Aufrüstung gegen RusslandMoskau in Reichweite – USA stationieren wieder Marschflugkörper in Europa
Die Nato-Mitglieder demonstrieren am Gipfel in Washington Einigkeit und Stärke. Es ist ein Signal an Russland – und der Versuch, die Nato Trump-fest zu machen.
US-Präsident Joe Biden schwächelt im Wahlkampf, und am Nato-Gipfel in Washington wird besorgt über die Zukunft der Verteidigungsallianz diskutiert, falls sein Rivale Donald Trump im Herbst siegen sollte. Vorerst aber versucht Biden, Stärke zu markieren und den Alliierten sowie den Gästen aus dem Pazifikraum zu versichern, die USA stünden ihnen treu zur Seite.
Als Zeichen stationieren die Vereinigten Staaten wieder bodengestützte Marschflugkörper mit grösserer Reichweite auf dem alten Kontinent, um die Bedrohung Russlands nach dem Angriff auf die Ukraine zu kontern. Das teilten die USA und Deutschland während des Gipfels zum 75. Jubiläum des transatlantischen Bündnisses mit.
1600 Kilometer Reichweite
Tomahawk-Marschflugkörper sollen ab 2026 vorübergehend in Deutschland bereitgestellt werden, ebenso SM-6-Raketen und eine neue Überschallwaffe, die sich in Entwicklung befindet. Sie sollen konventionelle Sprengköpfe tragen. Sie hätten mehr Reichweite als bisherige bodengestützte Waffen in Europa, heisst es in einer Erklärung der USA und Deutschlands. Ziel sei eine dauerhafte Stationierung.
Die Tomahawks fliegen über 1600 Kilometer weit. Von deutschem Boden aus wären damit Städte wie St. Petersburg und Moskau zu erreichen. Die Marschflugkörper wurden für Schiffe und U-Boote konzipiert, ein neues US-System namens Typhon kann sie aber von Land abfeuern.
Es ist das erste Mal seit dem Ende des Kalten Krieges, dass die USA ein bodengestütztes Arsenal mit einer Reichweite von über 500 Kilometern nach Europa schicken. Bis 2019 untersagte dies der INF-Vertrag, ein historisches Abrüstungsabkommen von 1987. Unter Donald Trump zogen sich die USA 2019 daraus zurück, weil Russland den Vertrag mit dem Bau von SSC-8-Marschflugkörpern verletzt hätte und China nicht Teil war. Wladimir Putin hat diese Darstellung stets bestritten und im Juni angekündigt, Russland werde neue Waffen für mittlere Reichweiten entwickeln.
Nächster Schritt: Mehr Waffenfabriken
US-Präsident Joe Biden sagte bei dem Nato-Gipfeltreffen, die 32 Mitglieder und ihre Partner müssten weiter aufrüsten gegen die Bedrohung durch Russland sowie den Iran, China und Nordkorea. «75 Jahre lang wuchsen und gediehen unsere Nationen hinter dem Schutzschild der Nato», sagte Biden. «Heute sind wir stärker als je zuvor.» 23 Länder erreichten das Ziel, mindestens 2 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung in die Verteidigung zu investieren. Nun müsse sich die Nato fragen, was als Nächstes komme. Die Antwort lieferte Biden gleich mit: die Produktionskapazität für Rüstungsgüter ausbauen, weil Russland auf Kriegswirtschaft umgeschaltet habe mithilfe des Irans, Chinas und Nordkoreas.
An dem Gipfel, der bis Donnerstag dauert, wollen die Staats- und Regierungschefs ein Ukraine-Paket verabschieden. Bis zuletzt feilen Diplomaten an der Abschlusserklärung. Besonders heikel sind die Formulierungen über eine künftige Nato-Mitgliedschaft. Polen und Balten fordern eine unmissverständliche Einladung, insbesondere die USA und Deutschland bremsen jedoch. Nun soll von einem «irreversiblen Weg» der Ukraine in die Nato die Rede sein. Ein Beitritt soll aber möglich werden, wenn die Alliierten sich darauf einigen und die Ukraine Bedingungen, etwa bezüglich Korruptionsbekämpfung, erfüllt.
Die Nato hatte der Ukraine schon 2008 eine Mitgliedschaft in Aussicht gestellt, allerdings ohne klaren Fahrplan. Beim jüngsten Gipfel vor einem Jahr in Vilnius machte Präsident Wolodimir Selenski seiner Enttäuschung über die ausgebliebene Einladung über soziale Medien Luft. Ähnliche Misstöne will man diesmal um jeden Preis vermeiden.
Der ukrainische Präsident sei in das Erwartungsmanagement eingebunden, so Diplomaten. Am Ende seien einzelne Worte weniger wichtig also konkrete Hilfszusagen an die Ukraine.
Mehr Abwehrraketen nach Angriff auf Kinderspital
Und hier zeichnete sich Bewegung ab. Die Nato-Partner wollen der Ukraine fünf Luftabwehrsysteme zur Verfügung stellen, die gegen hoch fliegende Langstreckenraketen Schutz bieten. Nach dem Raketenangriff auf ein Kinderspital in Kiew ist der Druck auf die Verbündeten gestiegen, hier zu liefern. Die ukrainische Regierung forderte sieben Luftabwehrsysteme vom Typ Patriot, um die wichtigsten Städte zu schützen. In Aussicht gestellt haben Nato-Länder nun vier Einheiten sowie ein gleichwertiges System vom Typ SAMP-T. Einzelne Spenden sind allerdings nicht neu, sondern nur frisch verpackt für den Gipfel. Laut Joe Biden wird die «historische Spende» durch mehrere Luftabwehrsysteme für den Kurzstreckenbereich ergänzt. In diesem Sommer soll die Ukraine zudem erste F-16-Kampfjets erhalten.
Teil des Pakets ist auch die Zusage der Nato-Staaten, die Ukraine jährlich mit 40 Milliarden Euro zu unterstützen. Die Allianz will mit dieser Zusage die Hilfe auf eine stabile Basis stellen für den Fall, dass Donald Trump wieder zum US-Präsidenten gewählt werden sollte. Auch soll die bisher von den USA geführte Koordination in eine neue Nato-Struktur überführt werden, als «Trump proofing» – um die Nato Trump-fest zu machen.
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