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Rede an die Nation
Joe Biden: «Wir sind Amerikaner. Wir müssen zusammenstehen»

WASHINGTON, DC - JULY 15: U.S. President Joe Biden delivers a nationally televised address from the Oval Office of the White House on July 15, 2024 in Washington, DC. The president was expected to expound on remarks given at a news conference earlier in the day on yesterday's shooting in Butler, Pennsylvania, in which former U.S. President Donald Trump was injured at a campaign rally.   Erin Schaff-Pool/Getty Images/AFP (Photo by POOL / GETTY IMAGES NORTH AMERICA / Getty Images via AFP)
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Die Lage ist ernst, wenn sich Joe Biden aus seinem Arbeitszimmer im Weissen Haus an die Nation richtet, wenn der Präsident aus dem Oval Office direkt die Bürgerinnen und Bürger anspricht. Erst zum dritten Mal hat er am Sonntag eine solche Ansprache im Oval Office aufgenommen. Biden setzte sich hinter das schwere Resolute Desk, von seinem linken Handgelenk hing der Rosenkranz, der ihm lieb und teuer ist. Sein Sohn Beau hatte ihn getragen, als er dem Hirntumor erlag.

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Auch jetzt wieder betet Joe Biden, diesmal für seinen Rivalen und dessen Familie, nachdem Donald Trump am helllichten Tag angeschossen wurde, am Samstag bei einer Wahlkampfrede in Butler, Pennsylvania. Und für den 50-jährigen Teilnehmer der Veranstaltung, der tödlich getroffen wurde, als er mit seinem Körper seine zwei Töchter abschirmte.

«Temperatur in unserer Politik senken»

Es sei jetzt Zeit, «die Temperatur in unserer Politik zu senken», begann die Ansprache des US-Präsidenten, ohne dem Republikaner nach dem Attentat vorzuwerfen, höchstpersönlich zur aufgeheizten Stimmung im Land beigetragen zu haben. Man müsse Donald Trump aufs Korn nehmen, hatte Biden laut US-Medien bei einem Sponsorenanlass bemerkt. Öffentlich hatte Biden in Michigan gesagt, der Republikaner sei eine Bedrohung für die Demokratie, einen Tag bevor Trump angeschossen werden sollte.

Nun sagte Biden zu diesem Aspekt der Kontroverse nur, das Motiv des Täters, des 20-jährigen Thomas Matthew Crooks, sei nicht bekannt. Einige Dinge seien aber klar zutage getreten, sagte Biden. Er erinnerte an die Verantwortung jedes Einzelnen, politische Differenzen friedlich auszutragen. «Auch wenn wir verschiedene Meinungen vertreten, sind wir nicht Feinde, sondern Nachbarn, Freunde, Mitarbeiter, und, am allerwichtigsten, wir sind Amerikaner. Wir müssen zusammenstehen», sagte Biden.

Biden musste den richtigen Ton treffen

Die Schüsse auf Donald Trump müssten für alle den Anstoss geben, einen Schritt zurückzutreten. «Wir dürfen in Amerika diesen Weg nicht begehen, den wir in der Geschichte immer wieder gegangen sind», sagte Biden. «Gewalt war nie die Antwort.» In Amerika sei «kein Platz für diese Art von Gewalt, für jede Art von Gewalt. Punkt. Keine Ausnahmen», sagte Biden. «Wir können es nicht zulassen, dass diese Gewalt normalisiert wird.» Politik dürfe nie ein Schlachtfeld werden.

Ernst ist die Lage natürlich nicht nur für die Nation, sondern auch für Biden selbst. Er lag schon vor dem Attentat in Rückstand gegen Trump. Also muss er angreifen, in Zukunft aber mit Samthandschuhen. Sein Hauptargument, dass sein Herausforderer von den Republikanern eine Gefahr für die Demokratie darstelle, ist nunmehr schwierig anzubringen.

Zudem muss Biden die parteiinternen Kritiker im Zaum halten, jene, die meinen, der 81-Jährige sollte nach seinem katastrophalen Auftritt an der TV-Debatte in Atlanta vor zwei Wochen auf die Kandidatur verzichten. Seit Samstag ist der parteiinterne Streit bei den Demokraten in den Hintergrund getreten, statt steten neuen Rückzugsforderungen herrschte da nur noch Schock, betretene Stille – und Ratlosigkeit, was denn das jetzt alles für die Wahlziele der Demokraten bedeuten mag, für das Weisse Haus, für den Senat und das Repräsentantenhaus.

Hinter den Kulissen aber sind die Diskussionen bereits in Gang, in die Öffentlichkeit fanden sie bisher nur in Bruchstücken, in Form anonymer Zitate. Ein Demokrat etwa sagte zur Publikation «Axios»: «Wir haben uns damit abgefunden, dass Trump noch einmal Präsident wird.»

Kämpferisch auftreten musste Biden also nun, in einer Rede, in der er die Temperatur zu senken verspricht – es gibt einfachere Balanceakte. Den richtigen Ton treffen, Gewalt verurteilen, ohne aber die problematischen Seiten von Trumps politischem Programm zu verschweigen. Die Aufgabe löste der Präsident, indem er zeigte, dass er nicht gedenkt, auf Kritik zu verzichten, auch wenn sie weniger hart formuliert sein mag. «Ich werde weiterhin unsere Demokratie verteidigen, mich einsetzen für unsere Verfassung und den Rechtsstaat, für das Handeln an der Wahlurne, ohne Gewalt in den Strassen», sagte Biden.

Die Sündenliste der Gewalttaten

Dazu zählte der Demokrat politische Gewalttaten der jüngeren Vergangenheit auf, die Schüsse auf Trump, die geplante Entführung von Michigans demokratischer Gouverneurin Gretchen Whitmer, den Hammerangriff auf Paul Pelosi, den Ehemann der früheren demokratischen Sprecherin des Repräsentantenhauses. Doch er nannte auch die Einschüchterung von Wahlbeamten, an der Donald Trump 2020 beteiligt war. Ebenso erwähnte er den Angriff eines gewalttätigen Mobs auf das US-Capitol vom 6. Januar 2021, ohne dabei laut zu sagen, dass es Präsident Trump war, der seine Anhänger zum Parlamentsgebäude geschickt hatte, um die Bestätigung der Wahl von Joe Biden zu verhindern.

Damit schliesst sich für Biden ein Kreis. In den Wahlkampf 2020 war er mit dem Versprechen gezogen, das Land nach der Spaltung in den Trump-Jahren wieder zu einen. Jetzt, dreieinhalb Jahre später, richtet er ähnliche Appelle an seine Landsleute wie in den ersten Tagen im Amt. Es ist ihm nicht gelungen, die tiefen Risse zu kitten, die die Amerikaner voneinander trennen. Wie er das nun erreichen will, ist nach seiner Ansprache nicht klarer geworden. Bidens Kampagne hat den Wahlkampf vorerst unterbrochen, für wie lange, ist offen.

Donald Trump hingegen versendet Signale, dass er am Donnerstag am Parteitag in Milwaukee als Tröster und Versöhner auftreten will. Schon jetzt spielt er damit, er, der starke, reaktionsfähige Mann, der im Angesicht des Todes die Faust in die Höhe reckt zum Widerstand. Und dort der nette, vergessliche ältere Herr mit seinen Versprechern. Joe Bidens Rede trug nicht dazu bei, diesen Eindruck, der vor dem Attentat zwei Wochen lang die USA umgetrieben hatte, zu zerstreuen.

Biden stolpert bei der entscheidenden Stelle

Während es Trump das Leben gerettet haben dürfte, dass er nicht vom Teleprompter ablas und darum den Kopf drehte, schaute der 81-jährige Präsident leicht, aber sichtbar an der Kamera vorbei, weil er die Rede von leicht mehr als sechs Minuten Länge von einem Teleprompter ablas. Dennoch unterliefen Biden wieder einige Versprecher. Besonders geärgert haben dürfte ihn, dass er bei der wichtigsten Passage stolperte, als er sagen wollte, was er nun von den Amerikanern als Beitrag erwarte. Oder als er Wahlurnen zweimal als Battle Box statt als Ballot Box bezeichnete, ausgerechnet in einer Rede über die Vermeidung politischer Gewalt.

Wie lange der Burgfrieden zwischen Republikanern und Demokraten halten wird, ist fraglich. In den sozialen Medien machten sich rechte Meinungsmacher über Biden in einem Tonfall lustig, der wenig Gutes verheisst. Andere verbreiteten Hoffnung, etwa der republikanische Abgeordnete Mark Green, der jeweils Politiker beider Parteien beim Dinner in seinem Haus in Washington zusammenbringt. Um die Rhetorik abschwächen zu können, müssten zuerst die Beziehungen über die Parteigrenzen hinweg repariert werden. Den Ton zurückzunehmen, forderte auch Mike Johnson, Sprecher des Repräsentantenhauses, auf der Plattform – aber erst nachdem er Donald Trump «als einen der meistverfolgten Politiker der Geschichte» beschrieben hatte.