Ambitioniertes ZukunftsprojektWie realistisch ist ein Highspeed-Zug Schweiz–London?
Die britische Hauptstadt ist die Schweizer Flugdestination Nr. 1 in Europa. Verkehrspolitiker fordern eine klimafreundliche Alternative. Die SBB sperren sich nicht. So stehen die Chancen.
Für die Skiferien eben mal von London in die französischen Alpen fahren? Diesen Service bietet an diesen Festtagen Eurostar an, der Betreiber der Hochgeschwindigkeitszüge zwischen Grossbritannien, Frankreich, Belgien und den Niederlanden.
Der Zug flitzt von London durch den Kanaltunnel in 1 Stunde und 22 Minuten nach Lille. Dort müssen die Passagiere auf die französischen TGVs umsteigen, um in die Skigebiete zu gelangen. Inklusive Umsteigezeit in Lille beträgt die Reisezeit 8 Stunden und 19 Minuten.
Vorteil des Zuges: Die Reisenden können pro Person zwei Gepäckstücke plus zusätzliches Skigepäck mitnehmen. Und sie können sich dem beruhigenden Gefühl hingeben, fast klimaneutral zu reisen.
Schnelle Verbindung zwischen Basel und London
Das soll künftig auch zwischen Zermatt und London möglich sein. Im Februar 2023 verlangte SP-Nationalrat Matthias Aebischer vom Bundesrat, in Zusammenarbeit mit Frankreich und Grossbritannien eine direkte Zugverbindung zwischen Basel und London zu prüfen. Man befürworte grundsätzlich eine solche Verbindung zwischen London und Basel oder Genf, erklärte der Bundesrat damals, betrachtet sich aber als nicht zuständig.
Der Grund dafür: Nach geltendem Recht können ausländische Anbieter internationale Verbindungen ab der Schweiz nur in Kooperation mit den SBB entwickeln. Exemplarisch daf¨ür ist der TGV Lyria, ein gemeinsames Projekt der SBB mit dem französischen Bahnbetrieb SNCF.
Interessante Anmerkung des Bundesrates: Bis jetzt habe kein einziges ausländisches Bahnunternehmen mit solchen Absichten in Bern angeklopft.
Eine von der Deutschen Bahn gemeinsam mit anderen Partnerbahnen, darunter den SBB, in Auftrag gegebene Studie zum aktuellen und künftigen Ausbau des Hochgeschwindigkeitsverkehrs in Europa ist aufschlussreich. Das im letzten Juli veröffentlichte Papier zeigt die Schweiz faktisch als weissen Punkt in der europäischen Mitte. Die geplanten Hochgeschwindigkeitsstrecken führen um das Land herum.
SBB prüfen das Projekt mit SNCF und Eurostar
Bei den SBB beschäftigt man sich seit 2022 mit dem Projekt Schweiz–London. An der Studie nehmen SNCF und Eurostar teil. Über den aktuellen Stand der Dinge ist bei der Bahn nichts in Erfahrung zu bringen. Die Ergebnisse würden im Laufe des kommenden Jahres publiziert. An einer Fachtagung des Schweizer Reiseverbands Mitte November gab Philipp Mäder, Leiter Internationaler Personenverkehr bei den SBB, einen klitzekleinen Einblick: «Basel–London in rund fünf Stunden, das ist möglich. Die Infrastruktur ist auf dieser Strecke, unter anderem wegen der Fahrt durch den Eurotunnel, teuer.»
Am 9. Dezember sagte SBB-Chef Vincent Ducrot in einem Interview mit CH Media: «Wenn es möglich ist, werden wir einen Zug aus der Schweiz nach London einführen. Es muss aber in unter sechs Stunden machbar sein.» Nur wenige würden bei einer Fahrtdauer von über sechs Stunden den Zug wählen.
Hilfe erhält er von einem seiner Vorgänger im Amt: Benedikt Weibel. Der frühere SBB-Chef findet einen Direktzug von Basel nach London, der die Strecke in fünf Stunden meistere, 1000 Sitzplätze aufweise und viermal täglich fahre, eine gute Sache: «Das bringt dem Klima etwas und benötigt keine Subvention.»
Kürzlich hat sich auch Yann Leriche, der Geschäftsführer von Eurotunnel, für eine Anbindung der Schweiz ausgesprochen: «Bis 2030 sollen Köln, Frankfurt und Genf auf den Bildschirmen der aus London abfahrenden Züge erscheinen.» Eine Verbindung nach Basel und Zürich werde ebenfalls als machbar angesehen.
Doch der Weg dorthin ist mit zahlreichen Hindernissen versperrt, wie ein gemeinsamer Workshop von European Blend mit Verkehrsexperten aus der Schweiz, Frankreich und Grossbritannien am 6. Oktober zeigte. Mit dabei war auch Philipp Mäder von den SBB.
Bahnticket ist 3,8-mal so teuer wie ein Flugticket
Dass eine Zugverbindung aus Umweltgründen wünschbar wäre, ergibt sich allein aus der Tatsache, dass London ab Zürich und Genf mit 2 Millionen Passagieren die meistangeflogene Stadt in Europa ist. Umgekehrt rangiert die Schweiz auf Platz 9 der von London aus angeflogenen Destinationen.
22 Fluggesellschaften bedienen die Strecke, der durchschnittliche Preis für den Flug nach London Heathrow und retour liegt bei 387 Franken. Der Billiganbieter Easyjet bietet für andere Londoner Flughäfen Preise ab 76 Franken für den Hin- und Rückflug an. Die Flugdauer ab Zürich je nach Londoner Flughafen: 1 Stunde 45 Minuten bis 1 Stunde 51 Minuten.
Für die Fachleute war klar: Mit solchen Preisen kann eine Bahn nicht mithalten. Die Luftfahrt profitiere davon, dass die Umweltkosten nicht einkalkuliert seien und die Infrastrukturkosten im Vergleich zur Bahn minimal seien.
Ein von Greenpeace durchgeführter Vergleich der aktuellen Flug- und Zugpreise ab der Schweiz während der jetzigen Feiertage zu 15 besonders beliebten europäischen Destinationen unterstreicht das Dilemma: Die teuerste Bahnverbindung ist die von und nach London, wo die Bahn durchschnittlich 3,8-mal so viel kostet wie das Flugzeug.
Kommt dazu, dass ein Grossteil der Passagiere aus geschäftlichen Gründen unterwegs ist – und da gilt für viele das Motto: Morgens hin, abends zurück. Fünf Stunden allein für die Hinfahrt ab Basel dürfte somit keinerlei Anreiz sein.
Die Bahnfachleute rechnen im besten Fall mit einem Marktanteil für den Zug von 18 bis 20 Prozent im Reiseverkehr zwischen der Schweiz und Grossbritannien.
Bahnhöfe müssten umgebaut werden
Weitere Hürde im Projekt: Soll die Schnellverbindung ab Basel und Genf erfolgen, müssten die Bahnhöfe massiv aufrüsten. Grossbritannien war schon vor dem Brexit nur teilweise an das Schengen-Abkommen gekoppelt, mit dem Brexit ist die Insel gar nicht mehr dabei.
In den Bahnhöfen müssten daher spezielle «London-Bahnhöfe» eingebaut werden, um die Sicherheits- und Passkontrollen zu erfüllen. Wer schon ab der Gare du Nord in Paris mit dem Eurostar nach London gefahren ist, kennt das Prozedere. Zuerst kontrolliert die französische Polizei, dann die britische die Papiere der Reisenden. Der Zug darf danach an keinem Bahnhof ohne spezielle «London-Abfertigung» mehr anhalten.
Kommt dazu, dass die biometrische Grenzkontrolle Platz braucht. Und die ist nötig, um möglichst viele Passagiere in möglichst kurzer Zeit durchzuschleusen. Als der Brexit in Kraft trat, musste Eurostar die Kapazitäten drastisch senken. Dies, weil statt der möglichen 900 Passagiere nur noch maximal 550 innert nützlicher Frist für einen Zug abgefertigt werden konnten.
Die Umrüstung der Bahnhöfe kostet laut den Fachleuten bis zu 20 Millionen Franken. Ob dann auch tatsächlich Züge von dort abfahren, ist ungewiss. Zuerst muss die britische Behörde die gesamte Infrastruktur im Basler oder Genfer Bahnhof autorisieren.
Und welche Alternativen gäbe es dazu?
Die TGV-Verbindung ab Zürich via Basel nach Paris Gare de Lyon könnte in der Gare du Nord verlängert werden. Londonreisende könnten sich so den zeitraubenden Transfer zwischen den beiden Bahnhöfen mit Taxi oder Metro ersparen.
Direktverbindung von Basel nach Lille. Lille besitzt bereits einen «Brexit»-tauglichen Bahnhof. Die Hochgeschwindigkeitszüge verbinden die Stadt mit London in nur 1 Stunde und 22 Minuten. Dadurch würde die gesamte Reisezeit (inklusive Umsteigen) unter sechs Stunden fallen.
Von Genf aus könnte die bestehende Verbindung nach Paris so abgeändert werden, dass der TGV in Marne-la-Vallée (Euro Disney) östlich von Paris anhält oder beim Flughafen Paris Charles de Gaulle nordöstlich von Paris anhält. Marne-la-Vallée wurde von den Briten bereits autorisiert, beim Flughafen traf das O.K. noch nicht ein.
Der Schwachpunkt bei diesen Lösungen liegt laut den Fachleuten bei der grossen Abhängigkeit der SBB von SNCF und Eurostar. Für Eurostar habe der Schweizer Markt keine Priorität. Und TGV Lyria ist für die Franzosen in erster Linie eine Anbindung der Schweiz an Paris. Die Knacknuss bestehe nun darin, den französischen Partner dazu zu bringen, Kapazitäten bereitzustellen und einen Testbetrieb aufzunehmen. Am Workshop wurde jedoch klar, dass die SBB bei TGV Lyria nur Juniorpartnerin sind. So gehört das Rollmaterial der SNCF.
Ob und welche Lösungen die SBB für diese zahlreichen Probleme finden, wird erst im nächsten Jahr klar. Noch gibt es keinen Publikationstermin.
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