Regierungskrise in DeutschlandAm Mittwoch könnte die Ampel erlöschen
SPD und Grüne lehnen die von der FDP geforderte politische «Wende» ab. Macht Christian Lindner sie zur Bedingung, ist die Koalition am Ende.
- Der Liberale Christian Lindner fordert eine grundlegende Neuausrichtung der Koalitionspolitik.
- Die SPD und die Grünen wollen Lindners Forderungen nicht umsetzen.
- Für Mittwochabend ist ein Koalitionsausschuss der Regierung geplant.
Deutsche Sozialdemokraten und Grüne haben sich am Wochenende redlich bemüht, nicht noch Öl ins Feuer zu giessen. Doch wie es im Innern der Kanzlerpartei und der Koalition aussieht, plapperte dann ausgerechnet SPD-Chefin Saskia Esken aus.
Die Forderungen, die FDP-Chef und Finanzminister Christian Lindner in einem 18-Seiten-Papier aufgestellt habe, seien in dieser Koalition «durch die Bank» nicht zu verwirklichen, so Esken. «Niemand will im Augenblick eine Prognose wagen, wann genau die nächste Bundestagswahl stattfindet. In der Koalition brennt gerade die Hütte.»
Den jüngsten Brand verursacht hatte Lindner mit einem Forderungskatalog an die Koalitionspartner, der sich gegen die gesamte rote Sozial- und grüne Klimapolitik wandte. Der FDP-Chef sprach von «Lebenslügen» der bisherigen Regierungspolitik und verlangte eine «grundsätzliche» Wende.
Wie weit sich die Liberalen damit von ihren Koalitionspartnern entfernt haben, zeigten die Reaktionen: Gelobt wurden Lindners Forderungen vor allem von Friedrich Merz, dem Kanzlerkandidaten der oppositionellen Christdemokraten: Viele Vorschläge stünden so wörtlich in Anträgen, die CDU und CSU in den vergangenen zwei Jahren erfolglos im Bundestag eingebracht hätten.
Lindner meint, Habeck habe es doch auch so gemacht
Lindner beklagte, sein Papier sei am Freitag gegen seinen Willen durch eine «Indiskretion» bekannt geworden. In der FDP machte man für den «Verrat» die Grünen verantwortlich. Die wiederum verdächtigten Lindner der Scheinheiligkeit. Gewiss ist, dass SPD-Kanzler Olaf Scholz und der grüne Vizekanzler Robert Habeck Lindners Papier bereits am Donnerstag erhalten und am Freitag darüber diskutiert hatten.
Lindner rechtfertigte seinen Positionsbezug mit dem Argument, auch Wirtschaftsminister Habeck habe kürzlich die Idee eines mit Hunderten von Milliarden Euro gefüllten Investitionsfonds vorgestellt, der in dieser Koalition nicht mehrheitsfähig sei. Seine Forderungen stünden auf derselben Ebene.
Der Vergleich ist aber aus mehreren Gründen schief: Anders als Habeck stellt Lindner die bisherige Regierungspolitik über alle politischen Themenfelder hinweg infrage. Habeck sagte überdies ganz offen, dass ein Fonds eher eine Idee für den nächsten Wahlkampf sei als für den nächsten Koalitionsgipfel.
Lindners Papier hingegen liest sich in der aktuellen Lage nicht wie eine Ideensammlung, sondern wie ein Ultimatum. Thorsten Herbst, Mitglied des FDP-Präsidiums, bestätigte dies gegenüber der «Bild»-Zeitung: «Sollte es keine grundsätzliche Richtungsänderung in der Wirtschaftspolitik geben, gibt es keine Basis für den Bundeshaushalt und damit keine Grundlage mehr für diese Regierung.» Lars Feld, Lindners wichtigster Wirtschaftsberater, sagte dem «Handelsblatt»: «Wenn SPD und Grüne weit genug entgegenkommen, muss die Koalition nicht platzen.»
Dreiergespräche folgen – und die Wahl in den USA
Scholz, Habeck und Lindner wollen sich in den nächsten Tagen nun mehrmals zu dritt treffen, um herauszufinden, ob es noch weitergeht. Ziel sei, so schrieb der «Spiegel», dass man danach wisse, ob sich weitere Verhandlungen im grösseren Kreis noch lohnten. Für Mittwochabend ist nämlich ein Koalitionsausschuss anberaumt, an dem neben den Spitzen der Regierung auch jene von Parteien und Fraktionen teilnehmen – der erste seit vielen Monaten.
Am Mittwoch wird möglicherweise auch bekannt, wer in den USA die Wahl gewinnt. Ein Sieg von Donald Trump, hiess es bisher, könnte die Koalitionsparteien nochmals disziplinieren: Auf Deutschland kämen dann neue Herausforderungen zu – ein schlechter Zeitpunkt, um die Regierung der drittgrössten Wirtschaftsmacht der Welt zerfallen zu lassen.
Auch dieses Argument verliere aber mittlerweile an Kraft, heisst es bei FDP und Grünen. Der Vertrauensverlust in dieser Koalition sei so gross, dass er sich wahrscheinlich nicht mehr reparieren lasse. Verlässt die FDP die Regierung oder wird sie von Scholz rausgeworfen, muss der Kanzler entscheiden, wie es weitergeht: Minderheitsregierung mit den Grünen oder vorgezogene Neuwahlen nach verlorener Vertrauensfrage im Bundestag lauten die Optionen.
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