Temperatursprung an der MeeresoberflächeDas Jahr 2023 liess Forschende lange rätseln, Berner Studie liefert eine Erklärung
Laut Autoren war der globale Temperaturanstieg ein Extremereignis, wie es alle 500 Jahre vorkommt. Sinkt die Erwärmung nun wieder auf das alte Niveau? Die Daten lassen hoffen.

- 2023 stieg die globale Temperatur unerwartet stark an, was Forschende überraschte.
- Das gilt auch für die Meeresoberfläche. Berner Forscher zeigen nun, dass Klimamodelle diese Extremereignisse simulieren können.
- Ohne Klimawandel wäre der Temperatursprung nicht möglich gewesen.
- Klimamodelle sagen Rückgang der hohen Temperaturen auf das alte Niveau vor dem Sprung voraus.
Als Mitte 2023 die globalen Temperaturen auf der Erdoberfläche überraschend stark anstiegen, rüttelte das die weltweite Gemeinde der Klimaforschenden auf. Es hatte keine plausiblen Anzeichen für einen solchen Temperatursprung gegeben. Bis heute sind die Temperaturen hoch geblieben.
Die Wissenschaft kann heute gut abschätzen, wie stark sich die Erde durch die Emissionen der Treibhausgase langfristig erwärmt. Schwankungen im Klimasystem auf kürzeren Zeitskalen sind aber wesentlich schwerer vorauszusagen. Gavin Schmidt, Leiter des Goddard Institute for Space Studies der Nasa, schrieb im Fachmagazin «Nature»: «Es ist ein wenig beunruhigend, zugeben zu müssen, dass kein Jahr die Vorhersagefähigkeiten der Klimaforscher mehr überfordert hat als das Jahr 2023.»
Ist 2023 doch erklärbar? Klimamodelle erkennen Extremereignisse
Zwar zeigen die Klimamodelle, die der Weltklimarat IPCC in seinem Bericht 2021 verwendeten, dass die globale Jahrestemperatur im Jahr 2023 immer noch deutlich im Bereich der möglichen Klimaprojektionen liegt. Dennoch titelte Gavin Schmidt seinen «Nature»-Beitrag so: «Klimamodelle können die enorme Hitzeanomalie von 2023 nicht erklären».
Diesen Befund haben Forscher der Abteilung Klima und Umweltphysik am physikalischen Institut der Universität Bern genauer angeschaut. Und zwar anhand von Daten der globalen Meeresoberfläche, weil der Temperatursprung in den Ozeanen noch grösser als auf den Kontinenten war. Die Berner Forscher untersuchten Beobachtungsdaten, statistische Modelle und 270 Klimasimulationen.
Das Ergebnis: «Das Ereignis ist zwar unwahrscheinlich, aber nicht unerwartet», sagt Jens Terhaar, Hauptautor der Studie, die im Fachmagazin «Nature» veröffentlicht wurde. Die Studie belegt, dass die heute besten Klimamodelle, die auf naturwissenschaftlichen Gesetzmässigkeiten basieren, das Extremereignis abbilden.
Temperaturanstieg ohne Klimawandel nicht möglich
Die Studie zeigt aber auch auf: Ein solcher Temperaturanstieg wäre ohne den Klimawandel nicht möglich gewesen. «Das lässt sich mit grosser Sicherheit sagen, auch wenn die Unsicherheiten in den Berechnungen sehr gross sind», sagt Friedrich Burger, Mitautor der Studie.
Statistisch betrachtet kann sich ein solches Extremereignis etwa alle 500 Jahre ereignen. Die globalen Temperaturen der Meeresoberfläche erreichten von April 2023 bis März 2024 Höchstwerte, die im Durchschnitt den bisherigen Rekord von 2015/2016 um 0,25 Grad Celsius übertrafen. «Das Klimasystem mit seinen starken Schwankungen kann nur in einer wärmer gewordenen Welt solche Temperatursprünge erzeugen», sagt Jens Terhaar. Ungewöhnliche Wärmehotspots zeigten sich vor allem im Nordatlantik, im Nordpazifik und im tropischen Pazifik. Frühere Rekorde wurden allerdings nur im Nordatlantik gebrochen.
Wo die Temperatur der Meeresoberfläche massiv ansteigt, können lokal marine Hitzewellen entstehen, die das regionale Klimamuster verändern. Im Indischen Ozean zum Beispiel beeinflussen sie den Monsunwind und mit ihm die Regenereignisse.
Die neuen Ergebnisse werfen aber auch eine andere Frage auf: Welche Rolle spielen jene Faktoren, die Klimaforschende bisher in Betracht gezogen haben, um das Sonderjahr 2023 zu erklären? Etwa die erhöhte Sonneneinstrahlung durch eine geringere Luftverschmutzung, eine geringere Reflexion der Strahlung an der Erdoberfläche durch eine erhöhte Zahl tief liegender Wolken oder der Einfluss von El Niño, einem Wetterphänomen, das jeweils kurzfristig zu einer globalen Erwärmung führt und vor allem 2024 einen Einfluss hatte?
Alle diese Faktoren können in Kombination eine Rolle spielen. «Unsere Ergebnisse zeigen, dass diese Faktoren durchaus mitspielen können, aber dass die geringe Luftverschmutzung, zum Beispiel durch geringere Schiffsemissionen, für einen extremen Temperaturanstieg wie 2023 nicht notwendig ist», sagt Hauptautor Jens Terhaar. Ohne El Niño wäre aber der extreme Temperatursprung nicht möglich gewesen, fügt er hinzu.
Abflachen der Hitzewelle prognostiziert
Die Klimamodelle haben laut der Studie zudem korrekt simuliert, dass nach dem Temperatursprung an der Meeresoberfläche die Erwärmung im darauffolgenden Sommer 2024 nicht mehr auf Rekordniveau liegen würde. Die Temperatur soll sogar voraussichtlich bis im September wieder auf das Niveau von vor dem Sprung zurückkehren.
Nur in Modellen mit hoher Klimasensitivität kehren die Temperaturen nicht auf das Niveau von vor dem Sprung zurück. Konkret hiesse das zum Beispiel: Die Erderwärmung nimmt durch die Emissionen der Treibhausgase stärker zu als bisher angenommen. Aber selbst in diesem Fall würden Temperaturen in den kommenden Jahren schwächer ansteigen und in den Modellen mit hoher Klimasensitivität zur erwarteten Temperaturkurve zurückkehren, sagt Terhaar.
Ultimativer Test
Passiert das in der Realität nicht, dann müssen die Klimaforschenden allerdings nochmals über die Bücher. Das würde heissen, dass die Klimamodelle doch noch eine Schwäche aufweisen, wenn sie das Klimasystem abbilden.
Das wiederum würde die These des amerikanischen Klimaforschers James Hansen stärken. Er geht davon aus, dass sich die Erderwärmung in den letzten Jahrzehnten beschleunigt hat und nicht analog der Anstiegsrate der Emissionen folgt. Ein Grund sind seiner Ansicht nach die erwähnten Fortschritte bei der Luftverschmutzung.
Aktuell liegt der globale Temperaturverlauf an der Meeresoberfläche unter den Werten von 2024 und entwickelt sich wie von den Modellen prognostiziert.
Nur Zufall?
«Die Arbeit ist ein wichtiges Puzzleteil, um die Rekorde der letzten zwei Jahre zu erklären», sagt ETH-Klimaforscher Reto Knutti, der nicht an der Studie beteiligt war. Für ihn bleibt die Frage offen, welcher Anteil des extremen Temperaturanstiegs zufällig war und wie viel mit anderen Faktoren, wie etwa Massnahmen zur Luftreinhaltung, erklärbar ist. «Vor allem zeigen uns die Klimamodelle, dass wir in einer wärmeren Welt mit Rekorden rechnen müssen, die weit über das Beobachtete hinausgehen und eine Herausforderung sein werden, um sich an die Folgen anzupassen», sagt Knutti.
Wie auch immer sich das Klima in Zukunft verhalten wird, in einem Punkt sind sich die Klimaforschenden einig: Jede zusätzliche Tonne CO2 aus der Verbrennung fossiler Energien verstärkt die Erderwärmung – und ist zu viel.
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