Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

«Pharma für alle»
Initiative fordert Arznei­mittel vom Staat – bezahlt von Pharmabranche

Fahrt Rheinfrachter, von BS nach Birsfelden. Fotos kostas maros, am 29.6.23
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Die Initiative kommt ausgerechnet vom Schweizer Pharmaplatz Basel. Dort, wo Roche und Novartis ihren Hauptsitz haben, soll ein staatlicher Fonds für die Forschung und Produktion von Medikamenten entstehen – finanziert mit Steuergeldern von Roche und Novartis.

Spätestens im April startet die Unterschriftensammlung für die Initiative «Pharma für alle». Sie will gemeinnützige Projekte fördern für Medikamente, bei denen Versorgungslücken bestehen. «Wir wollen die sich immer weiter verschärfende Arzneimittelkrise stoppen», sagt Oliver Bolliger. Er ist Basler Grossrat von der Linkspartei Basta und sitzt im Initiativkomitee.

Die Idee: Basel-Stadt soll einen Fonds äufnen, um die Forschung und Herstellung von Medikamenten sicherzustellen, die von der Pharmaindustrie erbracht werden, weil die Herstellung für sie zu wenig lukrativ ist. Unter anderem zählen neue Antibiotika gegen multiresistente Keime dazu. «Aber auch die Herstellung von wichtigen Schmerzmitteln durch Kantonsapotheken könnte gefördert werden, um ihre Liefersicherheit zu gewährleisten», so Bolliger.

Forschung soll gefördert werden

Jedes Jahr sollen 70 Millionen Franken in den Fonds fliessen. Der Betrag entspricht einem Viertel der Mehreinnahmen, die Basel-Stadt durch die OECD-Mindeststeuer erhält.

Konkret will das Initiativkomitee die Forschung für wenig lukrative Medikamente fördern. Und eine schweizweite Koordinationsstelle für Kantonsapotheken und Arzneimittelhersteller schaffen, die ohne Gewinnstreben die Versorgungssicherheit mit wichtigen Medikamenten verbessert.

«Wo sinnvoll, können auch Investitionsbeiträge für neue Produktionsanlagen gesprochen werden», sagt Bolliger. Über die Verwendung des Geldes soll ein unabhängiges Gremium entscheiden.

«Wir hoffen darauf, möglichst viele Parteien zur Unterstützung gewinnen zu können», sagt Bolliger. Die kantonale Initiative dürfte zustande kommen. Sie dürfte als Affront gegen die Pharmaindustrie gesehen werden.

Nicht nur die Pharmagiganten, sondern auch kleinere Firmen wie Streuli, die Herstellerin von Schmerzmitteln und anderen Generika, halten nichts von der Initiative. «Ich bevorzuge trotz Engpässen die freie Marktwirtschaft lieber», sagt Claudia Streuli. Der Aufbau eines staatlichen Parallelsystems würde den Markt verzerren.

Was die Forschung betrifft: Der Bedarf an neuen Geldmitteln ist da. Dies ist von Pharmafirmen wie Bioversys zu hören. Basel ist nicht nur die Stadt der Pharmariesen Roche und Novartis, sondern auch eines der weltweit führenden Zentren für die Antibiotikaforschung, wie sie Bioversys betreibt. Die aber lohnt sich finanziell nicht und ist von Fonds abhängig.

Antibiotika sind eines der Beispiele, bei denen die gewinnorientierte Pharmaindustrie versagt. Neue Antibiotika werden zwar dringend gebraucht, sie sind jedoch nicht lukrativ. Bioversys-Chef Marc Gitzinger sagt: «Ich halte die Initiative prinzipiell für eine sehr sinnvolle Unterstützung. Die bestehenden Gelder reichen nicht aus.»

Pharma hat selber einen Fonds geschaffen

Die Pharmaindustrie hat das selbst erkannt und einen Fonds mit einer Milliarde Dollar für die Suche nach Antibiotika gegen multiresistente Keime geschaffen. Dieser helfe sehr, sagt Gitzinger. Aber: «Zusätzliche Mittel sind wichtig, um unser Ziel schnellstmöglich zu erreichen und unser Produkt den Patienten zur Verfügung stellen zu können.»

Der Antibiotika-Fonds fordert stattdessen neue Preismodelle. «Ein Fonds zur zusätzlichen Unterstützung ist gut gemeint», sagt Sprecher Chris Sweeny mit Blick auf die Basler Volksinitiative. Wichtiger aber sei, dass die Staaten die Preismodelle so gestalteten, dass Firmen und Investoren bei der Antibiotikaforschung nicht mehr behindert würden.

Roche finanziert den Antibiotika-Fonds mit – und gehört sogar zu den vier letzten grossen Pharmakonzernen, die noch bei der Forschung nach neuen Therapien gegen multiresistente Superkeime dabei sind. Roche selbst bezieht keine Fördermittel. Stattdessen fordert der Konzern «marktbasierte politische Reformen» – das heisst eben neue Preismodelle –, die die Suche nach neuen Antibiotika lukrativ machen.

Gitzinger von Bioversy sieht das anders. Höhere Preise oder neue Vergütungsmodelle für Antibiotika würden sein Finanzierungsproblem nicht lösen: «Ich denke nicht, dass es den Bedarf nach Forschungsförderung komplett überflüssig macht.»

Die Forschung nach neuen Antibiotika lohnt sich finanziell nur in bestimmten Nischenbereichen, darauf weist Gitzinger hin. Lukrativ sind sie schon ohne neue Vergütungsmodelle, wenn es Krankheiten betrifft, die lebensbedrohlich sind und bei denen die Resistenzen weltweit hoch sind. Dies ist bei Lungenentzündung oder Blutvergiftung der Fall, wie sie bei Spitalinfektionen auftreten können.

Geht es dagegen um Infektionen, die nicht unmittelbar lebensbedrohlich und ei denen die Resistenzen weniger häufig sind, ist das anders. Hier lohnt sich dies laut Gitzinger nur mit neuen Vergütungsmodellen.

Das Problem ist jedoch, dass nicht klar ist, ob die Industriestaaten neue Vergütungsmodelle auch einführen. «Solange nicht klar ist, dass alle EU- und G7-Staaten dies für Antibiotika tatsächlich durchsetzen, sind Fonds-Gelder unerlässlich», sagt Gitzinger.

Hinweis: Am 9. Februar 2024 um die letzten drei Abschnitte ergänzt, damit die Differenzierung zwischen den verschiedenen benötigten neuen Antibiotika und ihrer unterschiedlichen Lukrativität deutlich wird.