PapablogWenn die Zeit mit den Grosseltern knapp wird
Was tun, wenn aktive Grosseltern plötzlich unsicher gehen und langsamer werden? Die Zeit drängt, um das Wertvolle zu bewahren und Erinnerungen zu schaffen.
Es begann mit einem Anruf. Meine Schwiegermutter rief an, weil sie sich in den Bergen den Knöchel gebrochen hatte. «Meine Güte, wo bist du denn langgeklettert?», wollte ich wissen, weil ich den Berg, an dem die Familie meiner Lebenskomplizin ein Haus besitzt, seit meiner Teenagerzeit kenne. «Nirgendwo, ich hab mich einfach nur beim Spazierengehen umgedreht!», beschwerte sie sich. Beim Spazierengehen umgedreht? Ich war einigermassen fassungslos. Ich kann mir ja eine Menge vorstellen, aber das fand ich dann doch absurd. Aber dann fiel es mir ein: Ich habe mich letzten Herbst beim Schlafen derartig verlegen, dass ich danach noch wochenlang Rückenschmerzen hatte. Und auf Instagram hatte ich ein Reel gesehen: «Normale Dinge, bei denen sich Menschen über 40 etwas verzerren.» Beim Schlafen zum Beispiel. Beim Aufstehen. Beim Schulterblick im Auto oder wenn sie den Kindern während der Fahrt etwas zu essen nach hinten reichen. Bei eigentlich allem, ausser sie halten massiv mit Sport und Flexibilisierungsmassnahmen dagegen. Und das gilt schon für die Mittvierziger. Meine Schwiegermutter geht auf die 70 zu. Der Bruch war kompliziert und die Heilung gestaltete sich entsprechend langwierig. Und dann dämmerte es mir: Das kann jederzeit passieren.
Qualitätszeit wird zur Priorität
Ich weiss nicht, ob ich ignorant, naiv oder einfach nur gutgläubig gewesen bin, aber bislang habe ich mir kaum bis keine Gedanken darüber gemacht, dass meine Eltern und Schwiegereltern irgendwann nicht mehr so mitten im Leben stehen könnten, wie sie es jetzt tun. Niemand von ihnen ist akut krank, alle sind einigermassen fit. Vielleicht liegt es einfach daran, dass ich sie alle als eher junge Grosseltern erlebt habe. Als meine älteste Tochter geboren wurde, war ihre Grosselterngeneration Anfang 50. Da geht man, wenn es gut läuft, mit dem Enkelkind auch noch auf Hüttenwanderung oder macht eine Achterbahnfahrt. Aber 70 ist eine ganz andere Hausnummer, und ich muss mich am besten vorgestern mit der Frage beschäftigen, wie viel gemeinsame Zeit uns noch bleibt und wie wir sie gestalten können.
Damit denke ich nicht zwangsläufig gleich an ihr Ableben – auch wenn das in unangenehme Nähe rückt. Aber eingeschränkte Mobilität, nachlassende Kraft, aufgebrauchte Nerven: All das und noch viel mehr tritt in ihr und damit auch unser Leben und fordert seinen Tribut. Mein älterer Bruder hat das sehr viel früher begriffen als ich. Als er vor einiger Zeit mit meiner Mutter eine auf sie zugeschnittene mehrtägige Wanderung unternommen hat (sie ohne Gepäck, kaum Steigung, kurze Strecken, Übernachtung im Einzelzimmer), rief er mich danach an und sagte mir klipp und klar, dass ich mir gut überlegen sollte, was ich mit Mama in der nächsten Zeit noch an Qualitätszeit verbringen will. Und dass ich damit nicht lange warten sollte. Kluger Mann. Gut, dass ich den hab. Ich bin dann im vorletzten Sommer mit meiner Mutter und meinen beiden kleinen Kindern ein paar Tage nach Rügen gefahren. Und habe gemerkt, wie sichtlich schwer es ihr fällt, Schritt zu halten, und wie gerne sie es trotzdem macht. Danach habe ich meinen Bruder angerufen und mich bei ihm bedankt. Denn er hat recht und ich muss solche Dinge mit der Grosselterngeneration meiner Kinder viel häufiger machen. Die Zeit wird knapp. Irgendwann stürzt jemand blöd und dann ist vieles nicht mehr möglich. Entweder lange oder für immer. Ich muss wertschätzender und aufmerksamer mit der Zeit und der Gesundheit dieser Herzensmenschen umgehen. Sie sind ein Geschenk.
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