Nach Attentat im Kinder-TanzkursKrawalle in englischen Städten weiten sich aus – Starmer warnt vor Hass
Auch in Nordirland kommt es inzwischen zu Zusammenstössen. Beobachter warnen vor Posts in sozialen Medien, die die Proteste verstärken.
In mehreren englischen Städten ist es am Wochenende zu heftigen Strassenkrawallen gekommen. Randaliere haben zudem eine weitere Unterkunft für Asylbewerber attackiert. Ein Mob bewerfe das Hotel in Tamworth nordöstlich von Birmingham mit Gegenständen, berichtete der Sender Sky News.
Clips in sozialen Medien zeigten, wie Feuer an einem Teil des Gebäudes gelegt wurde. Dafür gab es keine offizielle Bestätigung. Die Polizei sprach von «gewalttätigen Handlungen des Banditentums», ein Beamter sei verletzt worden.
Vielerorts lieferten sich rechtsradikale Gruppen erbitterte Gefechte mit der Polizei. Auch im nordirischen Belfast kam es zu Zusammenstössen. Dutzende von Polizisten wurden dabei verletzt. Premierminister Sir Keir Starmer warf den Urhebern der Krawalle vor, «Hass zu säen, indem sie die örtliche Bevölkerung einzuschüchtern suchen». Sie würden für ihre gewalttätigen Aktionen «einen hohen Preis bezahlen». Mit «Protesten» habe das Ganze «nichts zu tun», sagte Starmer.
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Wie die Polizei am Sonntag mitteilte, wurden seit Samstag landesweit mehr als 150 Menschen festgenommen. Mehrfach fand sich die Polizei «zwischen den Fronten», als Gegendemonstranten aufmarschierten, die bekundeten, dass sie «Rassisten» und «Nazis» stoppen wollten. Die Regierung befürchtet, dass es auch in den kommenden Tagen zu neuen Ausschreitungen kommt.
Es kursierten Falschmeldungen zum Täter
Begonnen hatten die Krawalle am Dienstag letzter Woche in der nordwestenglischen Stadt Southport, wo tags zuvor ein 17-Jähriger mit einem Messer drei kleine Mädchen getötet und acht weitere und zwei Erwachsene teilweise schwer verletzt hatte.
Wenige Stunden nach der Tat verbreiteten Extremisten im Internet, bei dem Täter handle es sich um einen Asylbewerber und fanatischen Islamisten namens Ali al-Shakati, der im Vorjahr als illegaler Migrant in einem der «kleinen Boote» über den Ärmelkanal nach England gekommen sei und der auf einer Liste der britischen Geheimdienste stehe.
Nichts davon erwies sich als wahr. Der inzwischen namentlich genannte Alex Rudakubana, ein Sohn ruandischer Eltern, wurde in Cardiff geboren und ist in Grossbritannien aufgewachsen. Die Desinformation in den sozialen Medien, gekoppelt mit Aufforderungen zur Aktion gegen Asylantenhotels und Moscheen, führte zu den schweren Tumulten, die Southport am Dienstagabend erlebte, kaum dass die erste örtliche Trauerfeier für die Mordopfer beendet war.
Krawalle kurz nach Ende der Trauerfeier
Tags darauf kam es in London, Manchester und Hartlepool zu entsprechenden Krawallen. Und am Freitag griffen im nordostenglischen Sunderland maskierte Männer und Jugendliche die Polizei mit Flaschen, Ziegelsteinen, Bierfässern und Pfählen an. Die örtliche Polizeiwache wurde in Trümmer gelegt. Vier Polizisten mussten ins Spital eingeliefert werden.
Am Wochenende weiteten sich die Krawalle aus. Städte wie Stoke-on-Trent, Nottingham und vor allem Liverpool erlebten wütende Strassenkämpfe. In Liverpool wurde eine neue Bibliothek zerstört. In Manchester wurden Geschäfte geplündert und Ladenkassen geleert. In Hull wurden die Fenster eines Hotels eingeschlagen, in dem man Asylbewerber vermutete, sowie Geschäfte ausgeräumt und in Brand gesetzt. In Blackpool wehrten sich Punks, die ein Festival feierten, gegen anrückende Demonstranten. Flaschen und Stühle flogen durch die Luft.
Oft mehr Gegendemonstranten
In Leeds zogen rund 150 Personen mit England-Fahnen durch die Stadt und riefen: «Ihr seid nicht mehr englisch» und «Vertreibt die muslimischen Kinderschänder von unseren Strassen». Dort wie andernorts sammelten sich allerdings auch Gegendemonstranten, die regelmässig skandierten: «Nazi-Abschaum, hau ab!» Vielfach waren die Gruppen der Gegendemonstranten grösser als die der radikalen Rechten.
Lord Walney, der unabhängige Regierungsberater für politische Gewalt in London, empfahl Starmer derweil erweiterte Haftbefugnisse für die Ordnungskräfte, «also Notstandsmassnahmen – und sei es nur vorübergehend». Hier gehe es «nicht um Proteste», meinte auch Ben-Julian Harrington, der massgebliche Koordinator unter den Polizeipräsidenten, sondern «um Chaos und Gewalt».
Englands Polizeistreitkräfte hatten übers Wochenende 4000 Beamte zusätzlich mobilisiert. Richter wurden angehalten, von nun an auch an Wochenenden und über Nacht verfügbar zu sein, um Haftbefehle auszustellen und Verfahren einzuleiten.
Hetzer kehrte auf X zurück und wurde im Ausland aktiv
Besondere Aufmerksamkeit kam unterdessen den Desinformationskampagnen zuteil, die in wachsendem Masse über soziale Medien geführt werden. In Stoke-on-Trent etwa musste die Polizei dementieren, dass bei den dortigen Krawallen «zwei Personen von Moslems erstochen» worden seien, wie von Unbekannten online verbreitet wurde. «Da gibts Leute, die sich nicht einmal hier im Land befinden und die solche Dinge verbreiten, nur um Hass zu schüren und Gemeinden zu spalten, an denen ihnen überhaupt nichts liegt», erklärte Polizeichef Harrington.
Gemeint waren damit Personen wie der prominente Rechtsextremist Tommy Robinson, der sich vorletzte Woche ins Ausland abgesetzt hatte, um einem Prozess in England zu entkommen. Robinson, der in der Vergangenheit die «English Defence League» (EDL) anführte, war 2018 von Twitter verbannt worden. Als Elon Musk aber im November letzten Jahres Twitter übernahm und es in X umtaufte, erlaubte er auch Robinson wieder, Präsenz zu zeigen – die dieser nun offenbar vom Ausland aus intensiv nutzt.
Multiplikatoren für rechtsradikale Stimmen
Soziale Medien seien zu gefährlichen Multiplikatoren für rechtsradikale Stimmen geworden, meint Professor Stephan Lewandowsky von der Universität Bristol, der sich mit dieser Frage beschäftigt. Facebook zum Beispiel sei in dieser Hinsicht schon heute «die reinste Wutmaschine». Das sei «ein ernstes Problem», dem allerdings mit schärferen Auflagen beizukommen sei.
Joe Mulhall von der Antifaschismusorganisation Hope Not Hate erklärte es am Wochenende so: «Da stösst man auf jemanden, der etwa über den Telegram-Kanal so was sagt wie: ‹Nottingham erhebt sich, wir werden am Samstag um 15 Uhr dort sein.› Und kein Mensch hat eine Ahnung, wer das ist.» Aber unmittelbare – und gefährliche – Folgen hätten solche Appelle, weil sie andere Personen zu Ad-hoc-Aktionen oder zu eigenen Falschmeldungen und Desinformationsvideos anhielten, warnt Mulhall.
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