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Mehr Absenzen vom Arbeitsplatz
Angestellte werden immer häufiger krank: Braucht es schon am ersten Tag ein Arztzeugnis?

Ein Mann liegt auf dem Sofa und ist krank.
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Werden Angestellte häufiger krank?

Zahlen des Bundesamts für Statistik zeigen, dass die Absenzen aufgrund von Krankheit oder Unfall kontinuierlich zunehmen. 2010 fehlten Angestellte bei Vollzeitbeschäftigung durchschnittlich 6,3 Tage im Jahr. Im vergangenen Jahr waren es 7,6 Tage, was einer Zunahme von gut 20 Prozent entspricht. 2022 stieg der Durchschnittswert – wahrscheinlich als Folge der Pandemie – gar auf 9,3 Tage.

In einer Umfrage bestätigen acht von zehn grossen Krankentaggeldversicherern den Trend. Als Hauptgrund nennen die meisten eine starke Zunahme psychischer Erkrankungen. So teilt etwa die Helsana mit, dass der Anteil der Fälle mit Diagnose «Psyche und Verhaltensstörung» zwar unter 8 Prozent liege. Doch diese Fälle würden rund 30 Prozent aller Leistungskosten im Krankentaggeld ausmachen.

Die Voraussetzungen für eine Absenz

Manche bleiben mit Kopfschmerzen der Arbeit fern, andere wollen ihren beruflichen Pflichten sogar dann nachkommen, wenn sie gemäss Arztzeugnis im Bett bleiben müssten. Beim persönlichen Empfinden von Schmerz oder Beeinträchtigungen gibt es also grosse Unterschiede.

Das Arbeitsrecht bietet in dieser Frage keine klaren Kriterien. Das Obligationenrecht setzt als Grund für eine Absenz voraus, dass sie unverschuldet ist. Krankheit oder Unfall gilt abgesehen von wenigen Ausnahmen nie als verschuldet, wie Roger Rudolph, Arbeitsrechtsexperte an der Universität Zürich, erläutert. Eine Ausnahme wäre etwa, wenn jemand trotz Warnhinweisen bei sehr grosser Lawinengefahr auf der Skitour in einen Lawinenhang fährt und verunfallt.

Mit anderen Worten: Es gibt viel Interpretationsspielraum. Wer sich aufgrund von Krankheit oder Unfall so schlecht fühlt, dass die Arbeit unzumutbar erscheint, darf sich krankmelden.

Arztzeugnis schon am ersten Tag?

Laut Roger Rudolph sind kurze Absenzen kaum je umstritten. Wenn jedoch Angestellte ungewöhnlich häufig nicht zur Arbeit erscheinen und etwa regelmässig mit Krankheitstagen am Freitag oder Montag ihr Wochenende verlängern, können bei der Arbeitgeberin schon Zweifel aufkommen.

Eine skeptische Arbeitgeberin hat allerdings nur beschränkte Druckmöglichkeiten. Die wichtigste: Angestellte sind beweispflichtig. Wenn sie den Nachweis einer Krankheit schuldig bleiben, darf die Arbeitgeberin davon ausgehen, dass sie gesund sind. Das kann unangenehme Folgen bis hin zu einer Kündigung haben.

Der Nachweis einer Krankheit oder eines Unfalls erfolgt mit einem Arztzeugnis. In der Schweiz müssen Arbeitnehmende oft ab dem dritten Tag ein solches Zeugnis vorlegen. Doch diese Frist ist weder im Gesetz noch in der Gerichtspraxis verankert. Ein Unternehmen darf deshalb schon für den ersten Tag einer Absenz einen Krankheitsnachweis verlangen, wenn weder im Arbeitsvertrag noch im Personalreglement etwas anderes vereinbart ist. In Branchen mit Personalnotstand oder bei den erwähnten zweifelhaften Fällen ist das Arztzeugnis ab dem ersten Tag der Krankheit gebräuchlich.

Die Bedeutung der vertrauensärztlichen Untersuchung

Wenn Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit bestehen, können Unternehmen oder Versicherer bei einem Vertrauensarzt eine Zweitmeinung einholen. Häufig geschehe das ziemlich automatisiert nach dem Bezug einer gewissen Anzahl Taggelder, sagt Luzius Hafen, der als Fachanwalt der Kanzlei Advo5 in umstrittenen Fällen Angestellte vertritt. Wenn der Vertrauensarzt zu einem anderen Schluss kommt, wird es für Betroffene schwierig.

«Die erkrankte Person ist häufig überfordert, und wenn deren Arzt sich nicht für sie einsetzt, steht sie auf verlorenem Posten», sagt Hafen. Die Vertrauensärzte stünden im Zweifel auf der Seite des Auftraggebers, und problematisch seien oft völlig unrealistische Prognosen zur Genesung. Deshalb sei es durchaus angebracht, ein vertrauensärztliches Zeugnis kritisch zu hinterfragen.

Was taugt der Versicherungsschutz?

Viele Firmen haben eine Krankentaggeldversicherung abgeschlossen. Diese sieht üblicherweise vor, dass Angestellte im Krankheitsfall während bis zu zwei Jahren 80 Prozent ihres Lohns erhalten. Ohne Krankentaggeldversicherung ist die Firma verpflichtet, im ersten Dienstjahr während dreier Wochen den vollen Lohn zu bezahlen. Die Dauer der Lohnfortzahlung steigt mit der Anstellungsdauer. Dabei kann es regionale Unterschiede geben, die in der Berner, Zürcher und Basler Skala definiert sind.

Bei einer bleibenden gesundheitlichen Beeinträchtigung dauert es mindestens ein Jahr – oft aber zwei bis drei Jahre –, bis eine Invalidenrente bewilligt wird. Eine Krankentaggeldversicherung ist aus Sicht der Angestellten besser als die Lohnfortzahlung ohne Versicherung, da sie den Ausfall bis zu einer allfälligen Rente länger überbrückt.

«Doch die Versicherer unternehmen einiges, damit sie nicht über die gesamten zwei Jahre eine Lohnfortzahlung leisten müssen», sagt Luzius Hafen. So könne beispielsweise die Versicherung im Kleingedruckten regeln, dass die Leistungen früher enden, wenn man das Unternehmen verlässt.

Viele Versicherer bieten zudem eine persönliche Betreuung von Betroffenen an, die beispielsweise zu einer rascheren Wiedereingliederung oder Umschulung führen kann. Neben positiven Aspekten einer solchen Betreuung nennt Luzius Hafen auch kritische Punkte: «Ich habe beispielsweise erlebt, dass eine Person als Preis für ein solches Coaching unabhängig vom Krankheitsverlauf hätte auf Versicherungsleistungen verzichten müssen.»

Wann ist eine Kündigung erlaubt?

Es gibt zwar einen Kündigungsschutz bei Krankheit oder Unfall, doch der ist zeitlich auf sogenannte Sperrfristen begrenzt. Im ersten Dienstjahr sind das 30 Tage, vom zweiten bis fünften 90 und ab dem sechsten Dienstjahr 180 Tage. Der Schutz gilt nur während der krankheitsbedingten Abwesenheit. Sobald jemand an den Arbeitsplatz zurückkehrt, ist eine Kündigung möglich.

In der Praxis kommt es öfters vor, dass Angestellte nach der Kündigung erkranken. In diesem Fall bleibt die Kündigung gültig, doch der Termin verschiebt sich entsprechend der Sperrfrist nach hinten. In der Regel verlängert sich die Frist jeweils noch auf Ende Monat, wie Roger Rudolph erläutert.

Schliesslich kommt es vereinzelt auch vor, dass eine Firma einem bereits erkrankten Angestellten noch während der Sperrfrist kündigt. Eine solche Kündigung ist ungültig und muss nach Ablauf der Sperrfrist wiederholt werden.