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Ricardo und Tutti boomen
Schweizer verkaufen alte Sachen lieber, als sie wegzuwerfen

Lieferengpässe und steigende Preise haben die Nachfrage nach gebrauchter Elektronik erhöht: Ein Techniker bereitet bei Revendo ein Smartphone für den Wiederverkauf vor.
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Nahrungsmittel retten mittels Smartphone. Ein gebrauchtes Tablet oder Vintage-Möbel online kaufen – für fast alle Produktkategorien findet sich eine Plattform, auf der man günstig Gebrauchtes erwerben kann. 
Secondhandware ist nicht mehr nur etwas für Sparfüchse. Ein grosser Anteil der Schweizer Bevölkerung nutzt mittlerweile solch einschlägige Plattformen.  

Zu den bekanntesten gehören die Auktionsplattform Ricardo, die An- und Verkaufsseite Tutti.ch (beide gehören wie diese Redaktion zur TX Group) oder für das Vermeiden von Food-Waste bei den Grosshändlern die App Too Good to Go. Und auch in den sozialen Medien, wie Telegram oder dem Facebook-Marketplace, werden Secondhandwaren von Privaten vertrieben. 

All diese Angebote sind in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Ricardo hat die Anzahl Nutzerinnen und Nutzer seit 2019 von 1,25 Millionen auf 1,55 Millionen gesteigert. Tutti.ch verzeichnete letztes Jahr 168 Millionen Besuche auf ihrer Seite, 9 Millionen mehr als im ersten Corona-Jahr. 

Frische Lebensmittel erhalten «zweites Leben» 

Nicht nur bei den grossen Plattformen werden mehr Nutzer verzeichnet, auch kleinere Plattformen wachsen stetig, wie die Anti-Food-Waste-App Too Good to Go: Letztes Jahr wurden 2,5 Millionen Mahlzeiten vor dem Kübel gerettet – fast ein Fünftel mehr als im Vorjahr. Nutzerinnen können dort von Detailhändlern, wie Migros und Coop, aber auch von Restaurants und Bäckereien Esswaren zu einem günstigeren Preis beziehen, die sonst im Abfall landen würden.  

Auch das Portal verkaufen.ch ist vergangenes Jahr stark gewachsen und verzeichnete einen Drittel mehr Nutzerinnen. «Insgesamt gingen im letzten Jahr die Handys, Tablets, Laptops und Smartwatches von rund 100’000 Personen durch unsere Hände. Das ist ein neuer Rekord für uns», sagt Co-Chef Thomas Huth.

Bei Revendo, das ebenfalls gebrauchte Handys, Tablets und Computer ankauft und wieder auf Vordermann für den Weiterverkauf bringt, ist vergangenes Jahr fast ein Drittel mehr gebrauchte, also sogenannte Reuse-Ware, verkauft worden. Auch die Anzahl Kunden ist um 30 Prozent auf 250’000 registrierte Nutzer gestiegen. Gründer Aurel Greiner sagt, unter anderem seien auch Probleme bei den Lieferketten ein Grund für das starke Nutzerwachstum: «Wegen der Lieferengpässe und auch der steigenden Produktpreise haben wir deutlich mehr verkauft.»

Drei Millionen alte Handys liegen ungenutzt herum

Hinter der wachsenden Popularität der Plattformen stehen laut der Wirtschaftsprofessorin Johanna Gollnhofer von der Universität St. Gallen aber noch andere Faktoren. «Klar, man hat weniger Geld in der Tasche, gleichzeitig haben Nachhaltigkeit und Bewusstsein über den Einsatz von Ressourcen deutlich zugenommen – ein anderer Faktor ist die Digitalisierung, die diese ‹Sharing›- und ‹Matching›-Wirtschaft überhaupt erst ermöglicht.»

Das sogenannte digitale Matching spiele da eine grosse Rolle: «Tauschbörsen oder auch Too Good to Go würden sonst nicht funktionieren.» Durch die digitalen Plattformen wird so ein Match zwischen Anbieter und Nachfrager geschaffen. 

Nachhaltigkeit sei für Kunden sicher ein Thema: «In der Sharing- und Reuse-Wirtschaft hat man zwei Zielgruppen, die sich teilweise überlappen: solche, die es nutzen, um Geld einzusparen, und solche, die aus ökologischen Gründen ein paar Kilometer mehr mit dem Velo fahren, um Lebensmittel vor der Verschwendung zu retten.»

Eine Studie der ZHAW in Zürich ergab 2022, dass 40 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer zu Hause ein Smartphone herumliegen haben, das sie nicht brauchen, welches für den Weiterverkauf tauglich wäre. Das sind etwa drei Millionen Handys. Bei anderen Elektrogeräten ist die Anzahl etwas tiefer, doch immer noch beträchtlich hoch: 36 Prozent haben eine Fotokamera, 27 Prozent Laptops und Tablets und 25 Prozent intakte Videospiele und Konsolen daheim.

Viele behalten alte Geräte für den Fall auf, dass die Neuanschaffung den Geist aufgibt: Blick in einem Revendo-Laden in Basel.

Bei Revendo lässt sich deshalb die grosse Nachfrage nicht vollständig decken: «Wir kommen mit der Beschaffung von gebrauchten Geräten kaum nach», so Greiner. Es sei ein grosses Problem, an Geräte zu kommen: «Man kennt das Kaufen, sachgerechte Entsorgen, aber die Hürde, elektronische Geräte weiterzuverkaufen, ist bei den Kundinnen gross. Das hat wohl teilweise mit Faulheit zu tun, aber auch mit einem gewissen Sicherheitsbedürfnis.» Nutzer würden oft alte Smartphones aufbewahren für den Fall, dass ihr aktuelles Gerät den Geist aufgebe.  

Hohe Umweltbelastung durch Handyproduktion

Die ZHAW hat ebenfalls untersucht, wie umweltschädlich die Herstellung von Smartphones ist: 77 Prozent der Umweltbelastung entstehen bei der Produktion, die Nutzung mit Datentransfer und Strombedarf macht nur knapp ein Viertel aus. Je mehr und je häufiger also neue Geräte gekauft werden, desto grösser sind die negativen Folgen für die Umwelt. Würden Schweizer Jugendliche ihr Handy ein Jahr länger als bisher nutzen, könnte laut Studie die Umweltbelastung um ein Viertel reduziert werden. Im Schnitt wird ein Handy nach zwei bis drei Jahren ausgewechselt. 

«Es fällt vielen nicht leicht, ihre Sachen wegzugeben, weil sie eine Bindung zu den Gegenständen aufgebaut haben.»

Johanna Gollnhofer, Wirtschaftsprofessorin

Dass Konsumenten zu Hause Elektrogeräte horten, sieht Gollnhofer als grosse Herausforderung: «Oft ist das Problem, dass viele zwar versuchen, ihre alten Handys zu verkaufen, sie aber zu teuer ins Netz stellen und sie nicht wegkriegen.» 

Die meisten Schweizerinnen und Schweizer haben zu Hause ein altes Handy, das sie horten. Ein Weiterverkauf wäre nicht nur nachhaltig, sondern auch lukrativ. 

Menschen tun sich oft grundsätzlich schwer beim Ausmisten ihrer alten Ware: «Es fällt vielen nicht leicht, ihre Sachen wegzugeben, weil sie eine Bindung zu den Gegenständen aufgebaut haben», so die Wirtschaftsprofessorin. Werfe man etwas weg, komme da auch die «grüne Seele» hervor: «Man weiss genau, dass man Ressourcen verschwendet. Darum verschenken viele ihre Sachen an Freunde oder innerhalb der Familie weiter, weil sie dann guten Gewissens davon ausgehen, dass jemand anderes daran noch Freude hat und es weiterhin Verwendung findet.»