Interview mit Simon Stocker«Ich akzeptiere das Urteil. Aber das heisst nicht, dass ich es verstehe»
Das Bundesgericht hat ihn als Schaffhauser Ständerat abgesetzt. Jetzt äussert sich Stocker: Er tritt nochmals an – und ist überzeugt, auch die Neuwahlen zu gewinnen.

Das Bundesgericht entzieht Simon Stocker sein Amt als Schaffhauser Ständerat – per sofort. Er habe zur Zeit seiner Wahl mehr Zeit bei seiner Familie in Zürich verbracht als in Schaffhausen. Damit erfülle er die kantonalen Bestimmungen der Wohnsitzpflicht nicht.
Nun äussert sich Simon Stocker selbst im Interview.
Herr Stocker, Sie haben Ihren Sitz im Ständerat per sofort verloren. Nun stehen Sie von einem Tag auf den anderen ohne Amt da. Was löst das in Ihnen aus?
Einerseits ist es ein Schock für mich. Niemand – mich eingeschlossen – hat mit einem solchen Urteil gerechnet. Andererseits ist es auch eine Entlastung. Ich habe die Warterei der letzten eineinhalb Jahre viel schlimmer gefunden. Das war sehr belastend, und das ist jetzt weg.
Das Bundesgericht kam zum Schluss, dass Ihr zivilrechtlicher Wohnsitz in Zürich ist, weil Ihre Frau und Ihr Kind dort leben und Sie viel Zeit dort verbringen. Können Sie das nachvollziehen?
Ich akzeptiere das Urteil. Aber das heisst nicht, dass ich es verstehe. Für mich basiert es auf einem Familienbild, das veraltet ist. Ich finde, ein Ehepaar sollte getrennte Wohnsitze haben dürfen. Das wird uns abgesprochen. Damit habe ich Mühe.
Nun muss der Kanton Schaffhausen Neuwahlen ansetzen. Treten Sie wieder an?
Der neue Wahltermin ist bereits auf den 29. Juni angesetzt worden. Und ich trete nochmals an. Ich bin bereits im Wahlkampfmodus – mit einem unglaublichen Team. Die ersten Sitzungen sind bereits erfolgt, und wir wollen nun loslegen. Ich spüre in Schaffhausen und in meinem Umfeld eine grosse Empörung über das Urteil. Ich habe Dutzende von SMS erhalten. Die Leute finden: Das darf doch nicht wahr sein.
Glauben Sie, dass Ihre Wähler Ihnen erneut die Stimme geben werden, obwohl Sie vor den Wahlen nicht transparent darüber gesprochen haben, dass Sie die meiste Zeit in Zürich verbringen?
Ich war immer transparent. Ich habe nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass meine Frau unter der Woche aus beruflichen Gründen in Zürich ist. Alle, die mich gefragt haben, haben es gewusst. Die Schaffhauser und Schaffhauserinnen wissen, was ich kann und was ich für die Region gemacht habe. Ich bin seit 22 Jahren politisch tätig.
Sie waren im Schaffhauser Stimmregister eingetragen. Aber hatten Sie auch eine Wohnung im Kanton?
Eigentlich wollten meine Frau und ich nach Schaffhausen ziehen. Mein soziales Umfeld, die Kinderbetreuung und meine Freunde sind hier. Doch meine Frau hat einen Job gefunden im Museumsbereich im Kanton Aargau. Deshalb wohnte ich in einer Wohnung in Schaffhausen, während meine Frau von Montag bis Donnerstag weiterhin in Zürich lebte und von Donnerstag bis Sonntag nach Schaffhausen kam. Wir haben in Schaffhausen auch ein Haus gesucht und gewartet, bis wir eines fanden. Deshalb haben wir am Meldestatus nichts geändert. Wir haben uns hierbei schlicht nichts überlegt.
Wollen Sie erneut als Ständerat kandidieren, muss Ihre Frau nach Schaffhausen ziehen. Kriegen Sie das zeitlich hin?
Meine Frau ist weiterhin im Museum angestellt und braucht die Wohnung in Zürich, um den Job zu behalten. Das gilt noch bis zum Sommer, dann kommt unser Sohn hier in den Kindergarten. Wir leben in Schaffhausen. Hier haben wir zwar kein Haus gefunden, aber eine zweistöckige Altstadtwohnung. Diese haben wir bezogen, und meine Frau hat sich hier angemeldet. Wir müssen also gar nichts mehr ändern.
Fühlen Sie sich strenger behandelt als andere?
Mit Blick auf das Bundesparlament sind wir nicht die Einzigen. Der Unterschied ist einfach, dass die anderen nicht verheiratet sind. Darum interessiert es niemanden. Warum wir als Verheiratete im Unrecht sind, ist für mich schwer nachvollziehbar.
Werden Sie versuchen, das Urteil vor dem Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg anzufechten?
Nein. Ich akzeptiere das Bundesgerichtsurteil und erwäge keine Anfechtung.
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