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Apples Mine der Zukunft
Und dann packt der Roboter das iPhone und biegt es auf wie eine Sardinen­büchse

Wenn ich Apple besuche, geht es gewöhnlich darum, dass die Erfolgsfirma gerne noch mehr iPhones verkaufen würde. Heute nicht: Für einmal hätten sie lieber das Gegenteil: mehr iPhones zurück.

Für einmal führt mich mein Weg nicht in ein futuristisches Glasgebäude, sondern in ein unscheinbares Lagerhaus. Ich befinde mich in der holländischen Stadt Breda im Industriegebiet. Hier soll also dieser Roboter namens Daisy stehen, der iPhones auseinanderbaut.

2018 hat Apple diesen Roboter vorgestellt und seither immer wieder beworben. Höchste Zeit also, Daisy einen Besuch abzustatten. Denn Werbefilmchen sind meist das eine, die Realität ist dann etwas komplett anderes. Auch bei Daisy muss ich feststellen, ich hatte ein völlig falsches Bild davon.

Erst die Kontrolle, dann der Roboter

Erst einmal durch die Sicherheitskontrolle gelangt, stehe ich vor Daisy. Oder eher vor einer zwei Wohnzimmer grossen Maschine.

Da immer die Rede von einem Roboter war und der auch noch einen niedlichen Namen hat, habe ich mir etwas viel Kleineres vorgestellt. Eine Art lustiges Hobbyprojekt. Aber sicher keine so grosse Maschine, die von vier Menschen bedient wird – und ziemlich laut ist.

Im Prinzip, so wird mir schnell klar, ist Daisy eine Art vollautomatisches iPhone-Auseinanderbau-Förderband. Alles beginnt mit einem Trichter. Dort werden die iPhones eingefüllt.

Heute sind es lauter weisse iPhone 6 oder 6s Plus. Die Maschine erkennt die iPhones aber automatisch. Man könnte also auch einen wilden iPhone-Mix in den Trichter kippen. Einfach keine iPhone 15. Das neuste Modell kann Daisy nämlich noch nicht auseinandernehmen.

Daisy hat keine Probleme damit, iPhone-Modelle zu unterscheiden: Heute recycelt sie einen Haufen alter iPhone 6 oder 6s Plus.

Aber da die Maschine von 2018 inzwischen auch das iPhone 14 von 2022 auseinandernehmen kann, liegt es auf der Hand, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis auch das iPhone 15 in die Maschine darf. So kam ich aber immerhin nicht in Versuchung, mein iPhone 15 heimlich in den Trichter zu schmuggeln, um zu überprüfen, ob Daisy wirklich so schlau ist, wie Apple behauptet.

Aufbiegen, einfrieren und raushauen

Einmal in der Maschine, schnappt sich ein Roboterarm ein iPhone nach dem anderen, biegt es wie eine Sardinendose auf und entfernt das Display. Beim nächsten Arbeitsschritt wird der angeklebte Akku entfernt.

Anders als man es aus Reparaturanleitungen kennt, wird das iPhone nicht aufgewärmt, um den Leim wieder weich zu machen. Das iPhone wird schockgefrostet. Der Leim löst sich nämlich auch bei eiskalten Temperaturen. Dann wird das Gehäuse auf eine Kante geknallt – klingt so brutal, wie es aussieht – und der Akku fällt raus.

An der letzten Station werden noch die restlichen verschraubten Bauteile entfernt. Doch nicht etwa mit einem Schraubroboter. Nein, die Maschine bolzt die einzelnen Schrauben einfach raus. Zack! Zack! Zack! Und die letzten Bauteile purzeln aus dem Gehäuse und landen auf einem Förderband. Insgesamt 200 iPhones schafft Daisy pro Stunde.

Hin und wieder spickt ein Bauteil irgendwohin und landet zwischen den Greifarmen und Geräten. Hier ist beim Schichtwechsel die menschliche Putzkolonne gefragt. Putzen kann sich der Roboter nämlich noch nicht selbst.

Hier Kamerateile, da Lautsprecher

Neben dem Roboter stehen die einzelnen Tonnen mit den getrennten Einzelteilen. In einer liegen Lautsprecher, in einer Kameras, in der nächsten Display-Gläser, und dann gibt es noch je eine für Aluminiumrahmen und Stahlrahmen.

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Säuberlich abgetrennt: iPhone-Oberseiten.
iPhone-Rahmen aus Stahl.

Spannend ist zum Beispiel die Tonne mit den Vibramotoren der iPhones. In der Taptic Engine (so heisst das Bauteil) finden sich wegen der Magnete besonders viel Kobalt und seltene Erden. In den letzten Jahren hat Apple in immer mehr Geräten Magnete verbaut, die genau solche recycelten seltenen Erden enthalten.

Bei gröberen und ansonsten üblichen Recycling-Verfahren drohen genau solche besonders rare und wertvolle Metalle verloren zu gehen, wenn sie mit irgendwelchen anderen Metallen vermischt und eingeschmolzen werden.

Die Mine der Zukunft

So gesehen ist Apples Daisy eine Mine der Zukunft. Statt Steine aufzubrechen, um an wertvolle Materialien zu kommen, werden hier in Holland iPhones aufgebrochen.

Das leuchtet ein. Warum immer frische Materialien aufwendig aus der Erde holen, wenn man die bereits gewonnenen weiterverwenden kann. So ganz ohne die schrecklichen Nebenaspekte vieler Minenbetriebe wie Umweltverschmutzung, Gesundheitsrisiken und Kinderarbeit.

Wenn man sich die Tonnen mit den winzigen iPhone-Modulen anschaut, wird einem aber auch bewusst, was für eine Sisyphusarbeit es ist, aus diesen winzigen Teilen noch winzigere Teilchen zurückzugewinnen.

Erst wenn genug iPhones zusammenkommen, wird es spannend. Und genau da liegt das Problem. Daisy ist nicht ausgelastet. Zu wenige iPhones finden aktuell den Weg in den Trichter von Daisy.

Theoretisch würde sie 1,2 Millionen Geräte pro Jahr schaffen. Aber woran liegt es, dass die Maschine nicht ausgelastet ist? Einerseits daran, dass wir alle zu viele alte Smartphones zu Hause in den Schubladen haben. Schätzungen gehen allein für die Schweiz von 10 Millionen Stück aus.

Aber klar, wenn man ein neues Handy kauft, behält man das alte zur Sicherheit noch ein paar Tage, und daraus werden dann schnell Jahre. Andere behalten die alten Geräte aus Sentimentalität. Schliesslich waren sie ja mal ein Statussymbol, und man verbindet damit viele Erinnerungen.

Das Anreizproblem

Andererseits liegt es aber auch daran, dass es sich zu wenig lohnt, alte Smartphones zurückzugeben. Ja, Apple hat ein Austauschprogramm. Wenn man ein neues iPhone kauft, kann man das alte abgeben. Funktioniert es noch, bringt es Apple wieder unter die Leute. Lässt es sich nicht mehr retten, kommt es ins Recycling.

Wirtschaftsprofis würden hier nun von einem Anreizproblem sprechen. Kundinnen und Kunden haben wenig bis nichts davon, wenn sie Geräte zurückgeben. Und Firmen eben auch nicht. Ja, es hat in Smartphones ein bisschen Gold und andere wertvolle Materialien. Aber eben so wenig, dass es sich nicht lohnt, einzelne Smartphones zu verlockenden Preisen zurückzukaufen.

Genau hier hofft Apple, mit Daisy und der Forschung drum herum einen Schritt weiter zu kommen. Wenn man weiss, dass das eigene iPhone nicht irgendwo unsinnig auf einer Müllhalde endet, sondern sinnvoll wiederverwertet wird, ist das vielleicht schon Anreiz genug, mal einen Blick in die Handy-Schublade oder -Kiste zu werfen und etwas auszumisten.

«Wer ein neues iPhone kauft, kann sein altes bei uns abgeben»

Lohnt sich der Aufwand? Nachgefragt bei Frank Lenderink, Nachhaltigkeitsmanager bei Apple.

Wenn man Umweltschutz als Firma schlau betreibt, ist das doch nicht nur gut für die Umwelt, sondern auch das Unternehmen?

Es kann ein Win-win sein. Unser grosses Ziel ist es, bis 2030 komplett CO₂-neutral zu sein. Und da ist es entscheidend, dass wir immer mehr recycelte und wiederverwendbare Materialien nutzen und daher auch helfen, mehr Materialien zurückzugewinnen.

Lohnt sich das denn?

Wenn wir einen Blick in die Zukunft werfen, muss man nicht nur die finanziellen Aspekte beachten, sondern auch die Versorgungssicherheit. So gesehen ist ein Investment in Recycling nicht nur eine gute, sondern auch eine kluge Sache. Nachhaltigkeit und Geschäftsinteresse gehen hier Hand in Hand.

«Daisy ist kontinuierlich im Einsatz und wird ständig verbessert.»

Aber ein Gleichgewicht aus Aufwand und Ertrag ist noch nicht erreicht?

Meistens ist Recycling immer noch eine Investition. Schliesslich muss man Sachen einsammeln, transportieren. Und auch Innovationen wie Daisy, die wir von Grund auf selbst entwickelt haben, kosten Geld.

Aber das Gleichgewicht kann ja noch kommen?

Manche Recyclingprojekte werden auch in Zukunft kostspielig bleiben. Aber wir haben ja auch eine Verpflichtung gegenüber der Welt, das Richtige zu tun. Für uns bedeutet das zum Beispiel, weiter daran zu forschen, wie man Materialien noch besser zurückgewinnen kann, die aktuell verloren gehen oder nur schlecht gerettet werden können. Unser Ziel ist es, einen Materialkreislauf zu schaffen. 

Diese Maschine ist also nicht nur einfach ein Hobby oder Marketing-Trick, um etwas grüner auszusehen?

Nein, ganz sicher nicht. Daisy ist kontinuierlich im Einsatz und wird ständig verbessert. Heute kann Daisy 29 verschiedene iPhone-Modelle auseinandernehmen. Um unsere hohen Ziele für 2030 zu erreichen, ist es entscheidend, dass wir mehr Materialien aus recycelten Quellen beziehen können. Wir haben uns dabei zunächst auf 14, heute auf 15 Materialien fokussiert und arbeiten auch mit der Wissenschaft zusammen. Wir hoffen zudem, andere Firmen dazu zu inspirieren, mitzuziehen.

Trotzdem steht hier nur eine Daisy. Warum sind da nicht mehr, wenn es so wichtig ist?

In Texas haben wir noch eine zweite. Aber ja, Daisy könnte noch mehr iPhones auseinandernehmen, als wir derzeit zur Verfügung haben. 

Wieso das?

Viele iPhones liegen zu Hause in Schubladen. Dabei wäre es wichtig, dass funktionstüchtige Geräte weiter genutzt werden können und, wenn sie dann irgendwann gar nicht mehr funktionieren, ins Recycling gehen. Um einen funktionierenden Materialkreislauf hinzubekommen, müssen wir alle Lücken schliessen. Das gelingt nicht, wenn Geräte irgendwo rumliegen.

Wie kann ich denn dafür sorgen, dass mein altes iPhone zu Daisy kommt?

Wir haben ein Eintauschprogramm. Wer ein neues iPhone kauft, kann sein altes bei uns abgeben. Ist es noch funktionsfähig, erhalten Kunden eine Gutschrift und Apple schaut, dass das Gerät weiter genutzt werden kann. Ist es defekt, recyceln wir das Gerät kostenfrei.