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Kontroverse um «Emilia Pérez» und Co.
Was läuft schief mit den Oscar-Filmen?

Frau mit langen Haaren in bunter Umgebung bei einem Festivalmarkt, hinter ihr helle Dekorationen.
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In Kürze:
  • Die Oscar-Anwärter 2024 dominieren durch Skandale statt bemerkenswerte Leistungen.
  • «Emilia Pérez» kämpft mit islamophoben Tweets der Hauptdarstellerin Karla Sofía Gascón.
  • Adrien Brodys Leistung in «The Brutalist» wurde mit KI-Unterstützung verbessert.
  • Mikey Madison verzichtete in «Anora» auf Intimitätskoordination für authentische Szenen.

2024 war das Oscar-Jahr von «Barbenheimer». Und jetzt? Kommerzielle Erfolge kann man die Anwärter im diesjährigen Bewerberfeld nicht nennen: Die zehn Titel, die in der Kategorie Bester Film nominiert sind, haben im Jahr 2024 zusammengenommen weltweit 1,76 Milliarden Dollar eingespielt. Das ist fast 40 Prozent weniger als 2023, als «Barbie» und «Oppenheimer» gestartet sind.

Bisher ist aus dem Bewerberfeld noch kein klarer Favorit hervorgegangen. So unterschiedlich die Machart von Filmen wie «Anora», «The Brutalist» oder «Emilia Pérez» auch ist, es verbindet sie trotzdem etwas: ein Hang zum Skandälchen. Was das «Wall Street Journal» schon zur Frage bewegte, ob an der Oscar-Verleihung am 2. März ganz einfach jener Film gewinnen wird, der die wenigsten Leute vor den Kopf stösst. Worum geht es in den verschiedenen Kontroversen?

Alte Tweets und schiefe Akzente: «Emilia Pérez»

Eine Person, von Reportern umgeben, spricht in Mikrofone bei einer Veranstaltung.

Worum es geht

Lang lief es prächtig für «Emilia Pérez», das spanischsprachige Musical über einen mexikanischen Drogenboss, der sich einer Geschlechtsangleichung unterzieht. Sieg an den Golden Globes, 13 Oscar-Nominierungen, fast so viele wie «Titanic» (14). Und mit der Hauptdarstellerin Karla Sofía Gascón hatte erstmals eine Transperson Chancen auf einen Oscar.

Bis Kritik aufkam an der klischierten Darstellung Mexikos und den schiefen Spanisch-Akzenten. Transpersonen bezeichneten den Film als beleidigend und rückwärtsgewandt, weil er die Diskussion nicht weiterbringe und keine Ahnung habe, was eine Transition bedeute, die er im Fall seiner Heldin als eine Art Verwirrung darstelle.

Richtig arg wurde es, als eine Journalistin alte Tweets von Karla Sofía Gascón heraussuchte, in denen sie sich über die Anzahl Muslime in Spanien beschwerte oder George Floyd als «drogensüchtigen Betrüger» bezeichnete. Auch spottete sie über die «hässliche» Oscar-Verleihung. Inzwischen hat Netflix die Schauspielerin aus der Oscar-Werbekampagne entfernt, sogar in Inseraten, die für den Film werben, fehlen Bild und Name.

Wieso die Aufregung übertrieben ist

Gascóns Äusserungen über den Islam als «Infektion» sind nicht zu rechtfertigen, auch wenn die Tweets gelöscht sind und sie sich mehrfach entschuldigt hat.

Nun hat aber sogar Regisseur Jacques Audiard mit seiner Hauptdarstellerin gebrochen. Das ist insofern ironisch, als sein Film genau davon handelt, dass ein Kartellboss die brutale und toxische Vergangenheit hinter sich lassen will, aber dann doch von ihr heimgesucht wird.

Ausgerechnet der Star dieser Geschichte wird jetzt von unüberlegten Tweets eingeholt. Und der Filmemacher und Autor, der sich die Geschichte ausgedacht hat, lässt Gascón einfach fallen. Gehört zur Toleranz, die die Oscar-Akademie so gern hochhält, nicht auch Toleranz gegenüber alten Dummheiten?

Künstlich übertönt: «The Brutalist»

Ein Mann sitzt im Freien unter einem Baum und schreibt in ein Notizbuch. Im Hintergrund steht ein Fahrrad.

Worum es geht

Krieg, Verfolgung, Flucht und architektonische Visionen: Das dreieinhalbstündige Emigrationsdrama «The Brutalist» (10 Oscar-Nominationen) verhandelt ernste Themen. Dazu musste Adrien Brody als ungarisch-jüdischer Architekt László Toth, der nach dem Zweiten Weltkrieg in Pennsylvania landet, auch noch einige Brocken Ungarisch lernen – eine notorisch schwierige Sprache.

So schwierig offenbar, dass für den Film gewisse Passagen, in denen Brody die Sprache spricht, mit künstlicher Intelligenz (KI) nachgebessert werden mussten, wie der Editor in einem Interview verriet. Seither stellt sich die Frage, wie preiswürdig eine Performance sein kann, wenn es dafür KI-Nachhilfe braucht. Auch das Ungarisch von Felicity Jones, nominiert als beste Nebendarstellerin, musste künstlich geglättet werden. Die Chancen auf einen Sieg seien bei beiden gesunken, finden manche Kommentatoren.

Wieso die Aufregung übertrieben ist

Laut Regisseur Brady Corbet wurde KI dazu benutzt, um bestimmte Vokale und Konsonanten glaubhafter klingen zu lassen. Ansonsten sei an den Darbietungen von Adrien Brody und Felicity Jones nichts geändert worden.

Die Sensibilität gegenüber dem Einsatz von KI ist in Hollywood gross. Nicht erst seit den Streiks gilt die Technologie als Jobkiller, besonders auf Stufe von kreativen Zulieferern wie etwa Grafikdesignern.

Doch verglichen mit der Unmenge an visuellen Tricks, die heute in jeder Fernsehserie verwendet werden, fällt die Sprachkosmetik von «The Brutalist» kaum ins Gewicht: Die Anpassungen betreffen ein paar wenige Minuten in einem ambitionierten Drama und wurden vor allem deswegen gemacht, weil die Zeit fehlte, um die Szenen zu wiederholen.

Und kam «Emilia Pérez» nicht genau deswegen in die Kritik, weil die Spanisch-Akzente zu wenig authentisch klingen? Etwas mehr KI hätte doch auch in diesem Fall Verbesserungen gebracht.

Intimität ohne Koordination: «Anora»

Eine Gruppe von Menschen spielt Poker in einem Casino. Eine Frau umarmt einen Mann mit Sonnenbrille und Leopardenjacke. Im Hintergrund sind Spielautomaten zu sehen.

Worum es geht

Nach #MeToo sollte Intimitätskoordination zum Industriestandard in der Filmwelt werden. Gemeint ist damit, dass erotische Momente in einem Film ähnlich einer Actionszene choreografiert werden, damit etwa ungewollte Berührungen ausgeschlossen werden können.

Ausgerechnet das in Cannes mit der Goldenen Palme geehrte Sexworker-Porträt «Anora» (6 Nominationen) verzichtete auf diese Hilfestellung. Hauptdarstellerin Mikey Madison wollte sich nach eigener Aussage lieber in die Rolle «hineingeben», anstatt ihre zahlreichen Nacktszenen vorab zu koordinieren – was alle erzürnte, die sich dafür einsetzen, dass sich Intimitätskoordination durchsetzt.

Wieso die Aufregung übertrieben ist

Regisseur Sean Baker drehte gewisse Szenen für seine frenetische Komödie auch mal auf der Strasse in Las Vegas, ohne dafür alles abzusperren: Im fertigen Film sieht man im Hintergrund die neugierigen Passanten. Die Unmittelbarkeit solcher Momente waren ihm und seiner Hauptdarstellerin Mikey Madison auch in den intimen Augenblicken wichtig. Und auch wenn Intimitätskoordination zweifellos ein Fortschritt darstellt, wird man die mündige Entscheidung einer Schauspielerin, darauf zu verzichten, sicherlich respektieren.

Madison wurde denn auch ringsum gelobt für ihren Einsatz, und «Anora» gehört nach den jüngsten Siegen bei den Critics Choice Awards und den Director Guild Awards zu den grössten Oscar-Favoriten.

Die Academy Awards werden am 2. März vergeben.