habe.
Eine Woche nach den Nachwuchs-Titelkämpfen in Frankreich ging bei Blanc das Kreuzband kaputt, Dämpfer statt Debüt im Weltcup also, Krücken statt Kennenlernen der wichtigsten Pisten. Bei ihrer Rückkehr ein paar Monate später spürte sie etwas Angst, doch diese verflüchtigte sich rasch – kein Wunder bei ihrem Charakter als Draufgängerin.
Dass sie es nun bei erster Gelegenheit an die WM geschafft habe, sei «megageil», sagt Blanc, die bereits am Donnerstag im Super-G starten darf, sich aber weder Ziele setzt, noch nervös ist. «Nervös war ich nur beim Packen, weil ich befürchtete, alles Wichtige zu vergessen.»
Die Gedanken ans Aufhören
Dass es Blanc so früh so weit gebracht hat, war bei allem Talent nicht zwingend abzusehen. Mehrmals überlegte sie, ob sie nicht doch lieber alles hinschmeissen sollte. Mit 11, 12 Jahren, während der Trainingscamps in Zermatt, spürte sie extremes Heimweh und weinte oft, «es war der Horror, ich wurde deswegen fast krank», sagt sie. Auch bei den Wechseln von der einen in die nächsthöhere Trainingsgruppe dachte Blanc immer wieder ans Aufhören, zumal sie andere Interessen hatte, etwa die Leichtathletik, Tennis, Windsurfen.
Und die talentierte Zeichnerin hätte sich auch eine künstlerische Laufbahn vorstellen können: Selbst kurz vor dem Start eines Rennens greift sie noch zum Stift, in St. Moritz etwa zeichnete sie im Aufwärmzelt einige Wahrzeichen des Nobelskiortes nach – die Gegnerinnen staunten nur. Blanc mag das Zeichnen von Architektur, «es ist eine Art der Meditation für mich», sagt sie. Womöglich wird sie sich dereinst doch noch für ein Kunststudium einschreiben.
Das kann, nein, muss vorerst aber warten. Das plötzliche Interesse an ihrer Person, verbunden mit den vielen neuen Followern, sei gerade ziemlich seltsam, sagt Blanc, die ihrerseits Aksel Svindal anhimmelte. Als kleines Mädchen sparte sie 10- und 20-Rappen-Münzen, um dem Norweger einen Brief zu schreiben und ihm für seine Erfolge zu gratulieren. «Er antwortete sogar und schickte mir eine Autogrammkarte», sagt Blanc. «Er ist mein Held.»
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