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710 Millionen für Kinderbetreuung
Nationalrat sagt Ja zu grosszügigen Subventionen – nur: Wer soll das bezahlen?

Kostenfalle Kita: Der Nationalrat will die Fremdbetreuung attraktiver gestalten.
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Dass die Erhöhung der Bundesbeiträge an die Kinderbetreuung von jährlich 20 auf Hunderte Millionen Franken überhaupt eine Chance im Parlament hat, liegt vor allem an Arbeitgeberpräsident Valentin Vogt: Er unterstützt das historisch von Linken vorgebrachte Anliegen seit Jahren und hat damit weite Teile der Mitteparteien überzeugt.

Vogt erhofft sich dadurch eine Entspannung beim Fachkräftemangel. Vor allem Mütter sollen zu einer höheren Erwerbstätigkeit motiviert werden, wenn die Betreuungskosten die zusätzlichen Einnahmen in geringerem Masse wegfressen. Die Kinderbetreuung ist in der Schweiz teurer als in den meisten anderen Ländern. 

Komfortable Mehrheit

Doch sogar Vogt hielt die 770 Millionen, die die vorberatende Kommission für das Paket aufwerfen wollte, für zu viel: «Man kann doch nicht in dieser ernsten Finanzlage auf tutti gehen», sagte er im Dezember in dieser Zeitung.

Die Vorlage könnte im Parlament abstürzen, da sie zu ambitioniert sei, so Vogt. Das Bundesbudget ist seit der Pandemie in Schieflage geraten, eine zusätzliche Grossinvestition wie diese ist ohne Gegenfinanzierung nicht mit der Schuldenbremse vereinbar.

Eine komfortable Mehrheit aus Linken, Grünliberalen und grossen Teilen der Mitte im Nationalrat setzte sich am Mittwoch allerdings darüber hinweg. Sie sprach sich für die mit 710 Millionen Franken teuerstmögliche Variante aus.

Die Betreuungskosten in Krippen, Tagesschulen und Horten von der Geburt bis zum Ende der obligatorischen Schulzeit sollen um 20 Prozent sinken. Das Geld soll ab 2025 via Kantone an die Eltern gehen, zum Beispiel in Form von Gutscheinen.

Im Raum waren auch günstigere Pakete gestanden, das günstigste wäre weniger als halb so teuer gewesen. Sie hätten die Betreuungskosten um 15 respektive 10 Prozent gesenkt oder nur Subventionen für jüngere Kinder vorgesehen. Auch war zur Debatte gestanden, gezielte Programme für jährlich 60 Millionen zur Qualitätssteigerung zu streichen – das geschah nicht. (Lesen Sie auch unseren Kommentar: Dieser Geldsegen ist zu wenig durchdacht)

«Ich bin sehr froh über die Entscheidung», sagte SP-Nationalrat Matthias Aebischer (BE). «Das ist ein klares Zeichen, dass eine Miniversion nicht den erhofften Effekt bringen würde.» Viel mehr dürfte es aber nicht sein. Auch Aebischer geht davon aus, dass der traditionell sparsamere Ständerat tiefere Kosten verlangen wird.

Das Geld, das gerade so üppig gesprochen worden sei, müsse nun andernorts gespart werden, ärgerte sich dagegen FDP-Vertreter Christian Wasserfallen (BE) und mahnte die Ratskollegen: «Seien Sie dann nicht enttäuscht, wenn das der Fall ist. Aber ich weiss, das ist manchmal auch schön in einem Parlament, man kann dann seine Entscheidungen gerne wieder vergessen.»

Nationalrat lehnt Vorschläge für Gegen­finanzierung ab

Der Nationalrat lehnte am Mittwoch nämlich auch Vorschläge für die Gegenfinanzierung der Mehrausgaben ab: So hatte der Bundesrat vorgeschlagen, den Anteil der Kantone an der direkten Bundessteuer um 0,7 Punkte zu senken. Das hätte dem Bund zumindest 200 Millionen jährlich eingebracht.

Auch einen Antrag des Zürcher FDP-Vertreters Beat Walti, die Behandlung erst nach einem allfälligen Ja in der Volksabstimmung vom Juni über die OECD-Steuerreform aufzunehmen, fiel durch. Der Bund geht davon aus, dass die Reform ab kommendem Jahr zwischen 1 und 2,5 Milliarden Franken Mehreinnahmen generieren wird. Drei Viertel davon würden an die Kantone gehen, ein Viertel an den Bund.

«Wir bauen hier gerade eine Investition auf, die sich über die nächsten Jahrzehnte auszahlen wird.»

Corina Gredig, Zürcher GLP-Nationalrätin

Wie die Subvention der Kinderbetreuung die zusätzlichen Kosten wieder einspielen soll, bleibt trotz entsprechender Beteuerungen der Befürworter unklar. Die kurzfristigen Impulse für die Wirtschaft dürften nicht reichen, um genug Steuersubstrat zu generieren.

Aebischer verweist deswegen auch auf langfristige Effekte: Kinder, die professionell fremdbetreut werden, hätten Jahre später ein gesünderes Essverhalten und würden sich mehr bewegen. Auch werde die Sozialhilfe weniger belastet. All dies komme dem Staatshaushalt zugute.

«Natürlich können wir diese Mehrausgaben nicht von heute auf morgen kompensieren», sagt die Grünliberale Corina Gredig (ZH). Stattdessen sagt sie: «Wir bauen hier gerade eine Investition auf, die sich über die nächsten Jahrzehnte auszahlen wird.»

Erfüllt das zusätzliche Geld den Zweck?

Eine fundamentalere Kritik an der Vorlage betraf ebenfalls die erwarteten Folgen der Subventionen. «Hohe Ausgaben für einseitige Symbolpolitik, die ihr Ziel ohnehin verfehlen würde», schimpfte SVP-Vertreterin Nathalie Umbricht Pieren (BE) über die Vorlage und sprach damit eine Debatte der letzten Woche an.

Die «NZZ am Sonntag» hatte ein Papier des Zürcher Ökonomen Josef Zweimüller besprochen, laut dem eine Verbilligung der Betreuung in Österreich nicht zu höherer Erwerbstätigkeit bei Frauen geführt hatte. «Dabei handelt es sich um eine der ganz wenigen Studien, zudem mit Daten aus Österreich und nicht aus der Schweiz, die keinen Zusammenhang feststellen konnten», setzte Meret Schneider (Grüne, ZH) daran aus.

Tatsächlich finden die meisten Studien sowohl für das Ausland als auch für die Schweiz positive Effekte von tieferen Betreuungskosten auf die Erwerbsbeteiligung, wie eine Zusammenstellung des Bundesamtes für Sozialversicherungen zeigt. Allerdings beruhen die Erkenntnisse für die Schweiz allesamt bloss auf Befragungen oder ökonometrischen Berechnungen und nicht, wie Zweimüllers Studie, auf Messungen tatsächlich erfolgter Geschehnisse.

Rechte auch im Grundsatz dagegen

Die Ratsrechte lehnte eine Zustimmung zur Vorlage in dieser Form auch aus grundsätzlicheren Überlegungen ab: «Es ist nicht Sache des Bundes, zu entscheiden, was richtig sein soll», sagte Umbricht Pieren. «Ob sie die Kinderbetreuung selbst abdecken oder das Kind von den Grosseltern, einer Nanny oder in einer Kita betreuen lassen wollen, sollen die Familien selber entscheiden.» Hinzu kam das ordnungspolitische Argument, der Bund sei für solche Ausgaben nicht zuständig, sondern die Kantone

SP-Mann Aebischer konterte, die Freiheit der Familien werde im Gegenteil erhöht: «Es kann nicht sein, dass diejenigen, die ein anderes Familienmodell wählen möchten, das nicht können, weil die Infrastruktur nicht da ist oder weil die Kita-Plätze zu viel kosten.»

Um auf Nummer sicher zu gehen, dass die Subventionen bloss an tatsächlich arbeitende Familien fliessen, folgte der Rat jedoch einem Minderheitsantrag von rechts: So soll der Bundesrat einen «kumulierten Mindest­beschäftigungs­grad der beiden Eltern festlegen», ab dem ein Beitrag ausbezahlt wird.