Fördergelder aus BrüsselEU laviert bei Zahlungen an Palästinenser
Informationschaos in Brüssel. Ein EU-Kommissar kündigte im Alleingang die Suspendierung der Zahlungen an die Palästinenser an und wurde dann zurückgepfiffen. Nun wird nur geprüft.
Zumindest rückblickend wirkt die Abschiedsaktion des letzten EU-Botschafters für die palästinensischen Gebiete in Ramallah und Gaza mehr als unglücklich. Als der deutsche Diplomat Sven Kühn von Burgsdorff im Juli mit einem Paragleiter über Gaza schwebte und damit «für ein freies Palästina» demonstrieren wollte, dürfte die Terrororganisation Hamas bereits für ihre Angriffe auf israelische Zivilisten geübt haben.
Die Abschiedsaktion des scheidenden EU-Botschafters steht möglicherweise für mehr: War es Naivität, oder hat die EU tatsächlich eine propalästinensische Schlagseite, so der latente Vorwurf nicht nur der rechtsnationalistischen Regierung in Jerusalem? Und ist möglicherweise Geld der EU-Steuerzahler an die Hamas geflossen? Der Vorwurf wiegt schwer, weil die EU-Staaten mit ihrem Botschafter vor Ort immerhin die grössten Geldgeber der Palästinenserbehörde und für humanitäre Hilfe in Gaza sind.
Wird die EU nun ihre Zahlungen überprüfen? Die Hamas, immerhin auf der Terrorliste der EU, bekomme aus Brüssel kein Geld, sagte Montagmittag der Sprecher des EU-Aussenbeauftragten Josep Borrell kategorisch. Keine Antwort gab es auf die Frage, ob Brüssel ausschliessen könne, dass humanitäre Hilfe für Gaza am Ende bei der Terrororganisation lande. Borrells Sprecher verwies auf ein kurzfristig angesetztes Sondertreffen heute, bei dem die EU-Aussenminister dann grundsätzlich über die Bücher gehen sollten.
Plötzliche Kehrtwende
Am Nachmittag sorgte zunächst EU-Kommissar Oliver Oliver Varhelyi auf den Kurznachrichtendienst X für Verwirrung. Der Grad an Terror und Brutalität gegen Israel und seine Bevölkerung sei ein Wendepunkt. Es könne kein «business as usual» geben. Die EU-Kommission werde ihr gesamtes «Portfolio» im Wert von immerhin 691 Millionen Euro auf den Prüfstand stellen. Alle zugesagten, aber noch nicht ausgeführten Zahlungen würden mit sofortiger Wirkung suspendiert, alle Projekte und Budgethilfen überprüft, so der für Erweiterung und Nachbarschaft zuständige Kommissar.
Die Ankündigung entpuppte sich dann am Abend als Alleingang des Ungarn, ein Weggefährte von Viktor Orban. In einer Mitteilung der EU-Kommission war nur noch von einer «dringlichen Überprüfung» der Zahlungen an die Palästinenser die Rede. Dies werde in enger Koordination mit den Mitgliedstaaten geschehen. Da im Moment keine Zahlungen vorgesehen seien, werde es in der Zwischenzeit auch keine Suspendierung geben. Die Kommission von Ursula von der Leyen versuchte da einigermassen gesichtswahrend einen Schlussstrich unter ein Informationschaos zu ziehen.
Die EU hatte die Zahlungen im vergangenen Jahr schon einmal gestoppt, und zwar im Streit um die Finanzierung von palästinensischen Schulbüchern, in denen Hass auf Juden propagiert und zur Gewalt gegen Israel animiert wurde. Erst im Februar wurden die Mittel dann freigegeben. «Unsere Projekte decken fast alle Bereiche des palästinensischen Lebens ab», sagte der damalige EU-Botschafter Sven Kühn von Burgsdorff. Aus den EU-Geldern werden unter anderem auch Beamtengehälter und Renten bei der palästinensischen Autonomiebehörde in Ramallah finanziert.
Für die Periode von 2021 bis 2024 hat die EU in ihrem Haushalt Mittel in der Höhe von 1,177 Milliarden Euro für die Palästinensergebiete vorgesehen. Auch Österreichs Aussenminister Alexander Schallenberg gab bekannt, dass sein Land alle Entwicklungsprojekte auf Eis legen wird. Konkret suspendiert sind Mittel in der Höhe von knapp 20 Millionen Euro. In Berlin verkündete die Entwicklungsministerin, Deutschland werde ebenfalls über die Bücher gehen.
EU zahlt, hat aber wenig Einfluss
Die EU und ihre Mitgliedsstaaten sind zwar mit insgesamt 600 Millionen Euro jährlich vor den USA und den Golfstaaten mit Abstand die grössten Geldgeber der Palästinenser. Doch der politische Einfluss der Europäer hält sich in Grenzen. Auch, weil die EU-Staaten sich zum Nahostkonflikt immer nur auf den kleinsten gemeinsamen Nenner einigen können. Es gibt das Lager der Staaten, die stramm an der Seite Israels stehen und andere, die Jerusalem für die Siedlungspolitik scharf kritisieren und Palästina als Staat anerkannt haben.
Das kommunikative Chaos zur Zukunft der EU-Gelder für die Palästinenser fügte sich da nahtlos ins Bild. Luxemburgs Aussenminister Jean Asselborn kritisierte die angekündigte Suspendierung als falsch, da damit die palästinensische Bevölkerung bestraft werde. Auch Spanien und Irland äusserten sich kritisch. Zuständig für einen Entscheid seien zudem ausschliesslich die Aussenminister, so Asselborn. Diese sollen sich heute in Omans Hauptstadt Muskat am Rande eines ohnehin geplanten Treffens von Vertretern der Golfstaaten und der EU beraten.
Nach dem Alleingang des ungarischen Kommissars war vorerst auch unklar, welche Gelder genau betroffen sein sollten. Die EU werde die humanitäre Hilfe für die Palästinenser fortsetzen, solange dies nötig sei, entgegnete der zuständige EU-Kommissar Janez Lenarcic ebenfalls auf dem Kurznachrichtendienst X. Ursula von der Leyens Kommunikationsabteilung schaffte nach dem Schlagabtausch ihrer Kommissare am Abend auch hier Klarheit: Die Überprüfung betreffe nicht die humanitäre Hilfe. Schon am Wochenende hatte EU-Rats-Präsident Charles Michel in einer ersten Reaktion den Spagat versucht und vage vor einer «weiteren Eskalation» gewarnt, um gleichzeitig Israels Recht auf Selbstverteidigung zu betonen. Klar auf die Seite Israels schlug sich Ursula von der Leyen: «Das ganze Ausmass des Hamas-Terroranschlags lässt uns den Atem stocken.» Die EU stehe auf der Seite Israels und seiner Bevölkerung. Die Kommissionschefin liess an ihrem Hauptquartier die Flagge Israels projizieren.
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