Umfrage zu digitalen ZugbillettenIst eine Bagatelle das Gleiche wie kriminelle Energie?
Viele Leserinnen und Leser reagieren in einer Umfrage kritisch auf die Praxis der SBB, dass ein Billett schon Sekunden nach Abfahrt als ungültig betrachtet wird. Eine Auswahl der Antworten.
Wenn das Zugbillett in der Smartphone-App auch nur Sekunden nach Abfahrt bestätigt wird, ist es ungültig. Dann müssen Fahrgäste grundsätzlich einen Zuschlag zahlen und erhalten einen Eintrag ins nationale Schwarzfahrerregister. So lautet die offizielle Regelung. Der Kundendienst von Transportunternehmen wie der SBB kann zwar auf Antrag im Nachhinein für eine kulante Lösung Hand bieten – doch mindestens eine Bearbeitungsgebühr wird in der Regel fällig.
In einer Umfrage haben wir Leserinnen und Leser gefragt, welche Erfahrungen sie gemacht haben und wie sie über diese Praxis denken.
Ein Leser, der nicht namentlich genannt werden will, hat Mühe damit, dass die SBB nicht zwischen Versehen und Vorsatz unterscheiden. Natürlich verlange niemand ein aufwendiges Beweisverfahren. «Dass man aber Bagatellen gleich behandelt wie Leute mit krimineller Energie, ist schon stossend», schreibt er. Da stelle sich neben der Verhältnismässigkeit die Frage der Gleichbehandlung – «denn in praktisch allen Rechtsbereichen gibt es eine solche Unterscheidung». Er schliesst mit der Hoffnung, «dass wieder etwas mehr Menschlichkeit reinkommt, in meinen geliebten öffentlichen Verkehr …»
«Selber zweimal betroffen»
Mehrere Leserinnen und Leser berichten verärgert darüber, wie sie selber aus verschiedenen Gründen in Zeitnot auf den Zug gelangt sind. Obwohl sie in guter Absicht über ihr Smartphone ein Billett gekauft haben, wurde es in der anschliessenden Kontrolle als ungültig taxiert. «Mich hat diese Regelung innerhalb kurzer Zeit zweimal getroffen», schreibt etwa Barbara Stillhart. Beide Male habe sie eine Busse bezahlen müssen, obwohl sie immer ein Zugbillett kaufe.
Einmal sei das nach dem Theater passiert: Weil das Smartphone zunächst unbemerkt noch im Flugmodus war, sei es zu einer Verzögerung gekommen. Der Kontrolleur habe danebengestanden und nach der Abfahrt gleich nach dem Billett gefragt. «Es wäre wirklich zu begrüssen, wenn die SBB etwas mehr Flexibilität zeigen könnten», meint sie.
Wie Reto Galli berichtet, kann das auch bei digitalen Mehrfahrtenkarten passieren: «Mein Sohn hat vor der Abfahrt auf dem Perron mit der App der BLS entwertet – die Bestätigung erfolgte aber erst bei der Ausfahrt aus dem Bahnhof.» Der Leser führt dies auf eine schwache WLAN-Verbindung im Bahnhof zurück. Mit der Mobilfunkverbindung ausserhalb des Bahnhofs habe es geklappt.
Die BLS habe nach einer Reklamation empfohlen, die Mehrfahrtenkarte nicht mehr per WLAN zu entwerten. Den Zuschlag musste der Sohn trotzdem bezahlen. Nach dieser Erfahrung nutze der Sohn «wieder die gute alte Papierversion der Mehrfahrtenkarte».
Schwierig für ältere Menschen
Ältere Menschen beklagen Nachteile, die für sie unangenehm sein können. Der 74-jährige Peter Beck stellt beispielsweise fest, dass tatsächlich oft einige Zeit verstreiche, bis ein gültiges Ticket auf dem Smartphone ankomme. Selbst rüstige Menschen seien im Alter gelegentlich etwas vergesslich. «Da kann es schon mal passieren, dass man erst im Zug ans Ticket denkt.» Eine gewisse Kulanz sei da eine Frage des Anstands.
Wenn das SBB-Personal in einer solch offensichtlichen Situation «nicht mehr adäquat und menschlich handeln darf, so ist das ein Armutszeugnis». Konsequent zu Ende gedacht, bedeute die heutige Praxis Folgendes: Wenn mit dem System der SBB etwas nicht klappe, müsse der Kunde und die Kundin das einfach hinnehmen und verpasse allenfalls die Fahrt. Wenn das etwa abends in der Kälte geschieht, kann das nicht zuletzt für ältere Menschen unangenehm sein. Er sei enttäuscht von den SBB, teilt Peter Beck mit.
Kulantere Lösung gefordert
Viele schreiben, obwohl sie noch nie selber wegen eines ungültigen Billetts einen Zuschlag bezahlen mussten – darunter auch Besitzerinnen und Besitzer eines Generalabonnements. «Ich finde die kulantere Variante der Deutschen Bahn sehr gut», schreibt Marianne Leu. Denn nicht selten sei es schwierig, das Billett rechtzeitig zu lösen. Dabei verweist sie nicht zuletzt auf betagte Menschen, die mit den Billettautomaten im Bahnhof manchmal überfordert seien. Als weitere Gründe nennt sie eine schlechte Mobilfunkverbindung oder Probleme beim Einsteigen mit viel Gepäck, Kinderwagen oder Gehhilfen.
Mehrere Leserinnen und Leser berichten schliesslich, dass sie mit dem heutigen System «grösstenteils zufrieden» sind, oder vereinzelt, dass sie noch gar nie Probleme gehabt hätten. Einige wenige machen die Fahrgäste verantwortlich, die ihr Billett nicht rechtzeitig lösen. Doch gegen etwas mehr Toleranz spricht sich praktisch niemand aus. Manche vermuten schliesslich, dass Verantwortliche bei den SBB und anderen Transportunternehmen des öffentlichen Verkehrs sich der praktischen Probleme bei elektronischen Billetten zu wenig bewusst seinen, weil sie als Nutzerinnen und Nutzer von Generalabonnements damit nicht direkt konfrontiert würden.
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