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Übergabe im Gazakrieg
Die Unbekannte im vierten Sarg – führt die Hamas einen Psychokrieg?

Menschen inmitten von israelischen Flaggen reagieren emotional auf dem Hostages Square in Tel Aviv vor der Übergabe von vier Leichnamen, die am 20. Februar 2025 von Hamas-Kämpfern genommen wurden. Zu den Toten gehören die Mitglieder der Bibas-Familie.
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In Kürze:
  • Israelische Experten identifizierten unter vier am Donnerstag übergebenen Leichen drei israelische Tote, nicht darunter: Schiri Bibas.
  • Das Verwirrspiel der Hamas um die Leichen setzt beide Seiten unter psychologischen Druck.
  • Netanyahu drohte der Hamas mit Vergeltung für die Täuschung bei der Übergabe.
  • Am Freitag bestätigte das Rote Kreuz dann, dass die Hamas die Leiche von Schiri Bibas übergeben hat.
  • Explodierende Busse in Tel Aviver Vorstadt wecken Erinnerungen an die zweite Intifada.

Zwar fährt ein ganzes Land schon länger mit Schrecken seelisch Achterbahn, doch selbst an emotionalen Tiefpunkten kann es noch weiter steil bergab gehen: Fassungslos haben die Israelis am Freitagmorgen vernommen, dass von der Hamas tags zuvor eine falsche Leiche übergeben worden ist.

Schiri Bibas, am 7. Oktober 2023 zusammen mit ihren beiden kleinen Söhnen entführt, lag nicht in jenem Sarg, der in einer grotesken Propagandashow im Gazastreifen ausgestellt und dann nach Israel überführt worden war. Premier Benjamin Netanyahu reagierte darauf mit scharfen Drohungen. Offen blieb zunächst, wie sehr dieser Vorfall den Fortgang der Verhandlungen über den weiteren Geiselaustausch und ein Ende des Kriegs belasten wird.

Die Leichen von vermeintlich vier Geiseln waren am Donnerstag im Zuge der Vereinbarung über eine Waffenruhe in Khan Younis von der Hamas an Vertreter des Roten Kreuzes übergeben und anschliessend vom israelischen Militär in ein Forensik-Institut nahe Tel Aviv gebracht worden.

Palästinensische Militante tragen einen der vier Särge während der Übergabe der Leichen israelischer Geiseln an das Rote Kreuz in Khan Yunis, Gaza, am 20. Februar 2025. (Foto von Omar AL-QATTAA / AFP)

Bestätigt wurde dort die Identität von drei Entführten: des 83-jährigen Oded Lifshitz und der beiden Bibas-Söhne Ariel, der nur vier Jahre alt wurde, und Kfir, ein Baby von neun Monaten. Die Experten stellten auch fest, dass alle drei schon bald nach ihrer Verschleppung aus dem Kibbuz Nir Oz von ihren Entführern «brutal ermordet» worden seien. Die Forensiker widersprachen damit der Darstellung der Hamas, dass die toten Geiseln Opfer des israelischen Bombardements geworden seien.

Teil eines Psychokriegs? Die Hamas verneint

Rätselhaft bleibt jedoch die Identität der vierten übergebenen Leiche. Auch ein DNA-Vergleich mit allen anderen im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln ergab keinen Treffer. Vermutlich handelt es sich also um die sterblichen Überreste einer Palästinenserin. Der Schock über diese Aktion führte zur Vermutung, dass dies eine besonders bösartige Form des Psychokriegs der Terrortruppe sein könnte. Hamas-Vertreter versuchten sich jedoch am Freitag an anderen Erklärungen. Die sterblichen Überreste von Schiri Bibas hätten sich wohl nach einem israelischen Luftangriff unter den Trümmern mit anderen Leichen vermischt. Eigene Untersuchungen des Vorfalls wurden angekündigt.

In Israel entschieden die militärische und die politische Führung, der verworrenen Lage mit Entschlossenheit zu begegnen. Ein Armeesprecher sprach von einem «schwerwiegenden Verstoss» gegen die Waffenstillstandsvereinbarung, der zufolge vier tote Geiseln hätten übergeben werden müssen. Regierungschef Netanyahu drohte den «Hamas-Monstern» mit Vergeltung. «Wir werden mit aller Klarheit handeln, um Schiri zusammen mit allen anderen Geiseln – den lebenden wie den toten – nach Hause zu bringen, und wir werden sicherstellen, dass die Hamas den vollen Preis für diesen grausamen Verstoss gegen das Abkommen zahlt», sagte er in einer Videobotschaft.

Am Freitagmorgen blieb der Grenzübergang Kerem Shalom, über den Hilfsgüter aus Israel in den Gazastreifen gebracht werden, geschlossen. Ob weitere Massnahmen folgen, blieb unklar.

Am Freitagabend hat die Hamas nach eigenen Angaben nun die Leiche von Schiri Bibas an das Rote Kreuz übergeben. Dies bestätigte ein Funktionär der Organisation der Deutschen Presse-Agentur.

An diesem Samstag soll die Achterbahn der Emotionen eigentlich wieder eine Höhe erklimmen: Sechs Geiseln sollen freigelassen werden, von ihren Familien und dem ganzen Land sehnlichst erwartet. Das Forum der Angehörigen veröffentlichte eine Erklärung, in der die israelische Führung aufgefordert wird, «weise und verantwortungsvoll» zu agieren, um die Rückkehr der noch 70 in Gaza festgehaltenen Geiseln nicht zu gefährden.

Ein Sprengstoffanschlag wie in der zweiten Intifada

In jedem Fall dürfte der Vorfall eine Belastung sein für die Verhandlungen über eine zweite Phase des Abkommens, die nächste Woche beginnen und zu einem Ende des Kriegs führen sollen. Netanyahu hat die Leitung des israelischen Teams seinem Vertrauten Ron Dermer übergeben, Minister für Strategische Angelegenheiten. Ins Abseits gedrängt wurden damit offensichtlich die bisher federführenden Chefs der Geheimdienste Shin Bet und Mossad. Erwartet wird eine straffe Verhandlungsführung aus Washington. Der amerikanische Sondergesandte Steve Witkoff verkündete: «Wenn wir hart arbeiten, gibt es eine wirkliche Chance auf Erfolg.»

In all der Unruhe und Ungewissheit wurde überdies noch ein israelisches Trauma getriggert, als am Donnerstagabend in der Tel Aviver Vorstadt Bat Jam drei geparkte Busse explodierten. Zwei weitere Sprengsätze wurden Berichten zufolge in anderen Bussen gefunden. Verletzt wurde niemand, aber es rief den Schrecken der zweiten Intifada von 2000 bis 2005 wieder wach, als Busse wiederholt Ziel blutiger palästinensischer Anschläge wurden. Zur Tätersuche ordnete Netanyahu umgehend einen massiven Militäreinsatz im Westjordanland an. Im Schatten der Kämpfe um Gaza hat sich dort ohnehin längst ein zweiter Kriegsschauplatz entwickelt.