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Schicksalswahl am Sonntag
Wird Olaf Scholz zum Joe Biden der SPD?

30.08.2024, Brandenburg, Potsdam: Dietmar Woidke (SPD, r), Brandenburgs Ministerpräsident, begrüßt Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf dem SPD Sommerfest in Potsdam. Foto: Fabian Sommer/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Fabian Sommer)
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Mit jeder neuen Umfrage wächst das Entsetzen der deutschen Sozialdemokraten. Nach den desaströsen Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen ist Olaf Scholz in der Rangliste der beliebtesten Politiker weit zurückgefallen. Drei von vier Wähler meinen, der Kanzler werde seiner Führungsverantwortung nicht gerecht. Nur jeder vierte vertraut ihm noch. Seine zerrüttete Regierung mit Grünen und FDP ist historisch unbeliebt: Null Prozent der Befragten fanden neulich, sie wünschten sich wieder eine Ampel.

In Sachsen überzeugte die SPD noch 7 Prozent der Wählenden, in Thüringen 6, in beiden Bundesländern war die Partei aber vorher schon schwach. In Brandenburg hingegen hat sie etwas zu verlieren. Im Bundesland rund um Berlin regiert die SPD seit 1990 ohne Unterbruch, der derzeitige Ministerpräsident Dietmar Woidke ist seit 2013 im Amt.

Verliert seine Partei am Sonntag den Kampf um Platz 1, tritt Woidke zurück, so kündigte er es an. Mehr als zwei Jahre ist es her, dass die Brandenburger SPD in den Umfragen vor der AfD lag. Kurz vor der Wahl beträgt der Rückstand jetzt noch ein bis drei Prozentpunkte. Um doch noch zu siegen, legt Woidke im Wahlkampf maximale Distanz zwischen sich und seinen Kanzler: keine gemeinsamen Auftritte, keine Plakate mit Scholz, nichts. Je weniger er von dessen Regierung höre, so Woidke, umso besser gehe es ihm.

Eine Niederlage fiele trotzdem vor allem auf Scholz zurück, schliesslich ist dessen Kanzlerschaft der wichtigste Grund dafür, dass die SPD das Vertrauen vieler Menschen verloren hat. Auch in der Partei selbst wachsen die Zweifel am 66-Jährigen: Der Kanzler schaffe es einfach nicht, seine Koalition gut zu führen.

Warum ruft Scholz nicht einfach Neuwahlen aus?

Mit Scholz als Spitzenkandidat in die Bundestagswahl im Herbst 2025 zu ziehen, glauben immer mehr Genossen, garantiere eine Niederlage. Gerade ist die SPD quer durchs Land daran, die Wahllisten für 2025 aufzustellen. Da der Bundestag ohnehin verkleinert wird, fürchtet die Partei, die Hälfte ihrer 200 Sitze zu verlieren. Unter den Abgeordneten grassiert Existenzangst.

Die Opposition – Christdemokraten und AfD, aber auch Sahra Wagenknecht – fordert schon seit Monaten Neuwahlen, um das Siechtum dieser Regierung zu beenden. Anders als in anderen Ländern wäre dafür in Deutschland aber ein kompliziertes Manöver nötig: Der Kanzler müsste im Bundestag die Vertrauensfrage stellen und verlieren – und der Bundespräsident danach das Parlament auflösen.

Die Forderung, die Vertrauensfrage zu stellen, sei ein «kleines Oppositionsideechen», machte sich Scholz letzte Woche lustig. Allerdings wird ihm ein anderer SPD-Kanzler vorgehalten: Gerhard Schröder. Der zog 2005 ein drohendes abruptes Ende seiner Kanzlerschaft einem langen Niedergang vor – trat gegen Angela Merkel an und verlor nur knapp. Während Schröder damals aber hoffen konnte, die Menschen noch einmal hinter sich zu scharen, stünden den Ampel-Parteien bei Neuwahlen schwere Verluste bevor. Das hält die Abenteuerlust bei SPD, Grünen und FDP in engen Grenzen.

Kanzler Scholz will kämpfen

Scholz glaubt auch keineswegs, dass seine Regierung gescheitert ist, und will kämpfen. Er hofft, dass sich die Stimmung im nächsten Jahr aufhellt und ihm ein Wiederaufstieg gelingt – wie 2021, als er seine SPD aus dem Nichts und gegen alle Erwartungen zum Wahlsieg führte. Anders als Schröder vor knapp 20 Jahren hat Scholz’ Koalition auch ihre Mehrheit nicht verloren; ihre mühselig errungenen Kompromisse verabschiedet sie im Bundestag meist problemlos. Erst wenn sich das ändert und Kernprojekte der SPD infrage stehen, könnte die Vertrauensfrage für Scholz unvermeidlich werden.

Längst treibt die Genossen aber eine weiterreichende Frage um, eine, die in der bundesrepublikanischen Geschichte bisher undenkbar war: Ist der amtierende Kanzler noch der Richtige, um seine Partei in die nächste Bundestagswahl zu führen? Oder wird Scholz zum deutschen Joe Biden, der von der SPD trotz seines Amtes und seiner Verdienste als Kandidat ersetzt werden muss, um eine aussichtslose Lage zu wenden?

Für den Fall, dass Scholz ausgewechselt werden soll, stellt sich zunächst die Frage, wer es ihm sagt: Parteichef Lars Klingbeil, Fraktionschef Rolf Mützenich und Stephan Weil, Ministerpräsident in Niedersachsen, käme diese Aufgabe zu, sagen Leute, die die SPD gut kennen. Und wer spielte den Part von Kamala Harris, der wundersam aus dem Schlamassel aufsteigenden Alternative? Da wird die Sache schon verzwickter.

Ein überstürztes Ende hilft der SPD nicht

Boris Pistorius gilt seit seiner Ernennung als Verteidigungsminister Anfang 2023 als beliebtester Politiker Deutschlands. Wäre dieser «logische Ersatz» für Scholz also auch der richtige Kanzlerkandidat? Diese Frage wird in der SPD ziemlich anders beantwortet als ausserhalb. Und Weil oder Klingbeil? Beide Namen elektrisieren niemanden.

epa11601730 German Defence Minister Boris Pistorius reacts as he attends a session of the 'Bundestag', or German parliament, in Berlin, Germany, 13 September 2024. The German Bundestag is due to conclude the first round of discussions on the 2025 federal budget and the financial plan 2024 to 2028.  EPA/FILIP SINGER

Mit Franz Müntefering, dem 84-jährigen ehemaligen Parteichef, hat nun eine erste Instanz der SPD öffentlich erklärt, die Kanzlerkandidatur im nächsten Jahr sei noch offen. Es gebe keine Eile, sagte «Münte», bis zum Parteitag im Juni habe man noch Zeit. Für einen Überraschungseffekt, so meinen Fachleute, wäre der Termin drei Monate vor der Wahl sowieso viel günstiger als eine Demontage jetzt, da Scholz noch regiert.

Gegen ein überstürztes Ende spricht auch die Lage in Brandenburg: Selbst wenn Woidke gegen die AfD verlieren sollte, wird die SPD ziemlich sicher an der Macht bleiben – dann halt mit einem anderen Ministerpräsidenten. Eine Katastrophe sieht auch bei der SPD anders aus.