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Vorhersage für Extreme
45 Grad in Paris: So viel heisser können Hitzewellen werden

Menschen ruhen in einem Kühlungszentrum in Oregon während der extremen Hitzewelle 2021.
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Der diesjährige Sommer hat heisse Tage gebracht. Doch das ist nichts gegenüber dem Juni 2021. Es war eine unglaubliche Hitze im Westen von Nordamerika. In der kanadischen Stadt Lytton zum Beispiel war es 49,6 Grad heiss, der vorherige Hitzerekord wurde damit um gut 5 Grad übertroffen. In Chicago stieg die Temperatur sechs bis sieben Grad über den bisherigen Rekord. Das sind 15 Grad über dem durchschnittlichen Jahresmaximum. «Kaum jemand konnte sich vorstellen, dass solche Extreme überhaupt möglich sind», sagt Erich Fischer, Klimaforscher an der ETH Zürich. Und das über vier bis fünf Tage. Sprachlos machen aber auch Temperaturrekorde in China oder in London im letzten Jahr. In diesem Jahr sind es die Hitzewellen im Nordatlantik und im Mittelmeer. 

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Nimmt man die langjährigen Beobachtungen als Datenbasis, dann können Rekorde wie während der kanadischen Hitzewelle nicht erwartet werden. Sie sind ausserhalb der berechenbaren Wahrscheinlichkeiten. Im Kreis der Klimaforschenden kamen Fragen auf: Läuft der Klimawandel schneller ab, als es die Klimamodelle aufzeigen? Können die aktuellen Klimamodelle solche Extreme überhaupt abbilden? 

Erich Fischer und sein Team sind diesen Fragen nachgegangen. Pragmatisch fragten sie sich, ob sie in der Lage gewesen wären, den kanadischen Behörden ein Jahr vor dem Ereignis eine Antwort zu geben, wenn diese nach dem Worst Case gefragt hätte. Die Antwort steht im eben erschienenen Beitrag in «Nature Communications»: Man hätte es gekonnt. 

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Aber dafür hätte man die Methode gebraucht, welche die ETH-Forscher entwickelt haben: Die Forschenden können dabei aktuelle Klimamodelle verwenden, die Datenverarbeitung ist jedoch optimiert worden. Nun können die Modelle in nützlicher Frist und relativ kostengünstig nicht nur 50- bis 100-mal mögliche Klimaentwicklungen der nächsten Jahrzehnte durchrechnen, sondern gezielt mehrere Tausend Male extremste Wetterereignisse simulieren. Dabei werden unter anderem Einflüsse von Phänomenen wie El Niño und La Niña berücksichtigt, unterschiedlich starke Hochdrucklagen, Anströmung heisser Luft, die Bodenfeuchte, Trockenheit.

Eine kleine, chaotische Störung reicht

Die Modellresultate werden zudem mit Daten von früheren extremen Ereignissen verglichen. «Wir zeigen, dass die Prozesse, welche im Modell zu extremen Hitzewellen führen, sehr ähnlich sind wie jene, die wir 2021 in Kanada beobachtet haben», sagt Erich Fischer. Die kanadischen Wetterdienste hätten die Hitzewelle 2021 schon mehr als eine Woche im Voraus gut vorhergesagt, aber das Ausmass sei damals nicht für möglich gehalten worden. Die Hitzewelle forderte zum Beispiel allein in British Columbia gemäss Medienberichten innerhalb einer Woche mindestens 719 Todesopfer.

Dank der neuen Methode zeigen die ETH-Forschenden, dass es bei ähnlichen Wetterbedingungen manchmal nur eine kleine chaotische Störung im gesamten Wettersystem braucht – die Fachleute reden vom Schmetterlingseffekt –, um eine noch extremere Hitzewelle zu generieren, die sogar heisser sein kann als die kanadische Hitzeperiode. «Wir lernen dabei auch, welche Prozesse bei Extremereignissen dominieren und welche verhindern, dass die Temperaturen noch weiter steigen», sagt Fischer. So stellte sich heraus, dass es für starke Hitzewellen nicht nur am Boden heiss sein muss, sondern auch in den oberen Luftschichten der Atmosphäre. Unter diesen Voraussetzungen gibt es einen weniger starken Aufwind und deshalb weniger kühlende Gewitter. 

«Es ist wichtig, zu wissen, bei welchen Temperaturen in Frankreich die Stromversorgung durch Kernkraftwerke noch gesichert ist.»

Erich Fischer, Klimaforscher an der ETH Zürich

Aber die Forschenden möchten noch einen Schritt weitergehen, im Rahmen eines europäischen Projektes: Ziel ist es, ein Instrument zu entwickeln, das aufzeigt, mit welchem Worst Case ein Land oder eine Region rechnen muss – nicht nur in ferner Zukunft, sondern bereits heute. «Dabei geht es nicht um die Wahrscheinlichkeit, dass ein Ereignis eintritt, sondern darum, zu verstehen, ob zum Beispiel Strom- und Wasserversorgung oder Spitäler und Altersheime noch funktionieren würden», sagt Erich Fischer. Es geht also um eine Art Stresstest für kritische Infrastrukturen. Der ETH-Forscher erklärt es am Beispiel von Kernkraftwerken: «Es ist wichtig, zu wissen, bei welchen Temperaturen zum Beispiel in Frankreich die Stromversorgung durch Kernkraftwerke noch gesichert ist, wenn gleichzeitig die Stromnachfrage für Kühlung stark ansteigt.» 

Das Kernkraftwerk Beznau musste im Sommer 2022 wegen der Hitze den Betrieb reduzieren.

Im Falle Frankreichs stellt sich bei solchen Extremereignissen der Grössenordnung von Kanada die Frage, ob umliegende Staaten dann mit genügend Stromexporten aushelfen können. Die Betreiber des Kernkraftwerkes Beznau zum Beispiel mussten im letzten Sommer den Betrieb reduzieren, weil die Aare zu warm war und das Kernkraftwerk kein Kühlwasser mehr einleiten durfte. Das war jedoch eine Hitzeperiode, deren Ausmass weit unterhalb dem liegt, was möglich wäre.  

Stresstest für Paris

Die ETH-Forscher haben zum Beispiel die neue Methode für den Raum Paris angewandt und dabei herausgefunden, dass auch dort fünftägige Hitzewellen möglich sind, die nochmals 2 bis 3 Grad über den bisherigen Hitzerekorden liegen können. Paris und auch Zentraleuropa haben in den letzten Jahren Erfahrungen mit mehreren mehrtägigen extremen Hitzewellen gemacht. Ein Grund ist unter anderem eine Zunahme der Zahl an Hochdrucklagen in den letzten Jahrzehnten. 

Fischer hat bewusst den Raum Paris für die Berechnungen ausgewählt, weil dort im nächsten Jahr die Olympischen Spiele ausgetragen werden. «Behörden und Organisatoren sollten sich vermehrt bewusst werden, welches Wetterrisiko sie im schlimmsten Fall eingehen, um Stresstests für kritische Infrastruktur und entsprechend Notfallpläne machen zu können», sagt Erich Fischer. Dabei gehe es nicht darum, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Ereignis eintrete.

Die Regierung hat offensichtlich die Gefahr erkannt: Sie plant Mitte Oktober in zwei Bezirken der Stadt eine Krisenübung: Was ist zu tun, wenn es in der Stadt 50 Grad heiss wird? Ein Szenario, das nach den neuen Modellrechnungen nicht mehr abwegig ist.

«Ich denke, die Millionenstadt Chicago wäre in diesem Fall schlecht vorbereitet.»

Erich Fischer, Klimaforscher ETH Zürich

Die Hitzewelle von Kanada hat gezeigt, was passiert, wenn die Gesellschaft nicht vorbereitet ist. Ein gutes Beispiel ist für Fischer Chicago. «Wenn man die Beobachtungen der letzten Jahrzehnte anschaut, so könnte man das Hitzerisiko unterschätzen», sagt Fischer. Die Berechnungen der ETH zeigen aber, dass Ereignisse möglich sind, die 6 bis 7 Grad über dem bisherigen Hitzerekord liegen. «Ich denke, die Millionenstadt wäre in diesem Fall schlecht vorbereitet», sagt der Klimaforscher.