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Wahlen in den Niederlanden
Der Rebell, der aus der Mitte kommt

epa10968678 NSC party leader Pieter Omtzigt attends the first members' meeting of the New Social Contract in Amersfoort, The Netherlands, 10 November 2023.  EPA/REMKO DE WAAL
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Um den Aussenseiter dreht sich in den Niederlanden derzeit alles. Der Parteirebell Pieter Omtzigt scheint bei den Parlamentswahlen am Mittwoch das Land in seinen Bann zu ziehen. Er tritt wie ein Heilsbringer auf, der dem verunsicherten Land wieder Orientierung bringen soll. Der 49-Jährige hat seine Partei mit dem sperrigen Namen «Neuer Gesellschaftsvertrag» erst im August gegründet, doch an dem selbst ernannten Kämpfer gegen das Establishment dürfte nach der Wahl bei der Suche nach einer Regierungsmehrheit kein Weg vorbeiführen.

Pieter Omtzigt tritt vor allem an, um das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik wiederherzustellen. Ein grosser Anspruch nach einer Reihe von Skandalen, die am scheidenden Langzeitregierungschef Mark Rutte bis zuletzt abperlten, nicht umsonst auch als Teflon-Mann bekannt. Pieter Omtzigt selber hat seinen fulminanten Aufstieg seiner Rolle als Aufdecker in einer Affäre zu verdanken, bei der die Behörden über 30'000 Eltern fälschlicherweise beschuldigten, Kindergelder bezogen zu haben, und dabei viele in den Ruin trieben.

Netherlands' Prime Minister Mark Rutte (L) addresses the press as he arrives for a EU leaders Summit at The European Council Building in Brussels on October 26, 2023. EU leaders will debate starting October 26, 2023, in a two day summit in Brussels, for a call for humanitarian "pauses" in Israel's war with Hamas, as the bloc grapples with another conflict on its fringes alongside Russia's invasion of Ukraine. (Photo by JOHN THYS / AFP)

Pieter Omtzigt war 19 Jahre Abgeordneter der Christdemokraten, traditionell Regierungspartei und bis zuletzt auch Koalitionspartner von Mark Rutte. Doch als Aufdecker und «Nestbeschmutzer» wurde der eigenwillige Einzelkämpfer von den eigenen Leuten verstossen, weshalb er nach einer längeren Auszeit jetzt mit seiner eigenen Partei antritt.

In den Umfragen ist die Partei «Neuer Gesellschaftsvertrag» mit knapp 20 Prozent vorne, wenn auch Kopf an Kopf mit der rechtsliberalen Regierungspartei von Rutte, der nach 13 Jahren nicht mehr kandidiert und den Spitzenplatz seiner bisherigen Justizministerin Dilan Yesilgöz überlässt, einst als Flüchtlingskind aus der Türkei ins Land gekommen.

Dicht gefolgt vom Brüsseler EU-Kommissions-Vize Frans Timmermans, der nach Hause zurückgekehrt ist, um den Niedergang von Sozialdemokraten und Grünlinks zu stoppen, die mit Blick auf bessere Chancen fusioniert haben. Die Niederlande gelten als Trendsetter, als Labor für neue gesellschaftliche Entwicklungen. Die letzten Jahre machte das Land Schlagzeilen mit dem Aufstieg von Populisten, zuerst mit dem später ermordeten Pim Fortuyn, dann mit dem Islam-Gegner Gert Wilders und zuletzt mit dem offen rechtsextremen Thierry Baudet.

Die politische Landschaft mit derzeit 15 politischen Gruppierungen in der Zweiten Kammer ist stark fragmentiert und äusserst volatil. Im Sommer war noch eine neue rechtspopulistische Bauern-Bürger-Bewegung (BBB) mit über 20 Prozent in den Umfragen ganz vorne, jetzt aber wieder weit abgefallen. Die Niederlande sind der weltweit zweitgrösste Exporteur von Agrarprodukten und haben ein massives Problem mit Stickstoffemissionen aus der intensiven Landwirtschaft. Versuche der Regierung, das Problem in den Griff zu kriegen und die Emissionen in Einklang mit EU-Richtlinien zu bringen, lösen immer wieder heftige Bauernproteste aus.

Zwischendurch konnte auch der Brüsseler Rückkehrer und Klimazar Frans Timmermans sich gute Chancen auf den Spitzenplatz und die Wahl zum Ministerpräsidenten ausrechnen. Die Parteienfusion aus Sozialdemokraten und Grünlinks tat sich aber zuletzt schwer, sich zum Nahostkonflikt zu positionieren, was sich auch in den Umfragen niederschlägt. Und Klimapolitik ist auch in den Niederlanden nicht mehr so populär, seitdem der Preis der Energiewende bekannt ist.

Der frische Parteichef verspricht eine Politik für die «normalen Bürger».

Mit seinem Status als Aufdecker der Nation hat es Pieter Omtzigt vorerst einfacher. Wie der neue «Gesellschaftsvertrag» aussehen soll, bleibt eher vage. Der frische Parteichef verspricht eine Politik für die «normalen Bürger», will das Vertrauen zwischen Bevölkerung und Regierenden wiederherstellen. Er will die Schieflage im Machtverhältnis zwischen Behörden und Bevölkerung wieder ins Lot bringen. Der langjährige Christdemokrat ist ein Populist, der aus der politischen Mitte kommt. Wenn es um Sozialpolitik geht, tickt er eher links. Der Staat soll wieder dafür sorgen, dass Haushalte von ihrem Einkommen leben können und junge Menschen angesichts der akuten Wohnungsnot ein bezahlbares Dach über dem Kopf finden.

Der Neoliberalismus sei in den letzten Jahren etwas auf die Spitze getrieben worden, so Pieter Omtzigt. Die Zeit vom schlanken, sparsamen Staat könnte vorbei sein. Wenn es um Migration geht, klingt der Newcomer wiederum eher rechts. Omtzigt will Steuervorteile für Expats streichen, die Zuwanderung in den Billiglohnsektor der Landwirtschaft senken, die Zahl der zuletzt 100'000 Arbeitsmigranten und der Asylsuchenden im Jahr auf rund die Hälfte reduzieren. An den Hochschulen soll der Unterricht wieder vermehrt in Niederländisch stattfinden, um den Boom der ausländischen Studierenden nach dem Brexit etwas einzudämmen.

GroenLinks-PvdA's leader Frans Timmermans (L), Democracy Party leader (VVD) Dilan Yesilgoz (C) and leader of the New Social Contract (NSC) Pieter Omtzigt pose prior to the RTL debate as part of parliamentary election, where will be debated themes such as climate, migration, social security and leadership, in Amsterdam, on November 5, 2023. Dutch voters are heading to the polls on November 22, 2023, in snap elections in what will be a transformative vote to replace the erudite Rutte, the country's longest-serving premier. (Photo by Sem van der Wal / ANP / AFP) / Netherlands OUT

Nach den Wahlen wird es wieder mindestens drei oder wahrscheinlich vier Parteien für eine Regierungsmehrheit brauchen. Pieter Omtzigt hat hier die besten Karten, weil er sowohl für eine Mitte-rechts-Koalition als auch für Mitte-links unverzichtbar wäre. Geschadet hat ihm nur, dass er in Fernsehdebatten bis zuletzt offengelassen hat, ob er bei einem Wahlsieg selber Ministerpräsident werden oder jemanden aus seiner Partei für den Job benennen will. Der Aussenseiter sieht sich selber nicht im Regierungsamt.