Glosse zu Sprachbildern im Bundeshaus Linke und rechte Spiessgesellen
Welche Forderung einigt von SVP bis Kommunisten alle politischen Lager? Sie werden es nicht erraten.
Sie sei froh, dass sie mal eine Session ohne Wolf erlebe. Das sagte die frühere Umweltministerin Doris Leuthard vor Jahren im Parlament, als ausnahmsweise kein Vorstoss traktandiert war, der schnelle Abschüsse von Wölfen forderte. Es ist ja bekannt: Manche Themen sind dem Parlament ganz besonders wichtig und werden wieder und wieder auf die Agenda gesetzt. Zum Leidwesen von Naturschützern und Doris Leuthard gehört der Wolf zu diesen Dauerbrennern.
An allererster Stelle findet sich da freilich ein anderes Anliegen: eines, das Naturschützer und Landwirte einigt, das von Gewerkschaften, Wirtschaftsverbänden, ganz Linken und ganz Rechten gleichermassen vorgebracht wird. Es ist die Forderung nach «gleich langen Spiessen».
Die elektronische Geschäftsdatenbank des Parlaments verzeichnet fast 200 Vorstösse, in der «gleich lange Spiesse» gefordert werden. Kein anderer Wunsch ist vergleichbar populär im Parlament. «Gleich lange Spiesse» wurden in den letzten Jahren unter anderem gefordert für: stationäre und ambulante Eingriffe, SBB und Privatbahnen, Schweizer Holzexporteure, den Schweizer Agrotourismus, ETH und Fachhochschulen, die Bundesreisezentrale und private Reiseagenturen.
In der aktuellen Sommersession waren traktandiert: «Gleich lange Spiesse für städtische Individualbetriebe in der Hotellerie», «gleich lange Spiesse für den Schweizer Zucker» sowie «gleich lange Spiesse für über 50-Jährige».
Die Spiesse sind natürlich ein Tarnwort: für mehr Subventionen, tiefere Steuern oder gesetzliche Vorzugsbehandlung. Wobei es selbstverständlich nie darum geht, einer Branche oder Interessengruppe zusätzliche Vorteile zu verschaffen. Nein, nein: Stets geht es um eine ungerechtfertigte Benachteiligung, die das Parlament doch bitte ausgleichen möge. Durch mehr Subventionen, tiefere Steuern oder gesetzliche Vorzugsbehandlung.
Interessanterweise ist das Sprachbild der «gleich langen Spiesse» fast nur in der Schweiz verbreitet. Das mag damit zusammenhängen, dass die alten Eidgenossen den langen Spiess in ihren Schlachten besonders effektvoll zum Einsatz brachten. Möglicherweise triggern die zahlreichen spiessigen Vorstösse im Parlament die patriotischen Regungen vieler Ratsmitglieder. Jedenfalls sind die Vorstösse oft erfolgreich und werden so bald nicht von den Traktandenlisten verschwinden.
Vielleicht könnten sich das sogar die Naturschützer zunutze machen. Wenn sie endlich jenen Vorstoss einreichen, der bislang noch fehlte: «Gleich lange Spiesse für den Schweizer Wolf».
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