Tod von Hamas-ChefSinwar war ein beinharter Terrorist – und «Märtyrer» für viele Palästinenser
Er war der strategische Kopf der Terrororganisation. Die Welt von Yahya Sinwar war der Gazastreifen und das Gefängnis, sein Lebensinhalt der Kampf gegen Israel. Dabei wurde er nun getötet.
Lieber würden er und sein Volk als «Märtyrer» sterben, als der Demütigung durch den Feind nachzugeben, hatte Hamas-Führer Yahya Sinwar schon vor fünf Jahren gesagt. «Wir sind bereit zu sterben. Und Zehntausende sind bereit, es mit uns zu tun.»
Die Planung des für Israel desaströsen Überfalls am 7. Oktober 2023 der Palästinenser dürfte von Sinwar persönlich erdacht worden sein – zusammen mit den Militärführern der palästinensischen Extremisten. Nun, da die israelische Armee nach dem Massaker an Hunderten Zivilisten und dem Tod vieler Soldaten mit der grösstmöglichen Härte zurückgeschlagen hat, fehlt es nicht an neuen palästinensischen «Märtyrern».
Wobei die Mehrheit der angeblich so sterbewilligen palästinensischen Märtyrer wie immer Zivilisten, besonders Frauen und Kinder, waren und nicht die Hamas-Kämpfer oder Hamas-Führer. Für die Terroristen fand sich oft genug ein Bunker. Aber der Tod von Zivilisten spielte in den Kalkulationen Sinwars nie eine Rolle. Nun haben israelische Streitkräfte den meistgesuchten Mann der Terrororganisation getötet.
Sein Weg zum beinharten Terroristen
Die Lebensgeschichte und die politisch-militante Karriere des Hamas-Kopfes im Gazastreifen ist typisch für die radikalen Vertreter der palästinensischen Widerstands- und Terrorbewegung. Yahya Sinwar wurde 1962 geboren, wuchs auf in den ärmlichen Verhältnissen des Flüchtlingslagers Khan Younis. Der für die vereinten Araber katastrophale Sieg der Israelis im Sechstagekrieg von 1967 dürfte zu den allerfrühesten Erinnerungen des Mannes gehört haben.
Damals vertrieb die israelische Armee die Ägypter, die den Gazastreifen an der Grenze zum Sinai seit 1948 besetzt hielten. Erst 2005 zogen die Israelis sich zurück, nicht ohne das kleinere der damals zwei von Israel besetzten Palästinensergebiete von der Aussenwelt abzuschneiden, nachdem 2006 die Hamas dort die Macht übernommen hat: Einzig den Zufluss an Waffen und Kriegsmaterial konnten die Israelis nie stoppen.
Der mit inzwischen mehr als zwei Millionen Menschen völlig überbevölkerte Küstenstreifen am Mittelmeer und das israelische Gefängnis – das ist die Welt, die Sinwar kannte. Nachdem er an Gazas Islamischer Universität Arabisch studiert hatte, landete er mit 20 Jahren das erste Mal in einem israelischen Gefängnis. Er kam dort in Kontakt mit anderen Militanten und politisierte sich in der Weise, die in den Palästinensergebieten verbreitet ist: Er wurde zu einem beinharten Terroristen.
Mehr als zwei Jahrzehnte sass er hinter Gittern
Seine Hamas-Laufbahn begann er in den Sicherheitsdiensten der radikalislamischen Gruppe und bei den Qassam-Brigaden, der Militärorganisation. Der Weg führte nach oben, bis er 2017 im Geheimen zum Hamas-Führer im Gazastreifen gewählt wurde. Als Chef der Islamisten-Hochburg am Mittelmeer war Sinwar nun der zweitmächtigste Mann hinter Ismail Haniya – und stieg zum oberen Führer der Organisation auf, als Haniya im August in Teheran getötet wurde.
Insgesamt hat Sinwar 23 Jahre hinter Gittern verbracht. Für die Ermordung zweier israelischer Soldaten bekam er lebenslang, einen palästinensischen Gegner soll er davor eigenhändig umgebracht haben. Unerwartet frei kam der Hamas-Mann beim Austausch palästinensischer Gefangener gegen den entführten israelischen Gefreiten Gilad Shalit: Von den 1027 Freigelassenen war Sinwar der älteste und offenbar einer der wichtigsten.
Den folgenreichen Hamas-Angriff am 7. Oktober 2023 dürfte Sinwar gemeinsam mit Militärchef Mohammed Deif vorbereitet haben – dem geheimnisvollen Kommandanten der Qassam-Brigaden, der ebenfalls schon getötet worden ist.
Bisherige israelische Versuche zur Tötung von Sinwar waren immer gescheitert. Nach dem Terrorüberfall der Hamas auf unschuldige Zivilisten in Israel vor einem Jahr erklärte er öffentlich, er werde nun zu Fuss eine Stunde lang durch Gaza-Stadt laufen. Das israelische Militär sei eingeladen, ihn zu jagen. Um seine dreiste Kaltblütigkeit zu unterstreichen, machte er damals unterwegs mit Anwohnern jede Menge Selfies. Am Donnerstag wurde Sinwars Tod nun bestätigt. Nach einem Angriff im Süden des Gazastreifens ist sein Leichnam per DNA-Probe identifiziert worden.
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