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Unabsichtlich Schwarzfahrer
Ticket-Ärger: SBB und Co. sollen Praxis ändern

SBB, unterwegs mit einem Regionalteam von Zugbegleitern der SBB Zwischen Zuerich und Herrliberg am Montag 20. Maerz 2017.
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Wer knapp dran ist und während der Abfahrt auf der Smartphone-App noch ein Billett löst, gilt als Schwarzfahrer und muss einen Zuschlag bezahlen. Das betrifft manchmal sogar Fahrgäste, die vor der Abfahrt auf dem Perron in der App auf «Kaufen» drücken. Denn wenn das Billett auch nur eine Sekunde nach Abfahrt in der App bestätigt wird, ist es ungültig, und es droht ein Eintrag ins nationale Schwarzfahrerregister.

SBB-Zugbegleiterinnen und -begleiter dürfen gemäss interner Weisung keine Nachsicht walten lassen. Selbst dann nicht, wenn sie das Billett erst beispielsweise eine Viertelstunde später kontrollieren und beim Fahrgast mit Sicherheit keine böse Absicht vorliegt.

An diese Praxis halten sich nicht nur die SBB, sondern die meisten Transportunternehmen des öffentlichen Verkehrs. Sie entspricht der Regelung in den Tarifbestimmungen T600 von Alliance Swiss Pass. In dieser Organisation sind praktisch alle schweizerischen Transportunternehmen und Tarifverbünde zusammengefasst.

Doch nach Meinung des Bundesamts für Verkehr (BAV) ist diese Praxis nicht mit dem Personenbeförderungsgesetz vereinbar. Mit anderen Worten betreiben also die SBB und andere Transportunternehmen eine widerrechtliche Praxis und stempeln viele Reisende zu Unrecht als Schwarzfahrer ab.

«Schlechter Empfang macht niemanden zum Schwarzfahrer»

Wenn jemand kurz vor Abfahrt des Zuges über die Smartphone-App ein Billett kauft, gilt laut Marcel Hepp, stellvertretender Leiter der Sektion Recht im Bundesamt für Verkehr, Folgendes: «Falls die Bestätigung auf dem Smartphone wegen einer Verzögerung kurz nach der Abfahrt erfolgt, darf dieser Person daraus kein Nachteil entstehen.» Denn das liege nicht mehr in ihrem Verantwortungsbereich. Auch ein schlechter Mobilfunkempfang mache niemanden zum Schwarzfahrer oder zur Schwarzfahrerin. Nach den aktuell gültigen Vorgaben von Alliance Swiss Pass darf man hingegen nicht in den Zug einsteigen und eine Fahrt antreten, wenn schlechter Empfang den Billettkauf verhindert.

Das Bundesamt für Verkehr geht bei der Gesetzesauslegung aber noch einen Schritt weiter: Es sei auch erlaubt, den Billettkauf erst kurz nach der Abfahrt auszulösen. Wenn es also zum Beispiel eine Familie mit Kinderwagen und viel Gepäck gerade noch auf den Zug schafft, dann darf sie das Billett auch nach der Abfahrt noch über die Smartphone-App kaufen.

Smartphone Apps

Fahrgäste müssen rasch ein Billett kaufen

Als wichtiges Kriterium nennt Marcel Hepp das Bemühen, «sich beim Betreten des Zuges prioritär um den Billettkauf zu kümmern». Ob der Zug schon Fahrt aufgenommen habe, sei nicht entscheidend. Unzulässig wäre jedoch, im fahrenden Zug abzuwarten und das Billett erst später zu kaufen, wenn eine Zugbegleiterin oder ein Zugbegleiter erscheint.

Die Einschätzung des Bundesamtes ist relevant, weil es gegenüber den Transportunternehmen des öffentlichen Verkehrs eine Aufsichtsfunktion wahrnimmt. Schon im Jahr 2012 hat das BAV in einer klaren Verfügung die SBB dazu verknurrt, ihr bisheriges Kontrollregime zu lockern. Vor 2012 war noch die Abfahrtszeit gemäss Fahrplan massgebend – und nicht die tatsächliche Abfahrtszeit. Wer damals bei einem verspäteten Zug kurz vor Abfahrt mit dem Smartphone ein Billett gekauft hatte, war schwarz unterwegs.

Erst durch Beschwerden wurde das Amt aktiv

Schon aus der damaligen Verfügung vom 3. Oktober 2012 geht eigentlich hervor, dass die heutige Regelung von Alliance Swiss Pass nicht mit den Vorstellungen des Bundesamtes vereinbar ist.

So beschrieb das BAV in der Verfügung die Situation, in der ein Fahrgast das Billett im Zug löst und das Kontrollpersonal erst später zusteigt: «Da in einem so gelagerten Fall dem Transportunternehmen auch keinerlei Einnahmeausfall entsteht, wäre die Erhebung eines Zuschlags unzulässig», folgerte das Amt damals. Und weiter: «In einem ÖV-System mit in der Regel dichter Taktfolge kann niemandem zugemutet werden, ein Transportmittel abfahren zu lassen, nur weil eine entsprechende Regelung dessen regulärer Benützung entgegensteht.»

Diese Verfügung scheint in Widerspruch mit der heutigen Regelung von Alliance Swiss Pass zu stehen. In einer ersten Stellungnahme hat Alliance Swiss Pass darauf beharrt, dass die aktuelle Praxis in Einklang mit der Verfügung des Bundesamtes für Verkehr stehe.

Dass das Amt in dieser Angelegenheit seine Aufsichtsfunktion bisher nicht wahrgenommen und eine Änderung durchgesetzt hat, liegt laut Marcel Hepp einzig daran, dass bisher noch kein Reisender mit einer entsprechenden Beschwerde vorstellig geworden sei. Denn grundsätzlich prüft das Bundesamt nur dann Fälle, wenn betroffene Fahrgäste beim BAV intervenieren.

Alliance Swiss Pass wehrt sich

Jetzt wird das Bundesamt aber trotzdem aktiv: «Alliance Swiss Pass wird demnächst von uns ein Schreiben erhalten, mit dem wir darauf hinwirken, dass es nicht länger zu solchen Fällen kommt», sagt Marcel Hepp. Weil das Bundesamt für Verkehr seine Aufsichtsfunktion nur direkt gegenüber Transportunternehmen wie der SBB wahrnimmt – und nicht gegenüber Alliance Swiss Pass –, handelt es sich dabei um ein informelles Schreiben.

Mit der aktuellen Einschätzung des BAV konfrontiert, verzichtet Alliance Swiss Pass vorerst auf weitere Stellungnahmen. «Wir halten an unserer Praxis fest und werden das in Aussicht gestellte Schreiben des Bundesamts für Verkehr sorgfältig prüfen», sagt Alliance-Swiss-Pass-Sprecher Reto Hügli. Erst danach werde sich die Organisation zum weiteren Vorgehen äussern.

Pendulaires et transports (bus et train) à Lausanne, le 24 novembre 2021.

Kontrollpersonal darf eigentlich nur «Gute Reise!» wünschen

Nicht alle Fahrgäste, welche die Bestätigung für ihr Zugbillett in der Smartphone-App nur Sekunden nach Abfahrt erhalten, müssen heute einen Zuschlag bezahlen. Betroffene Fahrgäste können, nachdem sie mit einem ungültigen Billett erwischt worden sind, beim Kundendienst der SBB oder eines anderen Transportunternehmens reklamieren. Bei Kulanz wird der Zuschlag reduziert. Mindestens eine Bearbeitungsgebühr muss aber in der Regel bezahlt werden.

Marcel Hepp, stellvertretender Leiter des BAV-Rechtsdiensts, kann dieser Praxis wenig abgewinnen: «Wenn die Bahn diesen Zusatzaufwand auf sich nehmen und das nachträglich im Kundendienst lösen will, dann ist das ihr Problem.» Wenn ein Kunde oder eine Kundin mit einem während der Abfahrt bezahlten Billett kontrolliert werde, so dürfe die Bahn nicht über einen Einnahmeausfall mutmassen. «Genau genommen hat das Kontrollpersonal in einer solchen Situation gar keine andere Wahl, als der Kundin oder dem Kunden eine gute Reise zu wünschen.»