Kommentar zum aufgehobenen UrteilNoch ist Pierin Vincenz nicht vom Haken
Der Entscheid des Obergerichts ist ein herber Rückschlag für die Staatsanwaltschaft. Mit ihrem Bestreben, die perfekte Anklage zu liefern, hat sie sich selbst eine Falle gestellt.
Für die Zürcher Staatsanwaltschaft um Marc Jean-Richard-dit-Bressel ist es eine heftige Schlappe. Das Urteil gegen den Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz und die weiteren Mitbeschuldigten wird aufgehoben.
Zu diesem aufsehenerregenden Schritt kam es aber nicht, weil das Obergericht von der Unschuld von Vincenz und den anderen Beschuldigten überzeugt wäre. Nein, dazu äussert sich das Gericht gar nicht. Die Gründe liegen in Verfahrensmängeln – und diese muss die Staatsanwaltschaft auf ihre Kappe nehmen.
Sie hat sich in ihrem Eifer, alles möglichst perfekt zu machen, selbst eine Falle gestellt. Die 356 Seiten lange Anklageschrift wird vom Obergericht als zu ausschweifend beurteilt. Jean-Richard-dit-Bressel und sein Team wollten in dem brisanten und öffentlichkeitswirksamen Fall möglichst genau aufzeigen, wie das System von Vincenz und Co. funktioniert haben soll.
Sie wussten, dass auf der Gegenseite mit Vincenz-Verteidiger Lorenz Erni und weiteren Schwergewichten gewiefte Anwälte arbeiten, die jede Lücke in der Anklage ausnützen werden. Doch die vermeintlich perfekte Anklage führte jetzt dazu, dass das Urteil aufgehoben wurde. Sie müsse knapper und präziser werden, so die Forderung des Obergerichts.
Staatsanwaltschaft muss über die Bücher
Es geht um das dichte Netz an möglichen Beweisen, mit dem die Staatsanwaltschaft darlegen wollte, wie sich Vincenz und sein Partner Beat Stocker mit der Hilfe der weiteren Beschuldigten verdeckt an mehreren Firmen beteiligt haben sollen. Danach hätten Vincenz und Co. dafür gesorgt, dass Raiffeisen oder die Kreditkartenfirma Aduno diese Firmen zu einem guten Preis und damit zu ihrem Vorteil kauften, so der Vorwurf der Staatsanwälte.
Das ist ein komplexer Sachverhalt. Über diesen wurde an der Verhandlung tagelang gestritten. Dies ganz im Gegensatz zu den schlagzeilenträchtigen Spesen, die Vincenz in Cabarets und Stripclubs ausgab. Die waren damals schnell erledigt.
Die Staatsanwaltschaft muss nun also noch einmal über die Bücher. Sie muss die Anklageschrift straffen, und sie muss sie für den ebenfalls beschuldigten französischsprachigen Geschäftsmann Stéphane Barbier-Mueller in dessen Muttersprache übersetzen. Das wird die Kosten für das Vorzeigeverfahren weiter in die Höhe treiben und noch mehr Zeit in Anspruch nehmen.
Für Vincenz und die weiteren Beschuldigten bedeutet das heutige Urteil aber noch lange nicht, dass sie vom Haken gelassen werden. Denn das Gericht hat in der Sache gar nichts entschieden – nur, dass der Fall neu aufgerollt werden muss. Für die Beschuldigten und die Öffentlichkeit zieht sich das mühselige Warten auf ein endgültiges Urteil noch weiter hin.
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