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Meinung

Papablog: Vatis Tränendrüsen
«Warum heult der jetzt schon wieder?»

Die Maus übertrumpft den Zeichentrickhund? Heulalarm!
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Letzthin tobte an unserem Esstisch eine Familiendiskussion darüber, ob ich bei der Geburt des Brechts weinte. Ich weiss es nicht mehr sicher, meine aber nein. Meine Frau sagt ja; ich sei ob dem Anblick des blutigen Rollschinklis zu Tränen gerührt gewesen. Genau erinnern kann ich mich nur an zwei Dinge: Der Brecht weinte nicht, als er mich sah und ich fluchte, als ich kurze Zeit später das Kindspech vom Füdli kratzen musste. Möglicherweise hat der Brecht dabei sogar hämisch gegrinst.

So oder so war Brechtis Geburt für mich ein emotionaler Wendepunkt. Davor hatte ich die Emotionen eines nassen Steins. Vielleicht regte ich mich mal auf – im Strassenverkehr oder bei politischen Diskussionen mit meinen Eltern. Aber ansonsten war ich ein weitgehend emotionsloser Mensch. Ein nüchterner Analyst, der Freud und Leid nur aus Erzählungen kannte. Todesfälle, Trennungen, Sonnenuntergänge, der Heiratsantrag oder dieser scharfkantige Nierenstein, der mich eines Nachts weckte – sie entlockten mir Gedanken, aber keine Träne. Bis sich eben an diesem Dienstag im Frühling 2014 der Brecht ins Licht der Welt strampelte. Ob es nun exakt mit seiner Geburt anfing, oder kurz danach: Ich war plötzlich emotional. Nicht übermässig aber immer wieder.

Tränenreich vor dem Bildschirm

Seit neun Jahren geht mir vieles nahe – und das nicht nur in direktem Zusammenhang mit den Kindern. Auch rührende Filmszenen in Verbindung mit Musik treiben mir die Tränen ein. Bei der Lieblingszeichentrickserie meiner Kinder heule ich ständig und als wir Anfang Jahr das Disneyland betraten und ich Micky winken sah, konnte ich meine Emotionen nicht zurückhalten.

Mit Kindern verändert sich nicht nur der Alltag, sondern auch der Blick auf das Leben – eine emotionale Achterbahn der Selbsterfahrung.

Aber warum nur? Verzweifelt grüble ich nach einem biologischen Grund. Wäre es umgekehrt nicht sinnvoller? Dass man mit der Geburt des ersten Kindes eine gewisse emotionale Wankelmütigkeit ablegt. An Ruhe und analytischer Nüchternheit gewinnt, um die vielen kommenden Herausforderungen zu meistern. Die Elternschaft ist ohnehin eine Achterbahn der Grenzerfahrungen. Weshalb giesst Mutter Natur da noch zusätzlich Schnaps ins Feuer?

Die Natur schafft Bindung

Bestimmt liegt meiner Emotionalität eine Hormonveränderung zugrunde, die der Bruterhaltung dient. Irgendwie muss Mutti Natur ja sicherstellen, dass wir unseren Nachwuchs nicht in den Wald jagen, wenn er gerade die Wohnzimmerwand, die gute Sonntagshose und den Familienhund mit Glitzerstiften saniert hat. Wenn ich abends im Internet noch kurz über die Schlagzeilen des Tages fliege, sehe ich diese Theorie bestätigt. Las ich früher, dass irgendwo einem Kind etwas zugestossen sei, dann dachte ich zwar: «Oh, wie traurig.» Aber danach klickte ich rasch weiter.

Erwische ich heute einen Newsartikel, der darüber berichtet, wie Kinder beispielsweise in Unfälle verwickelt waren, dann trifft es mich. Besonders wenn die Kinder im Alter meiner eigenen sind. Ich klappe dann den Computer zu, suche meine schlafenden Schnarchnasen, drücke sie fest an mich und würze sie mit dem Salz meiner Tränen.

Auch das gehört zur Elternschaft. Mit Kindern verändern sich nicht nur die Lebensumstände und der Alltag. Man entwickelt sich auch als Mensch. Das Familienleben ist eine Selbsterfahrungsreise mit vielen Überraschungen und Erkenntnissen. Zum Beispiel, dass das Leben als nasser Stein langweilig ist, wenn man sich stattdessen mit feuchten Augen über Zeichentrickhunde und Menschen im Mauskostüm freuen kann.