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Mamablog: Berichte aus Afghanistan
Mehr, als ein Mutterherz ertragen kann

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Undenkbare Zustände: Ein Soldat wartet mit einem Säugling auf die Mutter.
Wenn man auf die Hilfe Fremder angewiesen ist: Eine Mutter bedankt sich für die Zusammenführung der Familie.
Ungewisse Zukunft: Eine Mutter nach ihrer Flucht aus Afghanistan am Flughafen von Madrid.
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Bilder aus Afghanistan erschüttern gerade die Welt. Wir werden Zeugen von Szenen, von denen wir dachten, dass sie der Vergangenheit angehören. Aber die Geschichte wiederholt sich einmal mehr. Kalt lassen diese Aufnahmen kaum jemanden. Zumindest ein «schlimm» sollte unsere gestresste Empathie doch übrighaben.

Seit ich selbst Mami wurde, treffen mich solche Bilder mit voller emotionaler Wucht.

So ähnlich erging es mir auf jeden Fall bei humanitären Katastrophen. Bis ich selbst Mami wurde. Seither sehe ich solche Bilder aus einer etwas anderen Perspektive – und sie treffen mich mit voller emotionaler Wucht. Der Anblick von flüchtenden, wartenden, auf Hilfe hoffenden Eltern mit ihren Kindern zerreisst mir regelmässig so sehr das Herz, dass ich schlicht nur noch weinen kann.

Und dies nicht einfach, weil ich alt und sensibel geworden bin. Also ein Stück weit natürlich schon. Vielmehr ist es aber vor allem das Mami-Sein, welches eine vorher nicht erahnbare Intensität an Mitgefühl mit sich bringt. So leide ich mit anderen Müttern mit – etwa wenn sie von schlaflosen Nächten und quengeligen Kindern berichten. Schwere Krankheiten gehen gar nicht. Und Bilder und Berichte aus Afghanistan sind einfach nur verstörend.

Beschützerinstinkt geht vor

Die Vorstellung, mit meinem Sohn von einem auf den anderen Tag um unser Leben fürchten zu müssen, uns zu verstecken oder loszugehen, ohne zu wissen, wie weit und wohin wir kommen, ob uns geholfen wird, wir unsere Familien wiedersehen und genug Nahrung haben, oder ob wir die nächsten Wochen überleben, ist der blanke Horror. Egal wo auf der Welt, jede Mutter weiss, wie fest unsere Kinder von uns abhängig sind, weshalb wir alles erdenklich Mögliche tun, um sie zu beschützen – und dies nicht nur in ihren ersten Lebensmonaten.

Was, wenn man sein Baby über einen Stacheldrahtzaun einem Soldaten übergeben und hoffen muss, dass man es irgendwann wieder sieht?

In aller Regel stellen wir alles andere hinten an, insbesondere uns selbst. Man denke ans Anziehen, ans Essen oder Wickeln am Morgen. Nicht selten ist das Kind schon dreimal umgezogen, während Mami noch ungeduscht im Pischi vor sich hin mieft. Ausserdem rennen Mama oder Papa mit dem Sprössling doch viel schneller zum Arzt, als wenn es um sie selbst geht. Aber was, wenn dies alles nicht mehr möglich ist? Wenn man sein Baby über einen Stacheldrahtzaun einem Soldaten übergeben, und nicht nur hoffen muss, dass diesem geholfen wird, sondern auch, dass man es irgendwann wieder sieht? Ich habe schon wieder Gänsehaut.

Pandemiemüdigkeit rechtfertigt keine Teilnahmslosigkeit

Auch wenn uns die Pandemie seit fast eineinhalb Jahre mehr oder weniger im Griff hat und es einige Branchen ganz schlimm erwischte, und auch wenn Menschen unerwartet heftig und lange erkranken und für gewisse das Virus gar tödlich endet, so leben wir als Gesellschaft hierzulande nicht in permanenter Panik. Und damit möchte ich die coronabedingten Ängste keinesfalls herunterspielen – dafür sind mir viele selbstständig Erwerbende, chronisch Kranke oder ältere Menschen zu nah.

Sie haben gerade Todesangst. Angst verschleppt, versklavt, misshandelt oder zwangsverheiratet zu werden.

Aber, es gibt eben auch die anderen. Jene, die sich noch nicht vor allzu langer Zeit ums Klopapier stritten und sich nun immer und überall über die Pandemiemüdigkeit beklagen. Ja, wir sind es alle leid. Und nein, auch ich möchte nicht, dass mein Sohn an Corona erkrankt. Aber ich versuche, mich auch so zu verhalten, dass die Risiken klein bleiben. Wir haben die Wahl. Die Menschen in Afghanistan haben sie nicht. Und erst recht nicht Frauen und Kinder. Im Gegenteil: Sie haben gerade Todesangst. Angst verschleppt, versklavt, misshandelt oder zwangsverheiratet zu werden. Angst, dass ihnen ihre Kinder weggenommen und wiederum versklavt oder für die nächste Generation indoktriniert werden.

Lappalien und Konkurrenzkämpfe

Solche Zustände sind bei uns undenkbar. Dennoch handelt es sich um Mütter und Väter, wie wir es sind. Mütter und Väter, die alles dafür geben, ihre Kinder zu beschützen und diese sogar fremden Leuten anvertrauen, in der Hoffnung, ihnen dadurch ein besseres Leben zu ermöglichen.

Dass ihnen dies nun verwehrt wird, macht mich unendlich traurig. Und es macht mich auch wütend auf unsere Gesellschaft. Eine Gesellschaft, die zwar ebenfalls an ihren Kräften zehrt, die sich aber allzu oft über Lappalien beklagt. Und zu dieser Gesellschaft gehören auch Mütter. Obwohl sie zwar Mitgefühl empfinden, haben sie häufig einen ausgeprägten Hang für Konkurrenzkämpfe. Als ob es in Anbetracht des Weltgeschehens nicht gleich doppelt schnurzpiepegal ist, wie schnell Noah krabbelt, ob Oskar schon läuft, wie viel Zähne Emilia hat und wie chic ihre neuen Schuhe doch sind.