Vorwurf der «Teilzeit-Zürcherin»Tiana Mosers Privatleben wird zur Wahlkampfzone
Anonyme Stimmen konstruieren aus der Familiensituation der Grünliberalen ein Argument gegen ihre Wahl in den Ständerat. In Mosers Wohnquartier findet man die Vorwürfe «grotesk».
Selbst im Zeitalter der Patchworkfamilien sind die Verhältnisse beim Politikerpaar Tiana Angelina Moser und Matthias Aebischer aussergewöhnlich. Die Zürcher GLP-Nationalrätin und der Berner SP-Nationalrat und ihre vielköpfige Kinderschar verteilen das Familienleben auf zwei Wohnsitze.
Aebischer hat zwei erwachsene und eine Teenager-Tochter aus einer früheren Beziehung. Moser hat drei Söhne. Diese sind ebenfalls Teenager und stammen auch aus einer früheren Beziehung. Dazu kommt die gemeinsame, vierjährige Tochter.
Aebischer, der sich für das SP-Bundesratsticket bewirbt, wohnt im Marziliquartier im Zentrum der Stadt Bern. Moser, die im zweiten Wahlgang Zürcher Ständerätin werden will, lebt im Stadtzürcher Aussenquartier Witikon. Sie ist aber als Nationalrätin häufig in Bern anzutreffen.
«Der Wirtschaftskanton braucht keine Teilzeit-Zürcherin, sondern einen Vollzeit-Ständerat.»
Ihr Konkurrent um den Zürcher Ständeratssitz ist SVP-Nationalrat Gregor Rutz. Die Wahl könnte äusserst knapp ausfallen: Moser könnte als Grünliberale für den bürgerlichen Ständeratssitz bis weit ins Mitte-rechts-Lager Stimmen erhalten. Dort fühlen sich viele von Rutz nicht vertreten. Denn er politisiert hart am rechten Rand der SVP.
Vor diesem Hintergrund hat die SVP-nahe «Weltwoche» die Frage aufgeworfen, ob Moser angesichts dieser komplizierten Familienkonstellation den Kanton Zürich eigentlich im Ständerat vertreten könne.
Das Wochenblatt zitiert anonyme Stimmen und schreibt, bei Moser stehe Zürich drauf, aber stecke Bern drin. «Der Wirtschaftskanton braucht jedoch keine Teilzeit-Zürcherin, sondern einen Vollzeit-Ständerat.» Das macht in den Augen der «Weltwoche» Rutz zum einzig wählbaren Kandidaten.
Damit ist das Privatleben Mosers zur Wahlkampfzone geworden.
Ein Paar, aber kein Ehepaar
«Ich habe nichts zu verstecken», sagt Moser und erklärt, wie sie ihr Familienleben organisiert. Dazu muss man wissen, dass Moser und Aebischer zwar ein Paar sind, aber kein Ehepaar.
Das bedeutet, dass die beiden weder einen gemeinsamen Familienwohnsitz haben müssen noch gemeinsam besteuert werden. Laut Moser zahlt sie ihre Steuern in Zürich, Aebischer seine in Bern.
Während der Sessionen des Parlaments, also etwa zwölf Wochen im Jahr, wohnt Moser zwar primär in Bern. Wie alle Mitglieder des Parlaments. Aber während der übrigen Zeit ist sie nur von Montag bis Dienstagmittag in der Bundesstadt. «Auf diese anderthalb Tage lege ich meine Sitzungen in Bern», sagt Moser. «Die restliche Zeit verbringe ich in Zürich.»
Am Wochenende sei die Familie, wie die meisten anderen, «irgendwo» anzutreffen: in den Bergen, im Zoo oder im Schwimmbad. Grosseltern der Kinder, die Ex-Partnerin von Aebischer und der Ex-Partner von Moser übernehmen zudem Betreuungsdienste. «Wir unterstützen einander und sind hervorragend organisiert», bekräftigt Moser.
«Ich kenne wenig Mütter, die so präsent sind wie Tiana Moser.»
Ab Dienstagmittag lebt Moser also jeweils in Zürich. Dort gehen ihre drei Söhne im Alter zwischen 12 und 14 Jahren auch zur Schule. Zwei spielen bei den Junioren im FC Witikon.
In Witikon stösst der Verdacht der «Weltwoche», Tiana Moser sei nur eine halbe Zürcherin, auf Empörung: «Ich habe mich fürchterlich genervt», sagt Quartierbewohnerin Olivia Knutti, «der Vorwurf ist grotesk.» Ihre beiden Söhne sind mit zwei der drei Moser-Buben befreundet. «Ich kenne wenig Mütter, die so präsent sind wie Tiana Moser.»
Auf dem Fussballplatz und an Elternabenden
Die Nationalrätin sei am Samstag und Sonntag häufig am Rand des Fussballplatzes anzutreffen. Auch an Elternabenden nehme sie teil. «Klar, sie nimmt ihren Job in der Politik sehr ernst, das merkt man», sagt Knutti. Aber Moser sei ein Organisationstalent: «Man hat das Gefühl, ihr Tag hat mehr als 24 Stunden.»
Ähnlich äussern sich weitere Personen in Mosers Umfeld in Witikon, die nicht namentlich genannt sein wollen. Balz Bürgisser, der Quartiervereinspräsident, hat Moser Mitte September am «Dorfmärt» zuletzt gesehen. Und er erinnert sich an ihre 1.-August-Rede, die sie vor ein paar Jahren auf seine Einladung hin in Witikon gehalten hat: «Es war eine gute Rede, 400 Personen sind gekommen.»
In Zürich-Witikon gilt Tiana Moser nicht als Teilzeit-Zürcherin.
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