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Anschlag in München
Wer ist der Mann, der mit dem Auto in die Demo gerast ist?

Rettungskräfte am Unfallort in München, wo am 13. Februar 2025 ein Auto in eine Menschenmenge gefahren ist und mehrere Personen verletzte. Polizei- und Rettungsfahrzeuge umgeben das beschädigte Auto.
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In Kürze:
  • Ein Mann fuhr in München mit einem Auto in Streikende und verletzte 30 Personen.
  • Der tatverdächtige Farhad N. hatte einen gültigen Aufenthaltstitel trotz abgelehntem Asylantrag.
  • Die Ermittler gehen von einem islamistischem Motiv für den Anschlag aus.
  • Farhad N. war als freundlich und höflich bekannt, religiöse Inhalte nahmen kürzlich zu.

Der Mini Cooper steht mitten auf der Strasse, die Windschutzscheibe gesplittert und eingedrückt. Hinter dem Wagen: Menschen am Boden, 30 Verletzte wird die Polizei später melden. Neben dem Auto liegt der Mann, der dafür offenbar verantwortlich ist. Polizisten fixieren ihn auf der Strasse, Augenzeugen filmen die Szene. Kurz darauf wird der Tatverdächtige weggetragen, ins Krankenhaus gebracht. Seit diesen Momenten mitten in München am Donnerstagvormittag gegen halb elf steht über allem die Frage: Wer ist dieser Mann – und was hat ihn angetrieben, mit dem Auto von hinten in eine Demonstration von 1500 Streikenden zu rasen?

Farhad N. ist 24 Jahre alt. Geboren wurde er 2001 in Kabul. 2016 kommt er nach Europa, erst Italien, dann weiter nach Deutschland, da ist er noch ein Teenager. Wenig später beantragt er Asyl. Der Antrag wird abgelehnt. All das ist am Donnerstag in den ersten Stunden aus den Sicherheitsbehörden zu hören.

Aber den Tag über geht in der erregten Lage auch vieles durcheinander, es gibt Fehlinformationen, Gerüchte. Noch am Mittag, knapp zwei Stunden nach diesem brutalen Ereignis, stellt sich Bayerns Innenminister Joachim Herrmann am Tatort vor die versammelten Medienvertreter, neben ihm Ministerpräsident Markus Söder (beide CSU). Herrmann sagt über den Tatverdächtigen, «dass er im Moment nicht abgeschoben werden kann und er sich deshalb weiter in unserem Land aufhalten durfte». Missverständlich? In verschiedenen Berichten heisst es hinterher, Farhad N. sei ausreisepflichtig gewesen, hätte also, so der Subtext, eigentlich gar nicht mehr im Land sein dürfen.

Weil Farhad N. eine Ausbildung machte, durfte er in Deutschland bleiben

Stunden später erst stellt Söder klar: Der Mann war nicht ausreisepflichtig, hatte trotz des abgelehnten Asylantrags einen gültigen Aufenthaltstitel. 2020 wurde die Ablehnung zwar gerichtlich bestätigt, aber weil Farhad N. in München eine Ausbildung machte, durfte er in Deutschland bleiben.

Es gerät noch eine Information in Umlauf, die sich später als falsch herausstellen wird: Bei dem Medienstatement am Mittag sagt Bayerns Innenminister Herrmann auch, der Verdächtige sei bei der Polizei schon mal auffällig geworden: «Nach gegenwärtigem Stand wissen wir, dass der Täter schon mit Betäubungsmitteln und mit Ladendiebstählen aufgefallen ist.»

Am Donnerstagabend verschickt die Polizei München eine Pressemitteilung. Der Mann sei zwar aus früheren Ermittlungsverfahren bekannt – aber als Zeuge «aus seiner vorherigen Tätigkeit als Ladendetektiv». Söder sagt im ZDF-Interview kurz darauf noch, kleinere Verfahren gegen Farhad N. seien eingestellt worden. Er ist nicht vorbestraft.

Was all das aber nicht klärt, ist die Frage nach dem Motiv. Politiker aus Bayern und vom Bund sprechen zwar schnell von einem Anschlag. Den Verfassungsschutzbehörden war der Mann nach Informationen dieser Zeitung aus Sicherheitskreisen bisher nicht als Extremist bekannt. Am Freitagmittag gab die Staatsanwaltschaft nun aber bekannt, dass man von einem islamistischen Motiv ausgehe.

Als Anhaltspunkte für eine islamistische Motivation nannte die leitende Staatsanwältin Gabriele Tilmann unter anderem die Aussage von Polizisten, der Fahrer habe nach der Tat «Allahu Akbar» gerufen. Er habe in einer Vernehmung auch eingeräumt, den Wagen absichtlich in das Ende eines Verdi-Demonstrationszugs gesteuert zu haben. Die Aussagen deuteten auf eine religiöse Motivation hin, sagte Tilmann.

Es gebe aber bisher keine Hinweise darauf, dass der 24 Jahre alte Afghane in ein Netzwerk eingebunden gewesen sei.

Extremistische Hintergründe seien «nicht so leicht erkennbar», sagt Söder

Der Täter war nicht im Zusammenhang mit Gewaltdelikten aufgefallen. Ministerpräsident Söder sagt am Donnerstagabend noch: «Die äusseren Umstände sprechen nicht automatisch für eine klassische Attentäter-Situation.» Und: «Bisherige extremistische Hintergründe sind jedenfalls auf den ersten Blick nicht so leicht erkennbar.»

Die Ermittler prüfen alles, was sie über den Tatverdächtigen in die Hände bekommen. Vor allem Profile auf Instagram und Tiktok, von denen Polizei und Verfassungsschutz annehmen, dass sie höchstwahrscheinlich seine sind: Nicht nur ist der Name in der Profilbeschreibung der gleiche, da steht auch, dass er in München lebe und aus Afghanistan komme.

Dazu finden sich nach Recherchen dieser Zeitung Bilder, auf denen der Inhaber des Profils eine Jacke und Sneaker trägt, die bis ins Detail aussehen wie die Jacke und die Sneaker, die der Festgenommene am Donnerstagvormittag trug. Und: Fotos, auf denen er an einem cremefarbenen Mini Cooper posiert. Einem Auto, wie es für die Tat verwendet wurde.

Farhad N. trägt schicke Klamotten und unterschiedliche Frisuren

Das letzte Foto, das er am Montag auf Instagram hochgeladen hat, scheint etwas älter zu sein: Farhad N. trägt darauf ein Shirt mit kurzen Ärmeln, steht breitbeinig auf einem Weg neben einer grünen Rasenfläche, die Hände in den Hosentaschen, und lächelt in die Kamera. Dazu hat er auf Arabisch geschrieben: «Oh Allah, beschütze uns immer», dahinter zwei Emojis. Eines von der Kaaba, dem würfelförmigen Gebäude im Innenhof der Moschee in Mekka. Und einen erhobenen Zeigefinger – ein Handzeichen, das den Monotheismus im Islam symbolisiert. Eine alltägliche Geste für Millionen Muslime, die aber auch von Islamisten missbraucht wird.

Ansonsten war in seinen – inzwischen nicht mehr abrufbaren – Profilen auf den ersten Blick nichts zu finden, was auf eine islamistische oder anderweitige extremistische Einstellung hinweisen könnte. Auf den vielen Fotos und Videos, die Farhad N. von sich online veröffentlicht hat, trägt er schicke Klamotten und unterschiedliche Frisuren. Man sieht ihn, wie er singend durch die Stadt spaziert, wie er Zug fährt und vor allem wie er Sport macht.

Im Burgerladen heisst es: Klar, jeder kenne Farhad N., den Sportlichen

Seine Muskeln hat er nicht nur auf Social Media in Szene gesetzt, sondern auch bei Bodybuilding-Wettkämpfen. Im vergangenen Jahr errang er etwa bei einem bayerischen Wettbewerb einen vierten Platz. Der Inhaber des Fitnessstudios, für das Farhad N. antrat, sagt am Telefon, er kenne ihn gar nicht. Man frage nicht gross nach, wenn jemand im Namen des Studios antreten will.

Auf Tiktok hat Farhad N. auch ein Video von einem Burgerladen veröffentlicht, den er vor kurzem in München besucht hat. Der Mitarbeiter, der am Donnerstagabend im Laden anzutreffen ist, sagt: Farhad N., der Sportliche? Klar kenne er den. «Jeder kennt den.» Von Tiktok oder aus dem Fitnessstudio.

N. sei öfter zum Essen da gewesen. Er habe auch schon Selfies mit ihm gemacht. Dass er nun mit dem Auto in eine Menschenmenge gerast sein soll, will er nicht ganz glauben. «Er raucht nicht, kifft nicht, trinkt keinen Alkohol.» Und er sei immer nett und höflich gewesen, kein bisschen aggressiv.

Religiöse Inhalte auf Tiktok

In den vergangenen zwei oder drei Monaten habe das mit den religiösen Inhalten auf Tiktok zugenommen, das sei ihm schon aufgefallen. Aber da sei ja nichts Radikales dabei gewesen. Der Mitarbeiter ist selbst aus Afghanistan, seit 2015 ist er in Deutschland. Über einen gemeinsamen Kumpel habe er Farhad N. schon vor Jahren kennen gelernt, damals noch in der Flüchtlingsunterkunft, «im Lager», wie er sagt.

Vergangene Woche sei Farhad N. das letzte Mal da gewesen, sagt der Mitarbeiter und zeigt auf einen der Tische. Da habe er gesessen und einen Burger gegessen, mit einem Freund aus dem Fitnessstudio. Farhad habe nicht bezahlt. Kein Geld auf dem Konto, habe er gesagt. Aber am 13. Februar werde er vorbeikommen und alles bezahlen.

Er kam nicht.