Wahlen in Ostdeutschland«Sahra kommt. Da müssen wir hin!»
Sahra Wagenknechts Bündnis bietet Menschen eine Alternative, die von den anderen Parteien enttäuscht sind, aber nicht AfD wählen wollen. Besuch bei ihren Fans.

«Sahra kommt!», versprechen Plakate überall in Ostdeutschland, wo am Sonntag neue Parlamente gewählt werden. Und die Menschen strömen herbei. Mehr als 1000 sind es am Donnerstagabend bei grosser Hitze in der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt.
Barbara Rehfeldt, Suchttherapeutin in einer kleinen Klinik im benachbarten Brandenburg, ist eine von ihnen. Die 64-Jährige ist mit ihrem Mann auf der Rückfahrt von einer Donauschiffsreise, hat die Plakate gesehen und wusste sofort: «Da müssen wir hin!» Sahra Wagenknecht spreche ihr aus dem Herzen. Sie sei eine so kluge Frau – und Frauen brauche es in der Politik sowieso noch viel mehr.
Frieden in Europa – das drängendste Thema
Wie Wagenknecht hält Rehfeldt Krieg und Frieden in Europa für das drängendste Thema. Anders als die meisten Westdeutschen ist sie strikt dagegen, der Ukraine weiter Waffen zu liefern, damit diese sich gegen den mörderischen Angriff Russlands verteidigt. «Man kann Krieg nicht mit Waffen beenden.»
Russlands Überfall sei zwar auch für sie «ein Schock» gewesen. Aber natürlich habe er auch eine Vorgeschichte gehabt – die Ausdehnung der Nato bis an Russlands eigene Grenzen – und sei deswegen nicht ganz «unverständlich» gewesen. Ohnehin mischten bei diesem Krieg im Hintergrund ja noch «andere Mächte» mit. Es liegt auf der Hand, dass sie vor allem die USA meint.

Rehfeldts Mann stammt selbst aus der Ukraine, lebt aber seit Jahrzehnten in Deutschland. Von der Ukraine hält das Paar wenig. Da blühten derzeit nur Nationalismus und Korruption. «Mein Mann sagt immer: ‹Was bilden die sich ein, wer sie sind?›» In Deutschland wiederum glaube man wohl, man könne sich durch das Hochfahren der Rüstungsindustrie wirtschaftlich gesundstossen. «Ich finde das unsäglich und gefährlich.» Der Krieg müsse jetzt einfach aufhören. Dafür brauche es aber Verhandlungen mit Russland. Deutschland müsse dabei helfen.
So wie Rehfeldt denken die meisten, die Wagenknechts neuer Partei hier ihre Stimme geben, und die meisten halten den Krieg für das entscheidende Thema. Dabei wird über die deutsche Ukraine-Politik weder in Thüringen noch in Sachsen entschieden, sondern in Berlin. Auch ihr Idol steht hier gar nicht selbst zur Wahl – aber das ficht niemanden an.
Bündnis Wagenknecht in Umfragen bei fast 20 Prozent
Wagenknecht weckt die Hoffnung, dass abweichende Stimmen aus dem Osten endlich gehört werden, dass eine neue Politik nicht nur in Thüringen, Sachsen oder Brandenburg, sondern in ganz Deutschland möglich ist. «Natürlich soll das Bündnis Wagenknecht im Osten auch regieren», meinen die Rehfeldts. «Es ist jetzt der Königsmacher – das ist doch toll!»

Anfang Jahr erst wurde die Partei gegründet, jetzt steht sie in Thüringen in den Umfragen bei fast 20 Prozent. Ohne sie kann nach der Wahl vom Sonntag in Erfurt vermutlich nicht regiert werden, womöglich auch in Dresden nicht.
Fragt man die Leute auf dem Domplatz, wen sie eigentlich vor Wagenknecht gewählt haben, nennen fast alle deren frühere Partei: die Linke. Manche haben in der Vergangenheit aber auch schon SPD oder CDU gewählt – oder sogar alle Parteien einmal probiert.
Einzig die Alternative für Deutschland, die in Thüringen von Björn Höcke geführt wird und als klar rechtsextremistisch gilt, ist für die Wagenknecht-Fans keine Alternative. Dabei teilen die beiden Parteien mit ihrer Verachtung für die Ampelregierung und die Grünen sowie bei Migration und Russland wichtige Positionen.
Sie schätze an Wagenknecht, dass sie die Einwanderung kritisiere, ohne in Rassismus zu verfallen. Dass sie russische Interessen beachte, ohne naiv und extrem nationalistisch zu sein, erklärt eine 30-jährige Sonderpädagogin. Auch sie meint, die AfD könnte sie nicht wählen. Entsprechend verletze sie es auch, wenn die beiden Parteien von vielen einfach gleichgesetzt würden.
Wagenknecht warnt vor den «verlogenen» Grünen
Als Wagenknecht endlich spricht, glühen die Leute auf dem Domplatz vor Bewunderung. Sie, die 1969 in der DDR, im thüringischen Jena, geboren wurde, aber in Ost-Berlin aufwuchs und mit ihrem Mann Oskar Lafontaine schon lange im Westen lebt, im beschaulichen Saarland, bezeichnet sich als «eine von hier». Auch das hilft ihr im Osten.
Ihre Rede ist scharf und schlau. Sie wettert gegen die Ampel in Berlin, die sie für die dümmste Regierung Europas hält, warnt insbesondere vor den «verlogenen» Grünen, denen sie Hypermoral und Kriegstreiberei vorwirft. Die unkontrollierte Einwanderung müsse beendet werden – vor allem aber der Krieg in der Ukraine. «Wenn wir nicht verhindern, dass aus diesem Krieg ein grosser europäischer Krieg wird, dann brauchen wir uns über Entbürokratisierung und Ähnliches auch keine Gedanken mehr zu machen», ruft sie unter grossem Jubel.
Rote Farbspritzer gegen die Friedenspolitikerin
Krieg und Frieden, Migration – es sind die grossen Themen der deutschen Politik, die die Menschen beschäftigen, die sich von Wagenknecht einen Neubeginn versprechen. Mit ihrer Stimme wollen sie ein Signal nach ganz Deutschland senden. Und Berlin zum Umdenken zwingen.
Wie erhitzt diese Themen und der Kampf um sie aber längst sind, zeigt sich kurz nach Ende von Wagenknechts Rede. Ein Mann mit Bart spritzt auf einmal rote Farbe auf die Bühne, bevor er von den Personenschützern der Politikerin überwältigt und festgenommen wird. Was ihn antreibt, ist nicht so klar, aber manche der Umstehenden glauben danach, ein Bekenntnis zur Ukraine gehört zu haben.

Wagenknecht wirkt danach leicht angefasst, das Publikum skandiert trotzig «Sahra, Sahra, Sahra». Dann wird ihre Heldin in einem schwarzen Mercedes schnell weggefahren.
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