Die Geschichte des Nahost-KonfliktsVon der Gründung Israels bis zum Hamas-Terror
Seit dem Unabhängigkeitskrieg von 1948 hat der jüdische Staat niemals mehr als einige Jahre Frieden erlebt. Eine Übersicht in neun Kapiteln.
1948: Der Unabhängigkeitskrieg
«Wir bieten allen unseren Nachbarstaaten und ihren Völkern die Hand zum Frieden und guter Nachbarschaft»: Doch es sollte nicht sein. Am 14. Mai 1948 rief der spätere Ministerpräsident David Ben Gurion in Tel Aviv die Gründung des jüdischen Staates aus, woraufhin palästinensische Milizen, Ägypten, Syrien und andere Nachbarstaaten zu den Waffen griffen. Israels staatliche Existenz begann bereits mit einem Krieg. Der Konflikt hatte eine lange Vorgeschichte: 1917 hatten die Briten Palästina besetzt und der zionistischen Bewegung in der Balfour-Deklaration eine Heimstatt versprochen.
Die jüdische Einwanderung aus Osteuropa und nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 in Deutschland nahm deutlich zu, immer wieder kam es zu Kämpfen zwischen Palästinensern, der jüdischen provisorischen Armee Hagana und der britischen Mandatsmacht. Nach dem Holocaust flohen viele Überlebende des deutschen Genozids an den Juden nach Israel. 1947 stimmte die jüdische Seite für einen UNO-Teilungsplan, die arabische lehnte ab. Von da an herrschte Krieg, den Israel nach harten Kämpfen gewann.
Im Februar 1949 einigte man sich auf einen Waffenstillstand, dem aber keine Friedenslösung folgte. Juden aus dem Westjordanland und den nach 1945 konstituierten arabischen Staaten flohen nach Israel. Dort wiederum war es zur Flucht und Vertreibung Hunderttausender Palästinenser aus dem jungen Staat gekommen, der «Nakba», die in Israel erst Jahrzehnte später aufgearbeitet wurde. Israel und seine Demokratie entwickelten sich rasch, doch blieb es überall von Feinden umgeben.
1956: Die Suez-Kampagne
Der Anlass für Israels zweiten Krieg kam unerwartet. Als 1956 der nationalistische Präsident Ägyptens, Gamal Abdel Nasser, den Suezkanal verstaatlichen liess, begannen Grossbritannien und Frankreich einen Feldzug, der zum letzten Kolonialabenteuer beider Mächte geriet. Zwar wurde der Kanal gesichert, politisch jedoch erlebten London und Paris ein Desaster. Auch die USA und die UNO sprachen sich gegen ihr Vorgehen aus, die beiden Mächte mussten gedemütigt ihre Truppen abziehen.
An ihrer Seite hatte Israel zuvor die ägyptische Sinai-Halbinsel erobert, um die bedrohliche Nähe von Nassers Soldaten von seiner Südgrenze zu entfernen. Ägyptens Präsident drohte dem jüdischen Staat nämlich die offene Vernichtung an: «Treibt die Juden ins Meer.» Nasser wurde trotz der Niederlage zum panarabischen Helden, Israel zog sich aus dem Sinai zurück und lehnte sich fortan stark an die USA an. Etwa 170 seiner Soldaten fielen während der kurzen Kampagne.
1967: Sieg in sechs Tagen
Keine zwanzig Jahre nach der Gründung ihres Staates fürchteten viele Israelis dessen Vernichtung. Am 22. Mai 1967 liess Nasser die Strasse von Tiran für die israelische Schifffahrt sperren, an den Grenzen marschierten die Armeen der arabischen Nachbarn auf – und wurden völlig überrumpelt. In einem gewagten Präventivschlag schaltete die IDF, Israels Streitmacht, am frühen Morgen des 5. Juni 1967 die Luftwaffen Ägyptens und Syriens aus, gefolgt von einer Bodenoffensive.
Innerhalb von nur sechs Tagen besetzten Israels Soldaten den Sinai, die strategisch wichtigen Golanhöhen, die sich wie eine Festung über Nordisrael erheben, und das bis dahin jordanische Westjordanland mitsamt dem Ostteil und der Altstadt Jerusalems. Ein ikonisches Foto zeigt die ersten israelischen Soldaten an der Klagemauer, wo nun erstmals seit 1948 Juden beten durften.
Als «Israels zweite Geburt» bezeichnete der Historiker Tom Segev diesen Krieg, der alles veränderte, und die trügerische Zuversicht, die ihm folgte: «Das Untergangsgefühl verschwand, nun konnte die Geschichte von neuem beginnen.»
Zu den gravierendsten Folgen gehörte Israels über die Zeit entwickelter Beschluss, Ost-Jerusalem und die besetzten Gebiete zu behalten und vor allem im Fall des Westjordanlandes, auf das von jeher Juden wie Araber Anspruch erhoben, auch zu besiedeln. Schon im September 1967 hatten die arabischen Staatschefs mit den «Drei Neins von Khartum» eine Rückgabe der besetzten Gebiete im Gegenzug zur Anerkennung Israels abgelehnt.
Israels Siedlungsbau in den besetzten Gebieten war ursprünglich nicht beabsichtigt gewesen und hatte anfangs eher militärische Motive, doch entwickelte sich daraus vor allem unter den rechten Regierungen nach 1977 ein ideologisches Projekt. Heute leben in den quer über das Westjordanland verstreuten Siedlungen Hunderttausende Menschen, was allein eine Zweistaatenlösung sehr kompliziert machen würde.
1968–1973: «Abnutzungskrieg» und Terroranschläge
Er fehlt normalerweise in den Chroniken: Der «Abnutzungskrieg» mit Ägypten entlang des Suezkanals wurde zwar nie offiziell erklärt, hielt Israel aber ab 1968 in Atem. 1424 Israelis und etwa 10'000 ägyptische Soldaten fielen. Ägypten scheiterte dabei mit dem Versuch, den Gegner zu zermürben, und verlor über 100 Flugzeuge in Luftkämpfen, Israel nur wenige.
Diese Siege und wagemutige Kommandoaktionen des israelischen Militärs führten zu einem Gefühl der Unschlagbarkeit, das sich bald bitter rächen sollte. Gleichzeitig entbrannten am Jordan Kämpfe mit palästinensischen Fedayin. 1970 trieb Jordaniens König Hussein diese Untergrundkämpfer und viele Flüchtlinge mit Gewalt aus seinem Land.
Arabische Terroristen griffen nach 1967 immer öfter zu Flugzeugentführungen, um Israel zu erpressen. 1972 stürmte eine Eliteeinheit auf dem Tel Aviver Flughafen Lod eine von der Terrororganisation «Schwarzer September» entführte Verkehrsmaschine; zu den Soldaten, die knapp hundert Geiseln befreiten, gehörten die späteren israelischen Premierminister Ehud Barak und Benjamin Netanyahu.
1973: Angriff an Jom Kippur
Die Mord- und Terrorkampagne der Hamas 2023 begann fast auf den Tag genau 50 Jahre nach dem Jom-Kippur-Krieg. Wie heute wurden Israels Militär und Geheimdienste vollkommen überrascht, als am 6. Oktober 1973 die Armeen Ägyptens und Syriens losschlugen. Wie heute bei Gaza durchbrachen die Angreifer rasch einen weit überschätzten Sperrriegel, die Bar-Lev-Linie entlang des Suezkanals.
Anfangs stand der jüdische Staat das einzige Mal in seiner Geschichte am Rande einer Niederlage, die wohl seine Vernichtung bedeutet hätte. Verteidigungsminister Moshe Dayan sprach von der «Furcht tief in meinem Herzen, dass wir am Ende nicht mehr genug Waffen haben werden, um das Land Israel zu verteidigen ... und dass uns die Araber von allen Seiten überrennen».
Ausgerüstet mit modernen sowjetischen Waffensystemen wie Lenkraketen, stiessen die Angreifer durch den Sinai und die Golanhöhen vor, erreichten das Kernland aber nicht. Am Ende erlitten sie auf beiden Schauplätzen eine schwere Niederlage. Die IDF kesselte auf ägyptischem Boden eine ganze Armee ein. Ein von Washington und der UNO vermittelter Waffenstillstand beendete den Krieg am 25. Oktober 1973.
Der jüdische Staat hatte seinen Sieg mit etwa 2500 Toten teuer erkauft (die Araber sollen bis zu 18'000 Soldaten verloren haben). Ähnlich wie heute war das Vertrauen der Israelis in die Regierung tief erschüttert. Attentate palästinensischer Terroristen gingen weiter, 1974 ermordeten sie im Ort Ma'alot 21 Schulkinder und 10 weitere Israelis. In der Folge wurde die seit 1948 regierende linke Arbeitspartei 1977 abgewählt.
Im selben Jahr zog der ägyptische Präsident Anwar al-Sadat als erster arabischer Regierungschef Konsequenzen aus vier verlorenen Kriegen gegen Israel und schloss Frieden mit dem Erzfeind von einst. Israel räumte dafür den Sicherheitspuffer des Sinai. Sadat und der neue konservative israelische Ministerpräsident Menachem Begin erhielten 1978 den Friedensnobelpreis. Ägyptens Präsident aber wurde wegen seines historischen Schritts drei Jahre später in Kairo von Islamisten ermordet, seine Witwe sagte später: «Mein Mann war kein Opfer des Krieges. Mein Mann war ein Opfer des Friedens.»
1982: Gegen die PLO im Libanon
Am 6. Juni 1982 startete die israelische Armee die Operation «Frieden für Galiläa», um die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) Jassir Arafats aus dem Libanon zu vertreiben, von wo aus die Untergrundkämpfer immer wieder den jüdischen Staat angriffen. Die Luftwaffe bombardierte die Hauptstadt Beirut, wo die PLO ihre Büros hatte, sowie Ziele im Süden des Landes; die Armee marschierte im Libanon ein und trieb die PLO und syrische Einheiten bis Beirut zurück.
Es war Israels erster Krieg, der nicht vor allem gegen eine reguläre Armee geführt wurde. Mit Israel verbündete christliche Milizen richteten in den palästinensischen Flüchtlingslagern Sabra und Shatila in Beirut ein Blutbad an, für das eine israelische Untersuchungskommission später dem nationalistischen Premier Ariel Sharon eine politische Mitverantwortung gab.
Unter internationaler Vermittlung wurden multinationale Streitkräfte, darunter auch US-Truppen, in den Libanon entsandt, um den Frieden zu sichern und die PLO zu evakuieren, die das Land verlassen musste. Die meisten der im Libanon stationierten israelischen Soldaten zogen 1985 ab. Bis Mai 2000 hielt Israel im Süden des Landes noch eine sogenannte Sicherheitszone. Während des libanesischen Bürgerkriegs und im Kampf gegen die israelische Besatzung in Südlibanon bildete sich die schiitische Hizbollah, eine von Teheran unterstützte militante islamistische Gruppe.
1987 und 2000: Die Intifadas
Am 8. Dezember 1987 stiess ein israelischer Lastwagen im Gazastreifen mit zwei Taxis zusammen, vier Palästinenser starben. Daraufhin brachen Unruhen im Flüchtlingslager Jabalia aus, die zur ersten Intifada führten. Intifada heisst «abschütteln» und bezeichnet den Aufstand der Palästinenser gegen die israelische Besatzung. Dabei spielte die 1987 gegründete Hamas eine zentrale Rolle, die sich dem bewaffneten Kampf gegen Israel verschrieben hatte und für ein radikaleres Vorgehen als die PLO eintrat. Die Intifada manifestierte sich in Generalstreiks, Steuerboykotten, Massendemonstrationen und teils gewalttätigen Protesten.
Ein Ende fand die erste Intifada erst nach sechs Jahren mit dem am 13. September 1993 in Washington unterzeichneten Oslo-Abkommen zwischen Israels Regierungschef von der Arbeitspartei, Yitzhak Rabin, und PLO-Führer Arafat. Darin erkannten sich beide Seiten gegenseitig erstmals offiziell an und schufen so den Rahmen für eine Zweistaatenlösung: «Es ist Zeit, Jahrzehnte der Konfrontation und des Konflikts zu beenden.» Der Oslo-Friedensprozess, der so hoffnungsvoll begonnen hatte, kam jedoch in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre ins Stocken und blieb unvollendet.
Ein Besuch des nunmehr israelischen Oppositionspolitikers Ariel Sharon am 28. September 2000 auf dem Tempelberg in Ost-Jerusalem löste die zweite Intifada aus, auch als «Al-Aqsa-Aufstand» bekannt. Diese Intifada verlief deutlich blutiger als die erste, bei der rund 200 Israelis und 1200 Palästinenser gestorben waren; der Widerstand wurde nun geprägt von radikalen Gruppen, die auf Terroranschläge setzten.
Selbstmordattentäter der Hamas und des Islamischen Jihad schossen Raketen ab und zündeten Bomben in Israel, in Bussen und Restaurants. Israel reagierte mit Härte. Am 8. Februar 2005 unterzeichneten der palästinensische Präsident Mahmoud Abbas und Sharon, inzwischen Regierungschef, einen Waffenstillstand, der das Ende der zweiten Intifada markierte. Von rund 3500 Opfern auf palästinensischer Seite ist die Rede. Auf israelischer Seite sollen 1000 Menschen getötet worden sein.
2006: Gegen die Hizbollah im Libanon
Nach dem Abzug der Israelis aus dem Libanon im Jahr 2000 kam es in der Grenzregion regelmässig zu Gefechten zwischen der Hizbollah und der israelischen Armee. Am Morgen des 12. Juli 2006 drangen Terroristen der schiitischen Miliz in israelisches Gebiet ein und entführten zwei Soldaten. Die Hizbollah verlangte einen Gefangenenaustausch. Noch am selben Tag reagierte Israel: Die Luftwaffe bombardierte die Infrastruktur der Miliz, nahm mutmassliche Stellungen der Hizbollah unter Beschuss und startete dort eine Bodenoffensive im Südlibanon.
Die Hizbollah griff im Gegenzug mit Raketen Ziele in Nordisrael an. Am 14. August endete der Krieg mit der Unterzeichnung eines Waffenstillstands. Bei dem Konflikt kamen etwa 120 israelische Menschen ums Leben, auf der libanesischen Seite mehr als 1000.
2008, 2012, 2014, 2023: Immer wieder Gaza
Auf Raketenangriffe aus dem Gazastreifen reagiert Israel stets mit Luftangriffen. Dreimal entwickelte sich vor 2023 schon ein Krieg, keiner hat die Hamas, die seit 2007 die Macht im Gazastreifen übernommen hat, nachhaltig schwächen können. Der erste begann zum Jahreswechsel 2008/09. Auf Granaten- und Raketenbeschuss durch die Hamas auf Israel folgten vom 27. Dezember 2008 an massive Luftangriffe auf Einrichtungen der Miliz im Gazastreifen. Dennoch schlugen binnen sechs Tagen mehr als 450 Raketen auf israelischem Boden ein.
Daher begann die Operation «Gegossenes Blei». Israels Ministerpräsident Ehud Olmert erklärte damals: «Wir haben der Hamas den Krieg erklärt.» Israelische Verbände drangen mit Luftunterstützung in Richtung Gaza-Stadt und in andere Orte des dicht besiedelten Gebiets vor. Als nach drei Wochen Gaza-Krieg am 18. Januar 2009 eine Waffenruhe in Kraft trat, waren nach palästinensischen Quellen im Gazastreifen mindestens 1310 Palästinenser ums Leben gekommen. Die Israelis meldeten bis dahin zehn getötete Soldaten und drei getötete Zivilisten.
Der im September 2009 veröffentlichte, vom UNO-Menschenrechtsrat in Auftrag gegebene «Goldstone-Bericht» untersuchte die Vorfälle des Gaza-Kriegs 2008/09 und konstatierte auf beiden Seiten schwere Kriegsverbrechen, möglicherweise auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dem Menschenrechtsrat wurde immer wieder vorgeworfen, dass er einseitig zulasten Israels Partei ergreife. Im Goldstone-Bericht wird der Hamas allerdings angelastet, dass sie durch Raketenangriffe auf israelische Zivilisten und den Missbrauch von Wohngebieten, Spitälern und Moscheen als Rückzugsorte und Kampfbasen die eigene Zivilbevölkerung zur Zielscheibe gemacht habe. Darüber hinaus kritisiert der Bericht den unverhältnismässigen Einsatz von Gewalt seitens Israel. Später distanzierte sich der Hauptautor des Berichts, der südafrikanische Richter Richard Goldstone, von Passagen, die Israel eine Mitschuld an der Eskalation geben.
Geholfen hatte das harte Vorgehen nicht. Bereits unter dem heutigen Premier Benjamin Netanyahu startete Israel im November 2012 die Militäroffensive «Operation Wolkensäule» und begründete dies mit dem erneuten massiven Raketenbeschuss Israels aus dem Gazastreifen. Der Konflikt endete nach acht Tagen mit einem Waffenstillstand, etwa 40 Palästinenser und 3 Israelis wurden getötet.
Im Sommer 2014 versuchte die israelische Regierung erneut, die Hamas militärisch zu schwächen, und gab am 8. Juli den Befehl zur Operation «Starker Fels». Jerusalem setzte in grösserem Umfang Bodentruppen ein, in den Strassen kam es zu blutigen Kämpfen. Die israelische Armee konnte aber ihr Ziel, das Tunnelsystem der Hamas vollständig zu zerstören, nicht erreichen.
Die Operation endete am 26. August 2014 mit einer Waffenruhe. Es starben rund 2100 Palästinenser – davon etwa zwei Drittel Zivilisten – und 73 Israelis. Israels UNO-Botschafter Danny Danon warf der Hamas vor, «die Kinder des Gazastreifens als menschliche Schutzschilde zu benutzen». Viele Beobachter warnten schon damals, ein neuer Krieg sei nur eine Frage der Zeit.
Nun hat er begonnen. Und wenige Menschen haben die Hoffnung, ihren Kindern versprechen zu dürfen: Dies war der letzte Krieg um Israel.
Fehler gefunden?Jetzt melden.