Nawalnaja, Jaschin und Kara-MursaRusslands Exil-Opposition versucht in Berlin die Wiederbelebung
Berlin ist zum Sammelpunkt vieler Putin-Gegner geworden. Bei einer Demonstration am Sonntag setzt sich unter anderen Julia Nawalnaja für ein Kriegsende in der Ukraine ein. Uneinigkeit herrscht bei der Frage, wie sehr der Westen Kiew weiter unterstützen sollte.
- Russische Oppositionelle organisierten in Berlin eine Demonstration gegen Putins Krieg.
- Dabei traten auch Ilja Jaschin, Julia Nawalnaja und Wladimir Kara-Mursa auf.
- Sie fordern den Rückzug russischer Truppen aus der Ukraine.
Ilja Jaschin klettert auf einen kleinen Metalltisch, im Hintergrund läuft vom Band Musik der russischen Sängerin Monetotschka. Jaschin trägt einen langen braunen Mantel und einen braunen Rollpulli. «Wie ist die Stimmung?», fragt er, und weil das Echo verhalten ist, ruft er sofort «Nein zum Krieg, Nein zum Krieg».
Die Menschenmenge im Henriette-Herzog-Park am Potsdamer Platz im Zentrum Berlins ist vermutlich geringer, als der russische Oppositionspolitiker erwartet hatte. Es sind wenige Tausend gekommen, überwiegend Russinnen und Russen. «Blutin go home», steht auf einem Plakat, «Sibirien ist gegen den Krieg», «Helft der Ukraine». Dann zieht der Protestzug los, in Richtung des Boulevards Unter den Linden. Dort ist die russische Botschaft. Hinter dem roten Frontbanner laufen eng nebeneinander die bekanntesten Oppositionellen Russlands: Julia Nawalnaja, Ilja Jaschin und Wladimir Kara-Mursa. Sie leben jetzt alle im Exil.
Ist das jetzt also das Signal, das sie sich so erhofft haben mit ihrem Aufruf? «Die eigene Stärke zu demonstrieren und an sich zu glauben», wie Jaschin vor wenigen Tagen der Zeitung «Nowaja Gaseta» sagte, die selber ins Exil musste?
Es ist das erste Mal, dass Nawalnaja, Jaschin und Kara-Mursa gemeinsam zu einem solchen Protestmarsch gegen Putins Krieg in der Ukraine aufgerufen haben. Sie wollen zeigen, dass die russische Opposition wenigstens ausserhalb der Heimat eine Stimme hat. Julia Nawalnaja hatte nach dem Tod ihres Mannes Alexei Nawalny im Februar gesagt, sie werde seine Arbeit fortsetzen. Sie galt bereits als neue russische Oppositionschefin im Exil. Im August kamen dann Jaschin und Kara-Mursa frei, beim grössten Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen seit dem Ende des Kalten Kriegs.
Jaschin sucht den Dialog mit der russischen Gesellschaft
Jaschin ist ein Oppositionspolitiker, der in Moskau immerhin bereits Lokalwahlen gewonnen hat. Er war eines der prägenden Gesichter der ersten grossen Protestwelle in Russland, 2012, als Putin in den Kreml zurückkehrte. Dieser Redaktion sagte er vor wenigen Wochen, er suche den Dialog mit der russischen Gesellschaft. Er wolle die Interessen jener Menschen vertreten, die ihm vertrauten. Aber selbst unter den Russinnen und Russen, die wie Jaschin und Nawalnaja ihre Heimat verlassen mussten, gibt es Kritik an den Anführern der Exil-Opposition.
Der Protestmarsch in Berlin sei «unsere Stimme für Gerechtigkeit und ein Ende des Krieges und der Repressionen», hatten die Initiatoren in ihrem Aufruf geschrieben. Und sie fordern an diesem Sonntag drei Dinge: den sofortigen Rückzug der russischen Truppen aus dem Gebiet der Ukraine, dass Putin für Kriegsverbrechen zur Verantwortung gezogen werden müsse und die Freilassung aller politischen Gefangenen. Doch dies reicht nicht allen Russen, die vor Putin geflüchtet sind.
Nawalnaja wich der Frage aus, ob Waffen für Kiew richtig seien
Vor allem Nawalnaja und Jaschin sind immer wieder der Frage ausgewichen, wie sehr Kiew unterstützt werden müsse gegen Russland, ob sie denn auch Waffenlieferungen an die Ukraine für richtig hielten. «Das ist schwer zu sagen», antwortete Julia Nawalnaja kürzlich in einem Interview der «Zeit». Sie betont wie Jaschin, dass es Putins Krieg sei und weniger der der russischen Bevölkerung.
Die russische Exil-Organisation «Demokrati-ja» hat den Protestmarsch in Berlin mit organisiert. Aber sie legt Wert darauf, dass sie die Kernforderungen der Oppositionsführer um einen wichtigen Punkt erweitert. In ihrem Aufruf zur Teilnahme heisst es: «Die Ukraine muss siegen und dafür alle notwendige Unterstützung erhalten, vor allem von Deutschland.»
Am Abend vor dem Marsch der Opposition treffen sich Mitarbeiter von «Demokrati-ja» in Berlin-Kreuzberg mit einer anderen russischen Exilgruppe, Reforum Space. Sie malen Plakate, organisieren eine Spendenaktion an diesem Sonntag, packen Flyer ab, wollen Geld sammeln für Generatoren, die an ukrainische Schulen und Krankenhäuser geschickt werden. An einer Wand lehnen Protestplakate: «Sieg für die EUkraine», «Taurus für die Ukraine», jene Marschflugkörper, deren Lieferung der deutsche Kanzler Olaf Scholz ablehnt.
Wie soll ein Sieg der Ukraine aussehen?
«Ein Sieg der Ukraine wäre gerecht», sagt die Russin Olga Galkina in einem kühlen Besprechungsraum im Keller. «Die Ukraine hat den Krieg nicht angefangen.» Wie ein solcher Sieg genau aussehen sollte, kann sie nicht sagen. Ungefähr so: «Ein Sieg wäre die Unabhängigkeit der Ukraine, der Erhalt ihres Territoriums.» Galkina ist deshalb dafür, anders als die drei Oppositionsführer es sagen, dass der Westen die Ukraine weiterhin militärisch unterstützt.
Vor zweieinhalb Jahren hat die Politikerin ihr Land verlassen, weil sie den Krieg kritisiert hat und die russischen Behörden sie wegen angeblichen Terrorismusverdachts strafrechtlich belangen wollten. Galkina war Abgeordnete im Sankt Petersburger Stadtparlament, zunächst für die liberale Partei Jabloko, dann als Parteilose. Jetzt ist sie in Berlin Koordinatorin von Reforum Space, einer russischen Organisation, die geflüchteten Russen hilft. Dass sie weiter geht mit ihrer Haltung als Nawalnaja, Jaschin und Kara-Mursa, macht sie deutlich, aber sie will für ein Protestzeichen an diesem Sonntag auch nicht unsolidarisch sein. «Wir haben einen gemeinsamen Feind», sagt sie und meint das System Putin.
Nawalnaja lebe noch in einer russischen Blase, sagt eine Aktivistin
Deutlicher wird Elena Gajewa. Sie ist eines der Vorstandsmitglieder von «Demokrati-ja». Julia Nawalnaja lebe noch immer in einer russischen Blase, sagt sie. «Nawalnaja ist Politikerin und denkt zuerst an das Publikum in Russland. Dort wirkt die Forderung nach militärischer Unterstützung für die Ukraine stärker als hier, ausserhalb Russlands.» Jaschin, Nawalnaja und Kara-Mursa wollten deshalb lieber nicht polarisieren, sondern betonen, was alle russischen Kritiker eine, sagt Gajewa.
Traurig habe sie gemacht, dass Jaschin die Debatte über die rot-blau-weisse russische Flagge ignoriere. Für viele Exilrussen ist es die Flagge, unter der im Krieg Menschen sterben. Sie wollen beim Protestmarsch nur die weiss-blau-weisse der Regierungsgegner tragen. Jaschin dagegen findet, man dürfe die Trikolore nicht Putin überlassen. Am Sonntag aber hat sie kaum jemand dabei.
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