Koalition in der KriseDer deutschen Regierung droht ein schnelles Ende
Elf Monate vor der regulären Wahl arbeiten SPD, Grüne und FDP offen gegeneinander. Statt eines gemeinsamen Plans gegen die Rezession haben Scholz, Habeck und Lindner deren drei. Kommt es zum vorzeitigen Bruch?
- Die Ampelkoalition in Deutschland steht kurz vor dem Bruch.
- Kanzler Scholz, Vizekanzler Habeck und Finanzminister Lindner streiten öffentlich.
- Die drei Regierungsparteien werben für unterschiedliche wirtschaftspolitische Konzepte.
- Bis zum 15. November muss ein Kompromiss im Streit um das Budget 2025 gefunden werden.
Dass die deutsche Ampelkoalition streitet, ist keine Neuigkeit, sondern seit langem quälender Alltag. Neu ist hingegen, dass Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner sich öffentlich zanken und gegenseitig kleinmachen. Der sozialdemokratische Kanzler, der grüne Vizekanzler und der liberale Finanzminister galten bisher als letzte Garanten für den Zusammenhalt der Regierung.
Während die Parteien übereinander herzogen, hielt sich das Spitzentrio der Regierung bisher zurück. Selbst wenn Habeck und Lindner uneins waren, sprachen sie in der Regel nicht schlecht übereinander und signalisierten, trotz der Widersprüche unablässig nach Kompromissen zu suchen. Scholz wiederum bemühte sich so eifrig, die diversen Streitigkeiten zu moderieren, dass aus seiner SPD zunehmend verzweifelt der Ruf nach mehr «Führung» und mehr «Basta» ertönte.
Mit dieser Zurückhaltung ist es jetzt vorbei – ausgerechnet in einer Zeit, in der sich das Land in einer schwierigen Lage befindet: Die Wirtschaft ist in einer schweren Krise, sie schrumpft das zweite Jahr in Folge. Das exportorientierte Geschäftsmodell steht infrage, ein Teil der Industrie droht abzuwandern. Die politische Unsicherheit trägt ihrerseits zur Misere bei, weil sie Konsum und Investitionen lähmt.
Gipfel und Gegengipfel, These und Gegenthese
In dieser Lage wäre ein entschlossenes Handeln der Regierung hilfreich. Doch es bleibt aus. Dabei fehlt es der Koalition nicht an Ideen, ihr Problem ist eher, dass sie deren drei hat: eine von Scholz, eine von Habeck, eine von Lindner. Doch die Ideen passen nicht zueinander oder schliessen sich gar gegenseitig aus.
Der Sozialdemokrat Scholz möchte möglichst viele Arbeitsplätze in der Industrie retten und hat dafür ausgewählte Verbände, Konzerne und Gewerkschaften für Dienstag zu einem Gipfel ins Kanzleramt eingeladen. Habeck, immerhin Wirtschaftsminister, und Lindner müssen draussen bleiben – das sei jetzt Chefsache, heisst es. Inhaltlich geht es vor allem darum, die Stromkosten für Grossverbraucher durch Subventionen zu senken.
Der Grüne Habeck wirbt derweil für einen «Deutschlandfonds» in der Höhe von mehreren Hundert Milliarden Euro, aus dem sich Investitionen fördern liessen – ähnlich wie es Joe Biden in den USA mit Erfolg gemacht hat. Attraktiv aus Habecks Sicht: Ein Fonds wäre von der Schuldenbremse ausgenommen.
Der Liberale Lindner wiederum hält beide Vorschläge für verfehlt bis schädlich – und für Verstösse gegen den Geist der Schuldenbremse. Um Scholz zu ärgern, hat er nun am selben Tag jene Lobbygruppen zum Gegengipfel geladen, die der Kanzler übergangen hat. Zudem schlägt er vor, Milliarden bei der Arbeitslosenversicherung zu sparen – für Sozialdemokraten und Grüne ein rotes Tuch.
Statt die Wirtschaftskrise anzugehen, machen die Regierungsspitzen also Wahlkampf gegeneinander. Sie werben für sich und lästern gegen ihre Rivalen. Scholz schimpfte Habeck und Lindner kürzlich Schauspieler, die auf «Theaterbühnen» irgendwelche Scheinpolitik aufführen würden. Die FDP spricht von wirtschaftspolitischen «Dilettanten» und meint damit Scholz und Habeck. Auch Habeck hält seinen Ärger über Scholz und Lindner kaum mehr zurück. Aus gegenseitigen Verletzungen und Enttäuschungen ist in den vergangenen Monaten Misstrauen, teils Verachtung geworden.
Dass die Koalition kurz vor dem Bruch steht, liegt mittlerweile offen zutage. Das Wirken der Regierung sei zu einem Konjunkturprogramm für «Politikzorn und Extremismus» geworden, sagte gerade Sigmar Gabriel, Ex-SPD-Chef und -Wirtschaftsminister. Sie solle sich besinnen – oder aufhören. Am Wochenende wünschten mit der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», der «Süddeutschen Zeitung» und der «Welt am Sonntag» drei einflussreiche, aber politisch sehr unterschiedliche Medien gleichzeitig ein schnelles Ende der Ampel herbei. Sogar ein Termin für mögliche Neuwahlen zirkuliert bereits: der 9. März. Regulär würde der Bundestag am 28. September 2025 gewählt.
Scheitert die Regierung, dann tut sie es in den nächsten Wochen
Ob die Regierung vorzeitig zerbricht oder nicht, entscheidet sich wohl bis zum 15. November. Bis dann muss die Koalition das Budget für 2025 beschliessen. Weil noch ein hoher einstelliger Milliardenbetrag eingespart werden soll, wird darum im Hintergrund wüst gestritten. Gelingt keine Einigung, kommt es zum Bruch. Wird der Etat hingegen verabschiedet, ergibt ein vorzeitiges Ende der Koalition danach nicht mehr viel Sinn. Träte etwa die FDP aus der Regierung aus, könnten SPD und Grüne die Zeit bis zur Wahl als Minderheitsregierung nutzen – und damit Neuwahlen vermeiden.
FDP-Chef Lindner hat die nächsten Wochen zum «Herbst der Entscheidungen» ausgerufen. Seine Partei pendelt in den Umfragen derzeit zwischen drei und vier Prozent und kämpft bei der nächsten Bundestagswahl um ihr Überleben. Die Frage, ob ein Festhalten an der Regierung oder deren Bruch der FDP mehr schadet, wird in ihren Reihen mittlerweile offen diskutiert. Die Idee, die Partei zu sein, die Deutschland von dieser Koalition befreit, hat aus Sicht der FDP zuletzt deutlich an Charme gewonnen.
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