Geschädigte gingen leer aus Als Folge des VW-Skandals sollen Konsumenten leichter klagen können
Eine Lücke im System verhindere, dass Geschädigte ihr Recht geltend machen können, mahnt der Konsumentenschutz. Das soll sich ändern – am Freitag steht die nächste Entscheidung dazu an.
VW musste in den USA Milliarden Dollar an Autokäuferinnen und Autokäufer abliefern, weil der deutsche Konzern die Abgaswerte seiner Dieselautos manipuliert hatte. Schweizer VW-Kunden bekamen dagegen keinen Rappen, wenngleich auch sie geschädigt worden waren.
Doch in der Schweiz gibt es bisher keine Möglichkeit, mittels kollektiver Rechtsdurchsetzung etwa in Form einer Verbandsklage solche Ansprüche geltend zu machen. Die Stiftung Konsumentenschutz scheiterte mit ihrem Versuch einer solchen Klage. Nun könnte das Schweizer Rechtssystem ergänzt werden.
«Grosse Lücke im System»
Am Freitag diskutiert die zuständige Rechtskommission des Nationalrats über eine Änderung der Zivilprozessordnung, die genau dies zum Inhalt hat. Der Bundesrat plant, die kollektive Rechtsdurchsetzung auszubauen, wie es im Fachdeutsch heisst. Für Nadine Masshardt, Präsidentin der Stiftung Konsumentenschutz und SP-Nationalrätin, eine Chance, um «eine grosse Lücke in der Rechtsdurchsetzung» zu füllen.
Denn: «Heute sind grosse Teile der Gesellschaft von der Möglichkeit ausgeschlossen, ihr Recht einzufordern. Das würde sich mit der Vorlage ändern», sagt Masshardt.
Ein Argument gegen die Änderung der Rechtsordnung liefert ein Blick in die USA. Ursprünglich als wirkungsmächtiges Instrument geschaffen – man denke nur an Klagen gegen Zigarettenhersteller –, sind die Sammelklagen in den USA heute vor allem zu einem guten Geschäft für Heerscharen an Anwälten geworden. Entsprechend beliebt sind solche Klagen.
Economiesuisse warnt daher vor der Änderung der Schweizer Gesetze und fürchtet, dass Schweizer Firmen mit Klagen überzogen werden könnten. Am Ende drohten höhere Preise, weil die Unternehmen die höheren Rechtskosten auf die Konsumentinnen und Konsumenten abwälzen würden.
Die Stiftung Konsumentenschutz hält diese Kritik für unbegründet. Und nennt dafür folgende Gründe: In der Schweiz ist ein sogenanntes Opt-in-Verfahren angedacht. Heisst: Wer seine Ansprüche geltend machen will, muss sich der Verbandsklage ausdrücklich anschliessen. Das schränke schon mal stark ein, so Masshardt.
Gleichzeitig könnten diese neue Form der Klagen nur Organisationen oder Verbände nutzen, die zudem gewisse Voraussetzungen erfüllen müssen. Sie dürfen zum Beispiel nicht gewinnorientiert sein, müssen mindestens seit zwölf Monaten bestehen und unabhängig von der beklagten Partei sein. Im Unterschied dazu können in den USA auch Einzelpersonen eine Sammelklage lancieren, der sich dann andere Geschädigte anschliessen.
Solch eine klassische Sammelklage nach amerikanischem Vorbild sollte nach Ansicht des Bundesrates nicht in Betracht gezogen werden.
Umstrittene Vorlage
Neben der Verbandsklage soll auch ein neues Instrument namens kollektiver Vergleich geschaffen werden. Dort soll im Gegensatz zur Verbandsklage eine Opt-Out-Möglichkeit bestehen. Das heisst, der Vergleich gilt für alle, die denselben Schaden erlitten haben, egal, ob sie sich am Gerichtsprozess beteiligen. Dieses Instrument ist ebenfalls Richtlinien unterworfen, damit es nicht zu amerikanischen Verhältnissen kommt.
«Wir würden diese Klagen nur anstreben, wenn es eine Rechtsverletzung gegeben hat und nicht einfach als Druckmittel.»
Die Stiftung Konsumentenschutz rechnet damit, dass nach einer allfälligen Einführung der Verbandsklage es maximal alle zwei bis drei Jahre zu einer grossen Klage käme. Aber könnten Verbände nicht allein schon mit der Drohung einer solchen Klage Druck auf Firmen ausüben? «Darum geht es nicht. Eine Klage werden wir nur anstreben, wenn es eine Rechtsverletzung gegeben hat und nicht einfach als Druckmittel», entgegnet Masshardt. Das habe auch damit zu tun, dass das Prozessrisiko hoch ist. Wer unterliegt, trägt die Prozesskosten. Entsprechend kämen unrealistische Forderungen gar nicht vor Gericht.
Die Vorlage ist umstritten. Mit dem Wirtschaftsverband Economiesuisse hat das Vorhaben einen gewichtigen Gegner. Laute Opposition ist also programmiert. Die erste Hürde ist nun die Rechtskommission. Sie muss erst einmal überhaupt auf das Geschäft eintreten.
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