EU und der NahostkonfliktGrösster Geldgeber der Palästinenser und trotzdem kein Einfluss
Jährlich schickt Brüssel 600 Millionen Euro – und kann den Nahostkonflikt dennoch nur aus dem Abseits kommentieren. Mit internen Rivalitäten demonstriert die EU nun ihre Ohnmacht und die Uneinigkeit der Mitgliedstaaten.
Ursula von der Leyen weiss, wie man sich in Szene setzt. Sie ist eine Politikerin mit einem Gespür für das richtige Zeichen zur richtigen Zeit. Nach dem brutalen Terrorangriff der Hamas auf Israel ist sie, ohne zu zögern, zusammen mit der Parlamentspräsidentin Roberta Metsola nach Tel Aviv gereist. Das war auch eine menschliche Reaktion. Sie ist mit Schussweste ausgestattet dorthin gefahren, wo die Terroristen der Hamas in der Nähe des Gazastreifens gewütet und unter Zivilisten ein Blutbad angerichtet haben.
Ursula von der Leyen habe womöglich ihre Chance auf eine zweite Amtszeit verspielt. Die Reise sei nicht abgesprochen gewesen.
Der Solidaritätsbesuch der Freundin in der Not hat in Israel Eindruck gemacht, doch in Brüssel und in einigen Hauptstädten will die Kritik nicht aufhören. Die Bilder von der Kommissionschefin kommen schlecht an. Ursula von der Leyen habe womöglich ihre Chance auf eine zweite Amtszeit verspielt. Die Reise sei nicht abgesprochen gewesen, so EU-Diplomaten. Und überhaupt sei Aussenpolitik Sache der Mitgliedstaaten, von EU-Ratspräsident Charles Michel oder dem Aussenbeauftragten Josep Borrell. Und wenn schon, hätte Ursula von der Leyen darauf pochen müssen, dass Israel sich bei seiner Reaktion auf den Terror der Hamas an das internationale Recht hält.
Natürlich wissen auch die Kritiker nicht, wie dies im konkreten Fall genau aussehen soll, im Kampf mit einem brutalen Gegner, der einen asymmetrischen Krieg führt, der sich an gar keine Regeln hält, Geiseln als Schutzschilde nutzt und sich bewusst in Wohnhäusern, Schulen oder Spitälern einquartiert. Und was ist Solidarität wert, wenn sie von Belehrungen begleitet wird? Charles Michel und Josep Borrell haben zwar auch den Terror verurteilt und Israels Recht, sich zu wehren, betont. Gefolgt aber von der Einschränkung, der grossen Ermahnung.
Auch in der Ukraine zuerst vor Ort
Ursula von der Leyen sei doch nach dem russischen Angriff auch rasch in die Ukraine gefahren, da habe sich niemand gestört, verteidigt der Chefsprecher der EU-Kommission seine Präsidentin. Ähnliche Bilder wie jetzt aus Israel gab es nach dem Besuch der Kommissionschefin nach dem Massaker der russischen Streitkräfte in Butscha, einem Vorort von Kiew. Auch dort ist Ursula von der Leyen vorgeprescht mit starken symbolischen Auftritten der Solidarität und Unterstützung.
Länder wie Spanien, Frankreich, Belgien, Luxemburg oder Irland stehen kritischer zu Israel als Deutschland, Österreich und ein Grossteil der Osteuropäer.
Es gibt allerdings einen grossen Unterschied. Im Fall des russischen Angriffskriegs haben die Mitgliedstaaten bisher eine erstaunliche Geschlossenheit gezeigt. Ganz anders als beim Nahostkonflikt, wo der gemeinsame Nenner traditionell sehr klein ist und die EU sich schon immer schwertat, eine gemeinsame Sprache zu finden. Länder wie Spanien, Frankreich, Belgien, Luxemburg oder Irland stehen kritischer zu Israel als Deutschland, Österreich und ein Grossteil der Osteuropäer.
Gerade scheint die Fraktion des «Ja, aber» die Oberhand zu haben. Die EU demonstriert mit internen Rivalitäten und mit Kakofonie ihre Ohnmacht im Nahostkonflikt. Der zuständige EU-Kommissar Oliver Varhelyi preschte kürzlich mit der Ankündigung vor, Brüssel werde die Gelder für die Palästinenser suspendieren, und wurde prompt zurückgepfiffen.
Tatsächlich ist die EU grösster Geldgeber der Palästinenser. Jährlich schickt Brüssel 600 Millionen Euro, um Gehälter und Renten der Palästinenserbehörde zu finanzieren oder die Wasserversorgung auszubauen. Die Terrororganisation Hamas soll aus den Wasserrohren auch schon Raketen gebaut zu haben, womöglich finanziert aus europäischen Steuergeldern.
Zahlmeister EU
Die EU ist im Nahen Osten Zahlmeister, hat aber in der Region kaum Einfluss und muss das Geschehen jetzt aus dem Abseits kommentieren. Der EU-Ratspräsident hat für Dienstagnachmittag kurzfristig zu einem virtuellen Gipfel eingeladen, um die Initiative zurückzugewinnen. «Wir sahen die Notwendigkeit, etwas Ordnung in die Diskussion zu bringen», so ein hoher EU-Beamter diplomatisch zum kurzfristig angesetzten Termin. Klar, Ursula von der Leyen stehe es frei zu reisen, doch einige ihrer Statements seien nicht abgesprochen gewesen. Wann wird Charles Michel in den Nahen Osten reisen? «Wir beraten erst, bevor wir reisen, das ist bei uns der Ablauf», so der hohe EU-Beamte. Verständlich, dass Ursula von der Leyen mit ihrer Geste der Solidarität nicht warten wollte.
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