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Roche-Chef Thomas Schinecker
Nach dem ersten Flug mit dem Firmenjet ist er erschrocken

Thomas Schinecker, Roche CEO, fotografiert am 8.3.23. Fotos kostas maros
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Der neue Roche-Chef Thomas Schinecker ist ein Manager, der sich seine Spesenrechnungen anschaut. Das tat er auch, nachdem er zum ersten Mal mit dem Firmenjet geflogen war, und er erschrak über die horrende Summe. Er zog die Konsequenzen: «Ich werde nie mehr allein im Privatjet fliegen», wie er dieser Redaktion sagt.

Diese Woche ist es ein Jahr her, dass der 48-Jährige die Leitung bei Roche vom langjährigen Übervater Severin Schwan übernahm. Den eigenen Jet des Basler Pharmakonzerns hat Schinecker inzwischen abgeschafft. Ausserdem verfügte er, dass ein Privatflugzeug jetzt nur noch gechartert werden darf, wenn es ausgelastet werden kann, also gut ein Dutzend Roche-Manager mitreisen und keine andere praktikable Reisemöglichkeit besteht.

Schinecker verkörpert eine neue Kultur. Vielleicht eine, die die Entfremdung der Topmanager von der Schweizer Gesellschaft überbrücken könnte. Der Deutsch-Österreicher ist frei von Eskapaden und Arroganz. Er kann sogar persönliche Schwächen wie sein leichtes Übergewicht auf einer Medienkonferenz eingestehen. Sein Lohn liegt mit 9,6 Millionen Franken für seine ersten neun Chef-Monate 2023 deutlich unter den 16,2 Millionen von Novartis-Chef Vas Narasimhan.

Doch der neue Herr der Türme hat eine riesige Aufgabe: Er muss bei einem der unproduktivsten Pharmakonzerne der Welt die Wende hinbekommen.

Die Lichter der Roche-Tuerme spiegeln sich im Wasser des Rheins in Basel, am Dienstag, 8. November 2022. (KEYSTONE/Georgios Kefalas)

Roche gab letztes Jahr für die Pharmaforschung mit 14,2 Milliarden Franken so viel aus wie keine andere Firma. Doch kaum ein Konzern bringt weniger Medikamente aus den eigenen Laboren auf den Markt. Dies zeigt eine im letzten Oktober publizierte Studie der Universität St. Gallen, die die langfristige Forschungsproduktivität der weltweit 16 führenden Pharmakonzerne analysierte.

Die unabhängige Studie untersuchte das Verhältnis zwischen Forschungsausgaben der Konzerne und ihren Einnahmen weltweit mit neu zugelassenen Medikamenten. Dies für den Zeitraum 2001 bis 2020. «Wir wollten wissen, ob und wie es Pharmakonzerne schaffen, aus eigener Kraft zu wachsen», erklärt Alexander Schuhmacher, der mit Oliver Gassmann und drei weiteren Wissenschaftlern die Analyse durchführte.

Die Studie zeigt: Roche ist unproduktiv. Die Kosten für Forschung und Entwicklung übersteigen deutlich die Einnahmen. «Dies war bei insgesamt sieben der analysierten Unternehmen der Fall», so Schuhmacher. Neben Roche waren dies Sanofi, Bayer, GSK, Pfizer, Takeda und Merck.

Roche weist in der Forschung kaum Erfolge auf

Bei Roche fällt auf, dass der Konzern in den analysierten 20 Jahren 146,3 Milliarden Dollar in die Forschung und Entwicklung investierte. In dieser Zeit brachte der Konzern lediglich 19 neue Wirkstoffe zur Zulassung, was im Schnitt weniger als einem Molekül pro Jahr entspricht.

Trotz riesiger Ausgaben weist die Forschung bei Roche kaum Erfolge auf. Das trifft nicht nur Roche, sondern die ganze Gesellschaft. Denn die hohen Medikamentenpreise begründet die Industrie stets mit ihren immensen Forschungskosten.

Die komplette Übernahme von Genentech 2009 überdeckte Roches Forschungsproblem. Die drei zugekauften Krebstherapien der US-Biotechfirma spielten dem Konzern bis zu ihrem Patentablauf rund 300 Milliarden Franken ein.

Severin Schwan löste das Produktivitätsproblem in seinen 15 Jahren als Roche-Chef nicht. Auch eine Forschungsstrategie stellte er nicht auf. Der neue Chef muss nun so schnell wie möglich beides anpacken.

Vor zwei Wochen schritt Schinecker zu einer wesentlichen Weichenstellung. Er erliess – vom Verwaltungsrat mit Schwan als neuem Präsident abgesegnet – eine Governance. Sie soll die Zuständigkeiten und Zusammenarbeit der Forschung und Entwicklung verbessern.

«Niemand fühlt sich zuständig», sagt der Insider

Medikamentenentwicklung und kommerzielle Organisation, das heisst, das Marketing von Roche will Schinecker beispielsweise schon in die frühe Forschung einbinden. Auch Zuständigkeiten sollen besser geklärt werden.

Unklare Verantwortlichkeiten bei Roche fielen einem externen Forschungsberater auf, mit dem diese Redaktion sprach. «Niemand fühlt sich zuständig», sagt er, der seinen Namen aus geschäftlichen Gründen nicht öffentlich machen möchte. Er arbeitete für viele Pharmakonzerne und war von Roche ziemlich überrascht.

Expertinnen, aber auch Schinecker selbst beklagen, dass Roche bislang an wenig aussichtsreichen Molekülen weiterforscht und Flops erst in der letzten und teuersten Phase 3 der klinischen Studien zutagetreten. Mit dem Misserfolg seines möglichen neuen Alzheimer-Medikaments etwa hatte Roche Ende 2022 negatives Aufsehen erregt. Der Genussschein ist seitdem auf Tauchgang.

Schinecker arbeitet seit rund zwanzig Jahren für Roche, zuletzt war er Leiter der Diagnostiksparte. Er liebt den Konzern, wie er selbst sagt. Man glaubt es ihm, denn er hat sich nicht die glatte Managersprache zu eigen gemacht, sein Tonfall klingt echt.

Der promovierte Molekularbiologe stammt aus relativ einfachen Verhältnissen, was offenbar seine Unverstelltheit stärkte. Sein Vater arbeitete zwar für ABB in der halben Welt, jedoch operativ und nicht im Management.

Eine Herzensangelegenheit sind für Schinecker so auch zwei Projekte, die Roche entscheidend verändern sollen: die Umstellung auf künstliche Intelligenz (KI) sowie eine Forschungsstrategie.

Ende September wird Schinecker bestimmte Krankheitsfelder und Technologien vorstellen, auf die er die Forschung beschränken will. Es wird zwar Ausnahmen geben, doch Roche definiert erstmals klare Bereiche.

Roche setzt auf künstliche Intelligenz

Auch KI soll Roches Produktivität verbessern. Worum es für Pharmakonzerne dabei geht, erklärt Petra Jantzer. Sie leitet beim IT-Dienstleister und Unternehmensberater Accenture die für Pharma zuständige Abteilung mit weltweit 30’000 Mitarbeitenden. «Die neuen Methoden der künstlichen Intelligenz lösen in der Pharmaindustrie momentan eine riesige Begeisterung aus», sagt sie. Die Forschung solle dank ihr schneller und auch besser werden. Ebenso klinische Versuche sowie Produktion und Marketing sollen durch generative KI optimiert werden.

Konkret heisst das: Forschende können dank KI den Mechanismus einer Krankheit einfacher verstehen, einen Wirkansatz besser definieren und das Molekül eines möglichen neuen Medikaments besser designen. «Sie brauchen dank der neuen generativen KI nicht mehr komplexe Methoden, um Datensätze aus Hirnscans, Röntgenbildern, Experimenten oder Papiernotizen zu analysieren», sagt Jantzer. Es reicht zu prompten, das heisst, der KI dazu die Anweisungen mit Worten zu geben.

Accenture erwartet, dass die Medikamentenentwicklung so im Durchschnitt 30 Prozent* schneller wird. Und erfolgreicher: Schaffen es zurzeit nur rund zehn Prozent der Medikamente auf den Markt, könnten dies künftig 20 bis 30 Prozent sein. «Die schnellere Entwicklung und höhere Erfolgsquote können für die Pharmakonzerne bis zu 25 Prozent niedrigere Kosten pro Medikament bedeuten», so Jantzer.

Für Roche ist dies eine grosse Chance, die Produktivität deutlich zu verbessern. Stellen sich Erfolge mit der KI ein, stellt sich für Schinecker die grosse Frage, ob er auch die Gesellschaft davon profitieren lässt und die Medikamente vergünstigt. Verkörpert er nicht nur im Stil einen neuen Managertyp, sondern auch mit seiner Haltung?

Bis dahin liegt jedoch noch eine lange Wegstrecke vor Roche. «Damit Firmen den vollen Nutzen aus generativer KI ziehen können, müssen Arbeitsprozesse und Kompetenzprofile auf sie abgestimmt sein», sagt Jantzer. Der US-Pharmakonzern Johnson & Johnson etwa hat seiner Datenchefin neu auch die Forschungsleitung übertragen.

Schineckers neue Governance, die immerhin die Zusammenarbeit zwischen Roches Abteilungen regelt, scheint da erst ein Anfang zu sein.

*Am 13. März um 15.08 Uhr mit genauen Prognosezahlen von Accenture ergänzt.