Glosse aus dem BundeshausDas Laptop-Mysterium im Ständerat
Eine kleine Geschichte über den Ständerat und den Computer. Momentaner Beziehungsstatus: Es bleibt kompliziert.
Was unterscheidet einen Ständerat von einem Nationalrat, eine Ständerätin von einer Nationalrätin?
Es ist nicht nur die längliche Rede, das Gefühl der Überlegenheit gegenüber der grossen Kammer oder das männlichere Geschlecht. Nein: Einen Homo sapiens Stöckliens erkennt man zuerst daran, wie er im Ratssaal den Laptop bedient.
Normale Computernutzer stellen ihren Bildschirm so, dass sie das Geschriebene optimal lesen können. Ein Mitglied des Ständerats klappt den Bildschirm möglichst flach nach hinten.
Die Besten bekommen einen vollen 180-Grad-Winkel hin. Zu ihnen gehört der Aargauer SVP-Vertreter Hansjörg Knecht, der Tastatur und Bildschirm seines Laptops wie ein Brett vor sich aufklappt. Solche Perfektion erreicht Ratsneuling Isabelle Chassot (Die Mitte) noch nicht ganz. Doch auch sie schafft bereits einen Aufklappwinkel von annähernd 170 Grad.
Wie kommt es zu dieser weltweit wohl einzigartigen IT-Anomalie?
Bis anhin hat keine Politologin das Laptop-Mysterium klären können. Hiermit schliessen wir nun diese Forschungslücke. Im Ständerat gilt eine bisher kaum bekannte Weisung vom 21. August 2020. Darin verfügt die Ratsleitung, das sogenannte Büro: Elektronische Geräte dürfen «nicht mit aufgeklapptem Bildschirm und nur ohne (eine allfällig vorhandene) physische Tastatur verwendet werden».
Man sagt es ungern: Die Disziplin ist leider nicht bei allen Ratsmitgliedern gleich hoch. Die Regelverstösse gegen die Lex Laptop sind fast an der Tagesordnung. Das ist punkto Vorbildwirkung natürlich etwas schwierig, da die Hauptaufgabe des Ständerats bekanntlich darin besteht, Gesetze zu machen, an die sich das einfache Volk dann halten sollte. Doch das ist hier nicht der Punkt.
Der Punkt ist: Schon die Laptop-Weisung vom August 2020 stellt für Ständeratsverhältnisse eigentlich eine Frivolität dar. Bis vor nicht allzu langer Zeit waren elektronische Geräte ganz verboten. Doch vor sechs Jahren liess sich die Digitalisierung auch im Ständerat nicht länger aufhalten. Und so erlaubte das Büro 2016 wenigstens die Verwendung von tastaturlosen Tablets – aber nur «sofern sie zur Lektüre oder Konsultation von Dokumenten dient und den Ratsbetrieb nicht stört». Normale Laptops blieben verboten – wegen «der besonderen Kultur des Ständerats».
Zu dieser «besonderen Kultur» gehöre, dass man sich «am Platz zuhört» und während der Debatten «nicht andere Arbeiten erledigt», teilen die Parlamentsdienste mit. Zudem geben sie zu bedenken, dass Laptops «visuell problematisch» seien. Man stelle sich vor, eine Ständerätin würde von der Presse hinter einem aufgeklappten Bildschirm gfötelet oder gar auf Filmstreifen aufgenommen!
In der Praxis bedeutet dies, dass die Ständeräte ihre «anderen Arbeiten» halt in einem der beiden Vorzimmer erledigen und während der Debatten gar nicht im Ratssaal sind. Henu.
Man stelle sich vor, ein Ständeratsmitglied würde von der Presse hinter einem aufgeklappten Bildschirm gfötelet oder gar auf Filmstreifen aufgenommen!
So waren die Regeln. Doch dann kam Corona. Im Mai und Juni 2020 musste das Stöckli in der Bernexpo tagen, und dies auch noch papierlos. Die Folge: Der Ständerat musste – horribile dictu – per Notbeschluss erstmals Laptops zulassen. ECHTE COMPUTER!
Doch wer glaubt, dass die Chambre de réflexion damit definitiv zur Chambre de digitalisation geworden wäre, unterschätzt ihr Beharrungsvermögen. Nach der Rückkehr ins Bundeshaus machte das Büro den Notbeschluss wieder rückgängig.
Seither erkennt man einen wirklich reflektierten Ständerat wieder daran, wie flach er seinen Bildschirm auf sein 120-jähriges Pult hinunterklappen kann. Woran auch sonst?
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