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«Emilia Pérez»: Film mit trans Heldin
Musicals im Kino sind der grösste Spass

Energisch spielt Karla Sofía Gascón im Filmmusical «Emilia Pérez» die trans Frau Emilia, die einst ein Mann und ein Kartellboss war.
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In Kürze:
  • Im Filmmusical «Emilia Pérez» will ein Drogenboss eine Frau werden.
  • Hollywood vermeidet oft das Etikett «Musical» aus kommerziellen Gründen.
  • Auf «Joker: Folie à deux» folgt mit «Wicked» erneut ein teures Filmmusical.

Das Problem von Kino-Musicals? Niemand mag sie.

Beziehungsweise: Die US-Filmindustrie geht inzwischen davon aus, dass es besser ist, ein Musical nicht als Musical zu bezeichnen, weil das nur abschreckt.

«Wonka», der Besuch in der Schokoladenfabrik mit Timothée Chalamet? Gemäss Werbung ein fröhlicher Film für die ganze Familie, aber kein Musical.

«Joker: Folie à deux»? Auch wenn Lady Gaga mitspielt – kein Musical. Die Fortsetzung des Filmhits «Joker» sei anders als viele Musicals, erklärte die Sängerin gegenüber den Medien: «Durch die Musik können die Figuren etwas ausdrücken, was sie sonst nicht ausdrücken können.»

Worauf das Internet antwortete: Genau so definiert man ein Musical.

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Nun gehört zum Filmmusical viel mehr als nur gesungenes Gefühlszeug; Choreografie, Kameraarbeit und so weiter. Dennoch hält sich Hollywood auffällig zurück mit dem Etikett. In den letzten fünfzehn Jahren gab es ein paar kommerzielle Hits, darunter «Les misérables» oder «La La Land», dieser Film gewann sechs Oscars.

Studios setzen auch wegen solcher Erfolge auf das Genre – viel wichtiger ist aber, dass Musicals wie Brands funktionieren, die fast alle kennen. Flops wurden viele Filmversionen trotzdem. Die schwer digital bearbeitete Kinoadaption von «Cats» geriet nicht anmutig, sondern unheimlich. Steven Spielbergs Version von «West Side Story» kam besser weg, spielte aber wenig Geld ein.

Wer sichergehen will, paart eine bekannte Geschichte mit noch bekannteren Darstellern und schärft der Marketingabteilung ein, das Wort «Musical» um jeden Preis zu vermeiden. Immerhin «Wonka» wurde so zum Kassenerfolg.

«Emilia Pérez»: Das Melodrama berührt umso mehr

Dafür passiert dem naiven Publikum immer öfter, dass es sich auf eine Komödie einlässt und dann mit zunehmendem Entsetzen beobachtet, dass sich hinter der Hauptfigur gerade eine Gruppe von Statisten formiert. Fangen die jetzt an zu … tanzen und zu singen?

Logisch, es ist ja ein Musical. Und es macht Spass, weil es ein Musical ist und wir Profis dabei zuschauen können, wie sie singen und tanzen.

«Emilia Pérez» – ein spanischsprachiger Film in Mexiko, gedreht vom Franzosen Jacques Audiard («Un prophète») – zeigt gerade, wozu das Genre imstande ist. Die Geschichte überhöht die soziale Realität von Drogenkartellen und Männlichkeitsvorstellungen und macht daraus ein künstliches Melodrama, das umso mehr berührt.

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Es beginnt mit der Anwältin Rita (Zoe Saldaña), die umgeben ist von so talent- wie skrupellosen Chefs. Sie übt im Supermarkt ein Plädoyer, tritt auf die Strasse und findet sich unter Passanten wieder, die mit ihr die Choreografie der Ungerechtigkeit tanzen.

Audiard bringt es in der Szene fertig, den französischen Musical-Meister Jacques Demy («Les parapluies de Cherbourg») zu zitieren und nebenbei eine Messerstecherei zu inszenieren. Beides zusammen wirkt erst mal frivol, fast schrill – als sei die Strassengewalt Mexikos bloss Kulisse für einstudierte Tanznummern.

Aber darum gehts hier. Was berührt, ist der filmische Effekt. Was bewegt, ist die Bewegung. Und die grösste Bewegung in «Emilia Pérez» besteht in der Transformation der Heldin, dem Kartellboss Manitas, der eine Frau werden möchte, nämlich Emilia Pérez (beide Rollen spielt ganz toll Karla Sofía Gascón, die selber trans ist). Rita soll helfen, einen Chirurgen zu finden.

Regisseur Audiard fand die Strassen in Mexiko zu «echt», wie er sagte, zu kompliziert, zu voll, und das Licht gefiel ihm auch nicht. Also drehte er viele Szenen im Studio.

Selena Gomez spielt Jessi, die Frau des Drogenbosses Manitas.

Das Resultat ist Gefühlskino, das gerade wegen der Stilisierung einen Gegenpol bietet zur bizarren Politisierung von Transidentität. Es ist ein emotionaler Punch gegen die Hysterisierung des Themas. Man begreift mehr vom Leid, weil «Emilia Pérez» übertreibt.

Dazu gehört, dass die Inszenierung stets sichtbar bleibt. Audiard ist kein Abfilmer, er schafft aufwendige Perspektiven und kennt die Geschichte der Filmmusicals. Und er hat Ideen, wie Musik filmisch dargestellt werden kann – mit Effekten wie etwa Lichtblitzen, die die Musikalität akzentuieren.

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«Entweder die Kamera tanzt oder ich tanze», hat Fred Astaire einmal befohlen. Audiard ist eher der Meinung, dass die Kamera tanzen muss. Er hat grossartig energische Darstellerinnen – Zoe Saldaña, Karla Sofía Gascón und Selena Gomez als Frau des Drogenbosses –, doch die Kamera bewegt sich oft mehr als sie, während die Choreografien auch mal etwas Beiläufiges behalten.

Womöglich wirken Musicals im Kino auch deswegen auf viele Leute unattraktiv, weil sie uns in jedem Moment daran erinnern, dass Filme hergestellt werden. Dass es Bühnenbild, Performance, Timing braucht. Einlullen lassen kann man sich da schlecht.

«Wicked»: Mitsingen im Kinosaal

Jedenfalls: Wer Zoe Saldaña in «Emilia Pérez» beobachtet, ihre genauen, zackigen Gesten und ihren abrupten Wechsel zwischen den Tonfällen, wird sehen: Film ist immer Kalkül und Erregung, immer Disziplin und Ausbruch zugleich.

L to R: Ariana Grande is Glinda and Cynthia Erivo is Elphaba in WICKED, directed by Jon M. Chu

Was auch erklärt, weshalb «Joker: Folie à deux» kaum jemanden überzeugte. Zu wenig motiviert wirkte diese Aneinanderreihung von Showtunes in der existenziellen Brutalität von Gotham City.

Und bald startet das nächste Musical, der erste Teil des Kinozweiteilers «Wicked», eine Filmversion des Broadway-Hits nach «The Wizard of Oz». In den USA gab es bereits Berichte, wonach Fans des Bühnenmusicals lautstark im Kinosaal mitgesungen haben – was anderen Besucherinnen und Besuchern gar nicht gefiel.

Bloss: Was stört sie daran? Es ist ein Musical, und wenn es ein Problem gibt damit, dann sind es freudlose Menschen.

«Emilia Pérez» jetzt im Kino, «Wicked» ab 12. 12.