Regierungskrise in DeutschlandAmpel am Ende – Scholz entlässt Lindner und greift ihn scharf an
Der Kanzler entlässt den Finanzminister, die Regierung zerbricht. Olaf Scholz gibt sich am Abend kämpferisch wie selten – und Christian Lindner schlägt prompt zurück.

Um kurz nach halb neun bricht vor dem Kanzleramt in Berlin hektische Betriebsamkeit aus. Menschen steigen in Limousinen, die dunklen Wagen fahren davon. Da macht auch schon die Nachricht die Runde: Der Kanzler entlässt den Finanzminister. Die Ampel-Koalition ist am Ende.
Als dann am Mittwochabend gegen 18 Uhr aus der Dreierrunde der grosse Koalitionsausschuss wird, erkennen die Beteiligten schnell: Dieses Mal werden sie die Kurve nicht mehr kriegen.
Als Erste meldete die «Bild»-Zeitung, Lindner habe Scholz Neuwahlen angeboten. Eine kommissarische Regierung würde seine Fraktion noch mittragen bis zu Neuwahlen, einen Nachtragshaushalt mit verabschieden. Quasi postwendend sickerte durch, der Kanzler habe Lindners Angebot abgelehnt. Und dann: die Meldung von der Entlassung Lindners.
Scholz klingt kämpferischer als sonst
Um 21.20 Uhr tritt Scholz im Kanzleramt auf. Es soll ein starker Auftritt werden, auch wenn er fast alles vom Teleprompter abliest. Der Kanzler geht diesmal nicht zum Mikrofon, er schreitet. Er schaut nicht zu seinem Publikum, sondern starr zum Pult. Es ist ein Weg, den er in seiner Amtszeit Dutzende Male genommen hat, meistens mit Staatsgästen. Diesmal beendet er hier seine Koalition, er verkündet die Entlassung seines Finanzministers.
Sein Auftritt gerät zur Abrechnung. «Ich sehe mich zu diesem Schritt gezwungen, um Schaden vom Land abzuwenden», sagt Scholz. Er klingt kämpferischer als sonst. «Zu oft hat er kleinkariert parteipolitisch taktiert», sagt er über Lindner. «Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen.» Und: «Als Bundeskanzler kann ich das nicht dulden.» Als er fertig ist, hält er noch einen Augenblick inne. Dann sagt er «Danke» und verschwindet.

Begonnen hatte der Tag für Scholz, Habeck und Lindner mit Donald Trump.
Als die drei morgens um acht das erste Mal zusammenkommen, erreicht sie die Nachricht, dass der 45. auch der 47. Präsident der Vereinigten Staaten sein wird. Das lässt alle noch einmal mehr den Ernst der Lage erkennen. Reichen wird diese Erkenntnis am Ende allerdings nicht.
Habecks Argument, dass bei einem Wahlsieg Donald Trumps die Bundesregierung umso dringlicher zusammenstehen und Stabilität beweisen müsse, hatte Lindner schon in den vergangenen Wochen wenig abgewinnen können. Vielleicht, so sinnierte er kürzlich im kleinen Kreis, wäre eine Neuwahl des Bundestags im Frühjahr viel sinnvoller, weil Trump dann noch dabei sei, seine Regierung zusammenzustellen. Werde dagegen regulär im Herbst gewählt, sei Deutschland praktisch den gesamten Sommer über im Wahlkampfmodus und handlungsunfähig – und damit just in dem Moment, in dem Trump womöglich erste weitreichende Entscheidungen in der Sicherheits-, Wirtschafts- und Handelspolitik fälle.
Kanzler zieht Lehre aus dem US-Wahlkampf
Noch bevor der Sieg des Republikaners Trump überhaupt offiziell feststeht, gratuliert Scholz. «Sicher wird vieles unter einer von Donald Trump geführten Regierung anders», sagt er. «Das hat Donald Trump auch immer öffentlich klargemacht.» Nicht von ungefähr betont Scholz als ersten Punkt, wie wichtig die Zusammenarbeit in der Nato sei und bleibe. «Das gilt auch mit Blick auf die Bedrohung, die Russland nach Auffassung aller Nato-Alliierten für die Sicherheit im euroatlantischen Raum darstellt.» Und Scholz mahnt, als Lehre aus dem US-Wahlkampf: «Ein Land ist umso grösser und stärker, je enger seine Bürgerinnen und Bürger zusammenstehen. Ich wünsche mir, dass wir in Deutschland zusammenbleiben.»
Am Abend aber will Scholz dann zumindest mit Christian Lindner nicht mehr zusammenbleiben. Und der? Will die Rolle, die der Kanzler ihm in diesem Drama zugedacht hat, nicht annehmen.
Auch Lindner setzt zur Abrechnung an
Die Abgeordneten der FDP haben sich im Fraktionssaal im Reichstagsgebäude versammelt, als sich Christian Linder um 21.58 Uhr mit ernstem Gesicht vor der gläsernen Kuppel aufbaut, die den Plenarsaal überwölbt. Die FDP habe Vorschläge für eine Wirtschaftswende unterbreitet, sagt er, um «unser Land wieder auf Erfolgskurs zu bringen». Diese Vorschläge seien von SPD und Grünen nicht einmal als Beratungsvorlage akzeptiert worden.
«Wir wissen seit dem genau vorbereiteten Statement des Bundeskanzlers vom heutigen Abend, warum», fügt Lindner hinzu und setzt ebenfalls zu einer Abrechnung an. «Olaf Scholz hat lange die Notwendigkeit verkannt, dass unser Land einen neuen wirtschaftlichen Aufbruch benötigt, er hat die wirtschaftlichen Sorgen der Bürgerinnen und Bürger lange verharmlost.» Die Gegenvorschläge des Regierungschefs seien «matt und unambitioniert» geblieben. «Olaf Scholz hat leider gezeigt, dass er nicht die Kraft hat, unserem Land einen neuen Aufbruch zu ermöglichen.»
Stattdessen habe der Bundeskanzler seit dem Nachmittag ultimativ verlangt, die Schuldenbremse des Grundgesetzes auszusetzen. «Dem konnte ich nicht zustimmen, weil ich damit meinen Amtseid verletzt hätte.» Scholz sei es längst nicht mehr um eine für alle tragfähige Einigung gegangen, sondern «um einen kalkulierten Bruch dieser Koalition». Damit führe er «Deutschland in eine Phase der Unsicherheit».
Lindner sagt dann noch, das Land stehe vor einer neuen Richtungsentscheidung für mehr Wachstum und Innovation. Und die FDP werde dafür kämpfen, dies «in einer anderen Regierung im nächsten Jahr» umzusetzen.
Scholz wendet sich an Oppositionsführer Merz
Scholz kündigte derweil an, Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) anzubieten, rasch gemeinsam nach Lösungen zur Stärkung der Wirtschaft und der Verteidigung zu suchen. «Ich werde nun sehr schnell auch das Gespräch mit dem Oppositionsführer, mit Friedrich Merz suchen», sagte er in Berlin. Er wolle Merz anbieten, in zwei oder gerne auch noch mehr Fragen, «die entscheidend sind für unser Land, konstruktiv zusammenzuarbeiten: Bei der schnellen Stärkung unserer Wirtschaft und unserer Verteidigung», so der Kanzler.

Die Wirtschaft könne nicht warten, bis Neuwahlen stattgefunden haben, ergänzte Scholz und fügte hinzu: «Und wir brauchen jetzt Klarheit, wie wir unsere Sicherheit und Verteidigung in den kommenden Jahren solide finanzieren, ohne dafür den Zusammenhalt im Land aufs Spiel zu setzen.» Auch mit dem Blick auf die Wahlen in Amerika sei das «vielleicht dringender denn je». Der Kanzler sagte: «Es geht darum, jene Entscheidung zu treffen, die unser Land jetzt braucht. Darüber werde ich mit der verantwortlichen Opposition das Gespräch suchen.
Lindner hatte «Herbst der Entscheidungen» ausgerufen
Lindner hat schon vor einiger Zeit den «Herbst der Entscheidungen» für die Koalition ausgerufen. Er meinte damit vor allem den Haushalt für das nächste Jahr, der am 29. November im Bundestag verabschiedet werden sollte. Daneben ging es ihm um eine Strategie, wie Deutschland aus der Wirtschaftskrise geführt werden soll. Dazu hat er Vorschläge gemacht, die den Streit in der Koalition eskalieren liessen. In seinem Konzept für eine Wirtschaftswende fordert Lindner unter anderem die endgültige Abschaffung des Solidaritätszuschlags auch für Vielverdiener und einen Kurswechsel in der Klimapolitik.
Gegen solche Ideen gab es erheblichen Widerstand bei SPD und Grünen. Habeck war Lindner aber auch einen Schritt entgegengekommen. Er hat sich am Montag bereiterklärt, die nach der Verschiebung des Baus eines Intel-Werks in Magdeburg frei werdenden Fördermilliarden zum Stopfen von Haushaltslöchern zu verwenden.
Ergänzt durch Material der Agenturen DPA/AFP.
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