Neue Studie zu UnternehmenssteuernIn vielen Ländern profitieren nur die Berater von der OECD-Steuerreform
Die Massnahmen gegen Gewinnverschiebungen in Tiefsteuerländer wie die Schweiz bringen nicht den gewünschten Erfolg, wie das Beispiel Chile zeigt.
36 Prozent der Gewinne multinationaler Unternehmen werden weltweit in Tiefsteuerländer verschoben, schätzt eine viel zitierte Untersuchung der Forscher Thomas Tørsløv, Ludvig Wier, Gabriel Zucman aus dem Jahr 2022.
Eine Untersuchung von Forschern des deutschen Ifo-Instituts schätzt, dass 3600 untersuchte Multis ihre Steuerlast durch Gewinnverschiebungen weltweit um 53 Milliarden Euro verringern.
Die Multis steuern ihre konzerninternen Zahlungen von Lizenzgebühren, Zinsen, Dienstleistungen oder Zwischenprodukten so, dass der Gewinn in der Schweiz, Irland, Luxemburg, Singapur, den Niederlanden, auf den Kanalinseln oder in karibischen Steuerparadiesen anfällt. Den anderen Ländern fehlen diese Steuereinnahmen.
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) versucht deshalb seit langem, diese Gewinnverschiebungen mit strengen, detaillierten und international harmonisierten Regelungen zu unterbinden.
Chile ist den Empfehlungen der OECD gefolgt und hat 2011 in einer grossen Gesetzesreform die Informationspflichten der Unternehmen über ihre konzerninternen Verrechnungen verschärft und gleichzeitig die Steuerbehörden stark ausgebaut, um die neuen Regeln durchzusetzen. Chile wurde damit zum Musterknaben bei der Umsetzung der OECD-Verrechnungspreisstandards.
Ausser Spesen nichts gewesen
Die Folgen der Reform hat nun ein Team von Forscherinnen und Forschern der Universitäten Zürich, Harvard, Berkeley und Stanford untersucht, unter ihnen die Zürcher Professorin Dina Pomeranz und der Ungleichheitsexperte Gabriel Zucman.
Das Resultat ist ernüchternd und kann in einem Satz zusammengefasst werden: Ausser Spesen nichts gewesen. Entgegen den Erwartungen der OECD und der chilenischen Regierung hat die Reform die Gewinnverschiebung nicht einschränken können, und die Wirkung auf die Steuereinnahmen war gleich null.
«Für die Steuerberater ist das Ganze eine tolle Sache. Im Jahr 2011 waren wir ein Team von 2 Personen. Jetzt sind wir 26.»
«Es gibt keine einfachen Lösungen im internationalen Steuerwettbewerb», schliesst Monika Bütler, Ökonomin und HSG-Honorarprofessorin, aus der Chile-Studie, und «die meisten Reformvorschläge haben unbeabsichtigte Folgen».
Das war auch hier der Fall: Die Zahl der Verrechnungspreisexperten bei den vier grössten Beratungsunternehmen in Chile explodierte nach der Reform. Sie hat sich innert dreier Jahre von 8 auf 96 verzwölffacht. Die einzigen Profiteure der OECD-Empfehlungen waren also Deloitte, EY, KPMG und PWC.
Aufschlussreich sind die Aussagen, welche das Forscherteam in ausführlichen Interviews mit Verrechnungssteuerexperten und Vertretern der Steuerbehörden in Chile gesammelt hat. «Für die Steuerberater ist das Ganze eine tolle Sache. Im Jahr 2011 waren wir ein Team von 2 Personen. Jetzt sind wir 26», sagt ein Berater.
Die Reform zwang die Unternehmen dazu, internationale Steuerexperten zu engagieren, um angesichts der detaillierten Vorschriften keine Fehler zu machen und Bussen zu vermeiden. Die Beratungsunternehmen nutzten dann die Gelegenheit, den Multis ihre Steuerstrategiedienste zu verkaufen. Dazu gehört die systematische Identifizierung von Möglichkeiten zur Steuersenkung durch Steuerplanung, etwa die Konzentration von Kostenstellen in bestimmten Ländern.
Die Steuerbehörden stehen auf verlorenem Posten
«Wir haben gelernt, dass die Reform für unser Unternehmen eine Chance ist und nicht nur eine Frage der Steuereinhaltung. Wir müssen die Verrechnungspreise als eine Strategie sehen», sagt ein Unternehmensvertreter.
«Ich stimme der Hypothese voll und ganz zu, dass die zunehmende Verfügbarkeit von Fachberatern in Chile den Unternehmen geholfen hat, ihre Steuerstrategien so zu optimieren, dass sie trotz mehr Überwachung am Ende nicht mehr Steuern zahlen müssen», sagt ein Berater, «das ist genau das, was ich auch bei meinen Kunden sehe».
Die Steuerbehörden stehen oft auf verlorenem Posten. «Sie können planen. Es ist sehr einfach, sie (die Vorschriften) zu umgehen», so ein befragter Experte. Zudem werden die besten Experten der Steuerbehörden von den Beratungsunternehmen abgeworben.
Ein Vertreter der Steuerbehörden bringt es auf den Punkt: «Die Reform ist das Schlimmste aus beiden Welten. Die Meldepflicht hat die Unternehmen zu den Beratern getrieben, die ihnen wiederum beigebracht haben, wie sie steuerlich effizienter arbeiten können. Gleichzeitig ist die Überwachungskapazität begrenzt.»
«Wir kommen zum Schluss, dass im Wettlauf zwischen Steuervollzug und Steuerplanung die Steuerplanung gewonnen hat.»
Von der Reform profitiert einzig die Steuerplanungsbranche. Zahlen müssen das die multinationalen Unternehmen, die mehr für Steuerberatung zahlen, und der Staat, der mehr für die Überwachung ausgibt, ohne dass die Steuereinnahmen dadurch steigen.
Solche Reformen seien «anfällig für ausgeklügelte Steuerplanung durch multinationale Unternehmen und die Steuerberatungsbranche», stellt das Forschungsteam fest. Die Ergebnisse liessen «Zweifel an der Annahme aufkommen, dass Vorschriften, die immer detailliertere Informationen über innerbetriebliche Transaktionen verlangen, die Steuerverlagerung wirksam einschränken können».
«Wir kommen daher zum Schluss, dass im Wettlauf zwischen Steuervollzug und Steuerplanung die Steuerplanung gewonnen hat», so das Fazit der Studie.
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