Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

OECD-Mindeststeuer
Und plötzlich kämpfen die Wirtschaftsverbände gegen Keller-Sutter

epa08132693 Swiss Federal Councillor Karin Keller-Sutter speaks during a ministerial meeting and forum on migration and integration at OECD headquarters, in Paris, France, 16 January 2020. The meeting is focused on lessons from global migration over the past decade and to prepare for the future.  EPA/CAROLINE BLUMBERG
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Dass das letzte Wort zur OECD-Steuerreform noch nicht gesprochen war, als die Stimmbevölkerung diese annahm, war schon bei der Abstimmung im Juni klar. Dass der nächste innenpolitische Streit darüber bereits ein halbes Jahr später folgen würde, war dagegen nicht absehbar.

Entbrannt ist dieser an einem vermeintlichen Detail: 78,5 Prozent der Stimmenden erlaubten damals dem Bundesrat, die Reform auf Anfang 2024 umzusetzen; sie verpflichteten ihn jedoch nicht dazu. Wie die Regierung damit umgeht, entscheidet, in wessen Kassen Hunderte Millionen Franken fliessen.

Der Bundesrat wird seinen Entscheid kurz vor Weihnachten fällen. Wie verschiedene Gesprächspartner sagen, soll die zuständige Finanzministerin Karin Keller-Sutter die klare Präferenz haben, die Reform auf 2024 umzusetzen. Dagegen hat sich insbesondere unter den Wirtschaftsverbänden, aber auch unter Parlamentariern Widerstand formiert.

Anreize, um mitzumachen

Die Steuerreform beinhaltet im Wesentlichen die Einführung einer minimalen Gewinnbesteuerung für sehr grosse Unternehmen von 15 Prozent. In den meisten Schweizer Kantonen liegen die Sätze heute tiefer.

Zum Mitmachen bewegt hat die Schweiz die globale Dimension des Regelwerks: 140 Länder haben einem System zugestimmt, laut dem Staaten die Differenz abschöpfen dürfen, wenn anderswo der Mindeststeuersatz von 15 Prozent nicht erreicht wird.

Sollte also BMW in der Schweiz nur 12 Prozent Steuern zahlen, dürfte der deutsche Staat die fehlenden 3 Prozentpunkte bei der dort ansässigen Muttergesellschaft eintreiben. Im umgekehrten Fall könnten die Deutschen mit Tochterfirmen eines Schweizer Konzerns gleich verfahren – gleiche Steuersätze wie im vorigen Beispiel vorausgesetzt.

So besteht ein Anreiz für Länder, die eigenen Unternehmenssteuern auf 15 Prozent zu erhöhen. Schliesslich will keine Finanzministerin, dass Geld ins Ausland abfliesst, das sie selbst hätte einziehen können. Für die Unternehmen spielt keine Rolle, wo sie die 15 Prozent zahlen.

U.S. Treasury Secretary Janet Yellen speaks during a news conference at the National Palace in Mexico City, Thursday, Dec. 7, 2023. (AP Photo/Fernando Llano)

Die internationale Gemeinschaft erhofft sich vom Regelwerk, dass sich Staaten künftig nicht mehr mit tiefen Steuern gegenseitig unterbieten. Allerdings hat der Industrieländerclub OECD, der die Reform organisiert, ein bürokratisches Monster mit verschiedenen Schlupflöchern geschaffen.

Kurz nach der Abstimmung im Sommer bestand unter den meisten Beteiligten in der Schweiz der Konsens, dass der Bundesrat die Reform auf 2024 umsetzen würde. Er hatte bekannt gegeben, dass er sich vor allem an der Europäischen Union orientieren wolle, die wiederum die Einführung auf 2024 plante.

Das ist, mit Ausnahme verschiedener kleiner Mitglieder, weiterhin so. Darüber hinaus planen Grossbritannien, Kanada, Australien, Japan und Südkorea eine Umsetzung auf Anfang nächsten Jahres.

Allerdings haben mit den USA, China, Indien, Brasilien, Hongkong oder Singapur wichtige Wirtschaftsstandorte die Einführung verschoben. Oder sie drohen, die Reform gar nicht umzusetzen. Insbesondere das Vorgehen der USA hat grossen Einfluss auf Entscheidungen anderer Regierungen.

Die USA haben im Juli einen wichtigen Entscheid der OECD erwirkt: Firmen aus Ländern mit einem Steuersatz von über 20 Prozent müssen im Ausland keine Steuerdifferenz begleichen, selbst wenn sie im Heimatland dank allerlei Abzügen effektiv deutlich unter 15 Prozent bezahlen. Die Festlegung auf 20 Prozent ist kein Zufall: Der Gewinnsteuersatz in den USA liegt bei 21 Prozent.

Welche Variante ist weniger schlecht?

Einen «Gamechanger» nennt das Martin Hess, Steuerexperte beim Verband Swissholdings, in dem sich die Schweizer Grosskonzerne organisiert haben. «Mittlerweile haben sich drei Viertel der ursprünglich teilnehmenden Länder gegen eine Einführung auf 2024 entschieden.»

Führte die Schweiz die Reform also nicht Anfang 2024 ein, würde nicht so viel potenzielles Steuergeld abfliessen wie ursprünglich befürchtet. Hinzu kommt, dass andere Staaten bei Schweizer Konzernen bis 2025 eine allfällige Steuerdifferenz noch nicht abschöpfen könnten; diese Regel tritt global erst ein Jahr später als der Rest des Regelwerks in Kraft.

«Der Schaden wäre darum grösser, wenn der Bundesrat die Reform schon auf 2024 einführen sollte», sagt Hess. So reiche es schon, während nur eines Jahres steuerlich im Vergleich mit konkurrierenden Standorten unattraktiver zu sein, damit sich Konzerne umorganisierten und langfristig weniger Investitionen in der Schweiz tätigten. «Es geht hier auch darum, ein Zeichen zu setzen, dass man den Unternehmen weiterhin Sorge tragen will», sagt Hess.

Vor allem aber sei die Schweiz bei einer schnellen Umsetzung Vorreiterin bei einer Reform, die sich vielleicht gar nicht überall durchsetzen werde. Ähnlich hatte es der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse Ende Oktober in einem Positionspapier formuliert. «Es bestehen begründete Zweifel, ob das Regelwerk jemals global verbreitet eingeführt wird.» Je nach Entwicklungen im Ausland könne man die Reform in einem Jahr immer noch einführen.

Ein Auge auf die schlecht gefüllte Kasse

Mit diesen Argumenten versuchten die Wirtschaftsverbände zuerst, Bundesrätin Keller-Sutter an einem Treffen direkt von einer Verschiebung zu überzeugen. Als das nicht gelang, wandten sie sich an die Wirtschaftskommissionen der beiden Parlamentskammern. Diese schickten daraufhin einen Brief mit der gleichen Botschaft an die Finanzministerin.

Um den Druck hochzuhalten, haben ausserdem verschiedene SVP-Parlamentarier kritische Fragen zum Thema eingereicht, die Keller-Sutter am kommenden Montag während der Fragestunde im Nationalrat beantworten muss.

Im Moment jedoch lässt sich diese über einen Sprecher nur knapp verlauten. «Der Bundesrat wird bei seinem Entscheid alle relevanten Aspekte berücksichtigen. Dazu gehören auch die internationalen Entwicklungen bei der Umsetzung des OECD-Projekts, die das Eidgenössische Finanzdepartement eng verfolgt.»

Denkbar ist, dass auch der Druck der EU betreffend des künftigen Verhältnisses zur Schweiz (Bilaterale III) eine Rolle spielt. Weiter beeinflusst mit Blick auf die angespannte Finanzsituation die Aussicht auf zusätzliche Steuereinnahmen die Entscheidfindung im Bundesrat.

Die Schätzungen des Bundes bezüglich des zusätzlichen Volumens reichen von 1 bis 2,5 Milliarden Franken – der grösste Teil davon fliesst jedoch an die Kantone. Dieser Spiess lässt sich allerdings umdrehen: Damit ist man bei einer entscheidenden Erklärung für das Lobbying der Wirtschaftsverbände angelangt.