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Meinung

Schreibtrend Journaling
Sobald die Sorgen auf dem Papier sind, verlieren sie ihre Dringlichkeit

Frau lehnt in einer Türöffnung und schreibt in ein Notizbuch.
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Am Anfang sind die Finger klamm und steif, die Schrift ist krakelig, wie die meisten schreibe ich nicht mehr oft von Hand. Doch nach etwa fünf Minuten, wenn die ersten Gedanken auf Papier sind, wird die Schrift schöner, der Geist beruhigt sich. Es kommen irgendwelche Sätze heraus – Beziehungsthemen, Notizen zu vergangenen Reisen, Alltagskram aus dem Büro, ein wiederkehrendes Lamento zur Weltlage (Trump kommt oft vor), ab und zu ein universeller Gedanke. «Ich bin mir meiner Endlichkeit bewusst, und es stresst mich», schrieb ich am 28. Januar 2025.

Seit ich Sätze bilden kann, schreibe ich Tagebuch. Manchmal passiert es mehrmals pro Monat, dann wieder wochenlang nicht. Ich muss mich oft überwinden, aber wenn ich es tue, tut die Selbstreflexion gut. Es ist, als könnte ich alles, was mich beschäftigt, loslassen, und ich fühle mich danach leichter.

Wie ich kürzlich erfahren habe, soll das, was ich seit Jahren intuitiv betreibe, sehr gesund sein. «Journaling» heisst es, und laut verschiedenen Artikeln über den «Trend» sei das etwas ganz anderes als Tagebuchschreiben, weil die Gedanken relativ wild, also expressiv, auf dem Blatt landen.

Die Grenze zum Tagebuchschreiben ist bei Journaling fliessend

Ich persönlich würde die Grenze zwischen Tagebuch und Journaling nicht so hart ziehen: Natürlicherweise schreibt man auch beim klassischen Tagebuchschreiben seine Tage nicht chronologisch vom ersten Morgenkaffee bis zum Schlummertrunk auf – es sei denn, man steht auf ultralangweilige Protokolle.

Elementar beim Schreibritual ist, dass es von Hand geschieht. Denn verschiedene Schaltzentren im Hirn verknüpfen sich tatsächlich stärker, wenn man mit dem Stift arbeitet. Dies haben Forschende der Norwegischen Universität für Naturwissenschaften und Technologie herausgefunden: Beim Schreiben mit der Hand seien die Konnektivitätsmuster des Gehirns weitaus ausgefeilter als beim Schreiben auf einer Tastatur.

Schreiben regt mehrere kognitive Prozesse an

Die betroffenen Hirnregionen sind nämlich an den kognitiven Prozessen des Sehens und Erkennens, der Sprachbildung und der Bewegung beteiligt. Das ist wohl auch der Grund, warum ich mich beim Schreiben jeweils so geerdet fühle: weil verschiedene Sinne betätigt werden. Längst ist auch bekannt, dass man sich Dinge, die von Hand notiert werden, besser merken kann: Die händische Schreibbewegung ist eine direkte Verbindung zum Hirn.

Laut dem texanischen Psychologieprofessor James Pennebaker, der das «therapeutische Journaling» in den 1970er-Jahren etablierte, soll sich das Niederschreiben von Gedanken sogar positiv auf das Immunsystem auswirken und den Blutdruck senken. Das kann ich als alter Schreibhase nicht durchgehend bestätigen, ich werde auch mal krank, habe aber schon mit hohem Fieber notiert, wie elend ich mich fühle. Danach gings mir besser.

Wer nach diesem Werbespot fürs händische Schreiben auch damit beginnen möchte, mit der Tätigkeit aber nicht so vertraut ist, kann für erste Übungen auch Vorlagen zur Hand nehmen. So gibt es im Buchhandel sogenannte «Bullet Journals» mit vordefinierten Themen. Dort kann man beispielsweise Visionen niederschreiben oder Dinge notieren, für die man dankbar ist. Um den Schreibprozess zu starten, hilft manchmal auch einfach ein schöner, neuer Stift.

In dieser Kolumne denken unsere Autorinnen und Autoren jede Woche über das gute Leben nach.