Tiefsteuerparadies für Konzerne Wie Irland seine Steuereinnahmen retten will
Einst eines der ärmsten Länder Europas, erlebt Irland einen wirtschaftlichen Aufschwung durch niedrige Steuern. Die OECD-Reform könnte die Finanzbonanza jedoch beenden.
Der Kontrast könnte kurioser nicht sein. Hier Krawalle auf den Strassen der Hauptstadt Dublin, Wohnungsnot, dringliche Appelle zur Hilfe für die Ärmsten, eine vernachlässigte Infrastruktur. Dort Staatseinnahmen, wie sie weltweit kaum ein anderes Land verzeichnet – und wie Irland selbst, mit seinen etwas über 5 Millionen Einwohnern, sie in diesem Umfang nie erwartet hat.
Tatsächlich erlebt die Insel im Nordwesten Europas zurzeit eine regelrechte Bonanza. Milliarden an Euros, mit denen noch vor zehn Jahren niemand gerechnet hätte, sprudeln gegenwärtig in die Staatskasse. Gemessen am Bruttonationalprodukt pro Kopf der Bevölkerung belegt Irland aktuell laut Internationalem Währungsfonds (IWF) unter 192 Nationen Platz zwei, gleich nach Luxemburg. Die Schweiz folgt auf Rang sechs.
So gross sind die Einnahmen, dass sich die irische Regierung in diesem Herbst entschlossen hat, zwei staatliche Fonds einzurichten, die sich in künftigen Jahren als zusätzliche Geldreserven etwa zur Umstellung auf grüne Energiegewinnung oder zur Verbesserung der öffentlichen Dienste nutzen lassen.
Der Kontrast zur Vergangenheit ist jedenfalls bemerkenswert. Noch bis in die 80er-Jahre des vorigen Jahrhunderts hinein war Irland ja ein ausgesprochen armes Land an der Peripherie Europas. Ein Land, das immer neue Wellen an Emigration durchlitt, weil es seine Bevölkerung nicht ernähren konnte, und das lange auf Hilfe aus dem Rest Europas angewiesen war.
Ein jäher Zusammenbruch für den «Keltischen Tiger»
Mitte der 90er-Jahre besserte sich dann die Lage. Rund zehn Jahre lang ging es deutlich bergauf. Überall war respektvoll vom «Keltischen Tiger» die Rede. Bis sich anlässlich des Credit Crash von 2008 herausstellte, dass der «Tiger» eine Schimäre war und sich der neue Reichtum skrupellosen Bau-Spekulationen und einer hochriskanten Verschuldung der Banken verdankte. Dass das Ganze, letztendlich, unhaltbar war.
Nach dem spektakulären Kollaps der Inselfinanzen damals mussten der Internationale Währungsfonds und die Europäische Union den Iren 2010 mit 67,5 Milliarden Euro unter die Arme greifen. Seinerzeit wurde die Irische Republik im gleichen Atemzug wie Griechenland genannt.
Erst Ende 2013 konnte das Hilfsprogramm – mit seinen drakonischen Auflagen – beendet werden. Schon im folgenden Jahr deutete sich freilich ein neuer, andersartiger Aufschwung an.
Nach und nach begannen sich nämlich grosse internationale Konzerne für Irland zu interessieren. Die geringe Körperschaftssteuer von 12,5 Prozent erwies sich dabei als ein starker Magnet.
Ins Gewicht fielen ausserdem die relative politische Stabilität Irlands, die Verkehrssprache Englisch und nicht zuletzt Irlands starke Verankerung in der EU. Während die britischen Nachbarn 2016 den Ausstieg aus der Union beschlossen, offerierte Irland seinen Investoren weiterhin freien Zugang zum Kontinent.
Mittlerweile hat sich in Irland eine beeindruckende Zahl vornehmlich US-amerikanischer Techno- und Pharma-Riesen angesiedelt. Firmen wie Apple, Amazon, Google, Microsoft, Meta und Pfizer unterhalten riesige Niederlassungen und beschäftigen Tausende von Mitarbeitern im ganzen Land.
Vor allem kommen die Steuern, die sie zahlen, dem irischen Staat zugute. «Die Körperschaftssteuer macht mehr als ein Viertel der irischen Gesamt-Steuereinnahmen aus», erklärt es Alan Berrett vom Irischen Institut für Wirtschafts- und Sozialforschung. «In den meisten hoch entwickelten Ökonomien sind es im Schnitt 10 Prozent.»
Auf Apple und Microsoft entfallen 30 Prozent der Steuern
So sehr dieser Geldsegen Irland zugutegekommen ist und nun die Einrichtung nationaler Fonds erlaubt hat, so besorgt sind Experten und Politiker auf der Insel, dass die Bonanza einmal plötzlich zu Ende geht. Zwar hält der Boom zur Zeit noch an. Und Abwanderungszeichen seitens der Konzerne gibt es bisher nicht. Aber die Erfahrung des «Keltischen Tigers», mit dem Trauma der Folgejahre, wirkt noch immer nach.
Vom Januar an muss die Körperschaftssteuer ausserdem von 12,5 auf 15 Prozent angehoben werden – was sich die OECD ausbedungen hat. Weitere Verhandlungen sind im Gang. Im Rest der EU schaut man schon lange missmutig nach Irland hinüber. Und in den USA, wo die meisten der Grosskonzerne zu Hause sind, erwägt Joe Bidens Administration offenbar, mehr Geschäftsaktivitäten ans eigene Land zu binden in nächster Zeit.
In Irland aber hängt viel davon ab, dass diese Riesen ihre Stützpunkte auf der «Grünen Insel» behalten. Von ihnen ist das Land äusserst abhängig geworden, Jahr für Jahr. Zehn der multinationalen Konzerne bestreiten fast 60 Prozent der Körperschaftssteuer, die Dublin derzeit einnimmt. Apple und Microsoft allein sind für 30 Prozent verantwortlich. Für ein Zehntel aller Arbeitsplätze in Irland kommen die «Multis» auf.
Um sich für eine ungewisse Zukunft zu rüsten, hofft man in Dublin nun allein schon über den neu eingerichteten Hauptfonds, den «Future Ireland Fund», bis zum Jahr 2035 100 Milliarden Euro extra anzusparen. Manche Politiker fordern allerdings einen schnelleren Einsatz der Gelder.
Die allgemeine Wohnungsnot etwa, akute Schwächen im Gesundheitswesen und der Mangel an öffentlichen Verkehrsmitteln sind bis heute ernste Probleme geblieben. Und Hunderttausende von Iren leben noch immer in Armut – wie sehr die Staatskasse auch überquellen mag.
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