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Videospiel-Sensation «Baldur’s Gate 3»
Schäferstündchen mit Ork und Trollfrau 

Kein Spielverlauf ist bei «Baldur’s Gate 3» gleich wie der andere – mit jeder Entscheidung tun sich neue Varianten auf. 

Der Zwergenkrieger mit dem Rauschebart hatte sich viel für den Nachmittag vorgenommen. Mit seinen Mitstreitern wollte er die Goblinfestung stürmen. Stattdessen aber dressierte er zwei tanzende Ratten, überlebte nur knapp eine Augenoperation und fiel schliesslich berauscht von Waldpilzen in einen mit Kot gefüllten See – ein typischer Spieldurchlauf in der Welt von «Baldur’s Gate 3», das Anfang August einen sensationell erfolgreichen Verkaufsstart hatte. Gamer äussern sich im Netz überschwänglich, aus Gründen, die man vielleicht erst mal erklären müsste: Hier könne man Ratten aufheben, schrieb einer, in Grossbuchstaben, offenbar begeistert. Ein anderer: «Ich kann Eichhörnchen treten ... Spiel des Jahres.»

Bei Computer-Rollenspielen geht es darum, eine individuelle Figur zu erstellen und sie im Spielverlauf immer stärker zu machen. «Baldur’s Gate 3» allerdings ist ein Rollenspiel im ursprünglichen Wortsinn: Man schlüpft wirklich in eine Rolle und spielt sie aus – egal wie bizarr. Vom Tafelrundenritter mit Lockenhaar, Barden mit Elfenohren bis zum tölpelhaften Magier-Praktikanten ist alles denk- und spielbar, je nach individueller Gestaltung der Spielfigur. Sogar die Geschlechtsteile sind frei wählbar, unabhängig vom Geschlecht. Die bekommt man auch zu Gesicht, weil sich die Kleidung beim Erstellen der Figur auf Wunsch ausblenden lässt. «Baldur’s Gate 3», das merkt man schnell, geht ein paar interessante Schritte weiter als andere Rollenspiel-Titel.

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Die Welt des Spiels ist ein riesiger Kontinent, bevölkert von fantasievollen Kreaturen. Tentakelmonster infiltrieren ihn. Sie pflanzen ihren Opfern kleine Parasiten ein, die ihre Wirtskörper nach einem qualvollen Prozess in weitere Monster verwandeln. Trotz der ernsten Bedrohung nimmt sich das Spiel aber viel Raum für Ablenkungen entlang der Heldenreise: charmante Momente, witzige, immer wieder auch ungeniert schlüpfrige Begegnungen, hochdramatische Tragödien, die allesamt nichts mit der Haupthandlung zu tun haben.

Die Welt von «Baldur’s Gate 3» ist gross. Allein das erste von drei Kapiteln ist auch nach über 30 Stunden Spielzeit noch nicht ganz erschlossen. Der immense Umfang – insgesamt rund 174 Stunden Video-Zwischensequenzen, mehr als zwei Millionen Worte Dialog – wurde auch durch die lange «Early Access»-Phase möglich, in der Fans drei Jahre lang eine frühe Version des Spiels ausprobieren und dem belgischen Entwickler Larian Studios Feedback und Ideen schicken konnten.

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Ein Beispiel: Der Weg zur Goblinfestung führt an einer Scheune vorbei, in deren Inneren ein Wummern und Ächzen zu hören ist. Bestimmt eine wilde Bestie, die jeden Moment aus dem Gebäude herausbrechen wird! Also öffnet die vom Spieler oder der Spielerin gesteuerte Heldentruppe vorsichtig die Scheunentür – und erwischt einen Ork und eine Trollfrau bei einem privaten Moment. Szenen, wie sie noch kein klassisches Rollenspiel zu zeigen gewagt hat.

So fächert sich der Spielverlauf entlang unzähliger kleiner und grosser Entscheidungen auf. Ganz eigene Geschichten entstehen.

Die Gruppe kann nun den Kampf mit dem wütenden Paar wagen, das sich nicht stören lassen wollte – oder versuchen, sie in einem Gespräch zu beruhigen. Ob das gelingt, hängt von der richtigen Wortwahl ab, ausserdem von den Fähigkeiten der Spielergruppe. Befindet sich darin ein besonders charismatischer Mitstreiter, liegt die Chance höher, in der nun kommenden Würfelprobe die erforderliche Mindestpunktzahl zu erhalten und den Konflikt ohne Gewalt zu lösen.

Klappt das nicht, kommt es doch zum Kampf, für den allerdings viele weitere Optionen bereitstehen. Statt stumpf auf die Gegner einzuschlagen, kann ein Schlafzauber den Kampf frühzeitig beenden oder ein Schubser den Ork über die nahe Klippe befördern. Das wiederum versetzt die Trolldame entweder in tiefe Verzweiflung – oder es lässt sie noch wütender kämpfen. So fächert sich der Spielverlauf entlang unzähliger kleiner und grosser Entscheidungen auf. Ganz eigene Geschichten entstehen.

Tafelrundenritter mit Lockenhaar, Barde mit Elfenohren oder tölpelhafter Magier-Praktikant: Bei diesem Game sind die Rollenvarianten endlos.

Die Würfelproben, die regelmässig den Spielverlauf stark beeinflussen, sind eine Referenz auf die Geschichte des Genres. Analoge Pen-and-Paper-Rollenspiele eroberten in den Achtzigerjahren mit Regelbüchern, Charakterbögen und Würfelbechern die Spielkeller von Nerds weltweit, die ersten Computer-Rollenspiele waren stark an sie angelehnt, entfernten sich dann aber immer weiter von deren Spielmechanik. In «Baldurs’ Gate 3» erwacht der fossile Überrest dieser Vorgeschichte wieder zum Leben. So jedenfalls fühlt es sich an.

Bis auf die Unterwäsche des Vampirs

Die analogen Geschichten zum Mitspielen lässt sich ein Spielleiter spontan einfallen, der versammelten Runde am Tisch beschreibt er Szenen, konfrontiert sie mit Entscheidungen und ihren Konsequenzen. Und er fordert sie zum Würfelwurf auf. Je mehr Zeit man mit «Baldur’s Gate 3» verbringt, desto mehr drängt sich der Eindruck auf, ein (leicht angetrunkener) Spielleiter sei hinter den Kulissen tätig: So als sässen wir an einem Samstagnachmittag mit Freunden am Wohnzimmertisch und schauten ihm dabei zu, wie er händeringend nach Antworten auf die Entscheidungen seiner Abenteurergruppe sucht und dabei auf immer verrücktere Einfälle kommt.

Dieses Spielgefühl, solche Detailliebe, Witz und Charme gibt es bei Computerspielen nur selten. Jedes Detail steckt voller Möglichkeiten, buchstäblich bis auf die Unterwäsche des Vampirs, dem wir – eventuell – im Verlauf des Spiels begegnen. Auf dem Stoff findet sich ein kurzer Beschreibungstext, in dem es mal wieder um mehrere Optionen geht: «Wenn du diese Unterhose siehst, hast du entweder Sex mit mir oder mich geköpft – in beiden Fällen bist du ein Glückspilz.»