Deutschland vor NeuwahlenSoll die SPD Scholz noch auswechseln?
Der amtierende Kanzler ist derart unbeliebt, dass seine Partei mit ihm eine schwere Niederlage fürchtet. Ein später Wechsel wäre aber ebenfalls heikel.

- In der SPD nimmt das «Grummeln» über Olaf Scholz zu.
- Der beliebte Boris Pistorius könnte Scholz als Kanzlerkandidat ersetzen.
- Die Beliebtheitswerte des Kanzlers sind katastrophal.
- Parteichef Lars Klingbeil unterstützt Scholz weiterhin.
Noch sind es nur unbekannte Hinterbänkler, die öffentlich fordern, die SPD solle Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten durch Boris Pistorius ersetzen, den rasend beliebten Verteidigungsminister. So dürfte es aber nicht bleiben. In der Partei sei ein «Grummeln» zu vernehmen, bestätigt Rolf Mützenich, der mächtige Chef der Fraktion im Bundestag. Wenn schon der vorsichtige Mützenich von Grummeln spricht, heisst das: Hinter verschlossenen Türen läuft die Debatte.
In der Öffentlichkeit stellt sich die SPD-Spitze aber noch wie ein Mann hinter den Kanzler. Parteichef Lars Klingbeil sagt, die Neuwahl werde zu einem politischen Richtungsentscheid zwischen Scholz und Friedrich Merz werden, dem Kanzlerkandidaten von CDU und CSU. Mützenich meint, der amtierende Kanzler sei dafür der richtige Kandidat. Pistorius selbst sagt, Scholz sei der designierte Kanzleranwärter. «Ich sehe niemanden in der Partei, der daran etwas verändern möchte.»
Der Glaube an ein neues Scholz-Wunder schwindet
Im Innern der sozialdemokratischen Partei jedoch schwindet der Glaube, dass Scholz bis zur Wahl in drei Monaten das Wunder wiederholen könnte, das ihn 2021 ins Kanzleramt gebracht hatte. Anders als damals, als er vielen als der am wenigsten schwache von drei Kanzlerkandidaten erschien, kennen ihn die Deutschen jetzt. Die negativen Ansichten über ihn haben sich verfestigt.
Für einen Kanzler sind seine Werte katastrophal. In einer repräsentativen Umfrage der «Bild»-Zeitung landete er auf der Liste der beliebtesten Politiker gerade auf Platz 19 von 20; selbst AfD-Chefin Alice Weidel und FDP-Chef Christian Lindner sind beliebter. In einer RTL-Umfrage zur Kanzlerpräferenz reichte es Scholz hinter Merz und dem Grünen Robert Habeck nur zu Rang 3. Pistorius hingegen würde Merz und Habeck weit überflügeln. Allerdings wird in der Bundestagswahl der Kanzler nicht direkt gewählt.

Formell festlegen, wer die SPD in die Wahl führen wird, dürfte wahrscheinlich erst der Parteitag, der irgendwann im Januar stattfinden wird. Liegt die Partei dann immer noch 15 bis 18 Prozentpunkte hinter CDU/CSU – eine «sehr aufholbare Grössenordnung», findet Scholz –, ist es nicht ausgeschlossen, dass die SPD ihn noch fallen lässt. Das wäre ein gewaltiger, kühner Zug. Aber auch einer, der Risiken mit sich brächte.
Zum Beispiel würde die Erzählung zusammenbrechen, dass es die streitsüchtigen, «ideologischen» Grünen und Liberalen gewesen seien, die Scholz am guten Regieren gehindert hätten. Pistorius wiederum mag zwar der beliebteste Politiker Deutschlands sein, beliebt ist er aber vor allem ausserhalb der SPD. Die Genossen polarisiert er eher.
Seine entschlossenere Unterstützung der Ukraine und seine Mahnung, Deutschland müsse wieder «kriegstüchtig» werden, verschrecken in seiner traditionell friedensbegeisterten Partei viele. Nicht wenige sind deswegen zu Sahra Wagenknecht übergelaufen. Und wer von ausserhalb der SPD Pistorius’ Meinung teilt, kann auch die Grünen oder die Christdemokraten wählen.
Scholz steht unter strenger Beobachtung – seiner Partei
Der 46-jährige Klingbeil wiederum, der zuweilen ebenfalls als möglicher Ersatz für Scholz genannt wird, dürfte eher auf ein Ministeramt in einer nächsten Grossen Koalition schielen, als sich als chancenloser Ersatzkanzlerkandidat verbrennen zu lassen. Auch die Wahlen in den USA machen der SPD keinen Mut: Der Last-Minute-Wechsel von Joe Biden zu Kamala Harris änderte am Ende nur wenig an der desaströsen Ausgangslage der Demokratischen Partei.
Solange Scholz nicht als Kandidat ernannt ist, steht der 66-Jährige jedenfalls unter Beobachtung. Seine SPD, so hat die Spitze verschiedentlich gefordert, möchte ihn jetzt kämpfen sehen. Ein Anfang ist gemacht: Nach der Rede, in der er mit harschen Worten die Entlassung Lindners und das Ende der Koalition verkündet hatte, wurde ihm in der Fraktion minutenlang applaudiert. Auch die angriffslustige Wahlkampferöffnung, zu der er seine Regierungserklärung im Bundestag heute nutzte, gefiel den Genossen. Ob die neuen Töne auch den Deutschen gefallen, wird sich erst zeigen müssen.
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