Rettung für die StahlbrancheIndustriepolitik wird salonfähig
Die Schweiz soll metallverarbeitende Betriebe unterstützen, damit sie gegen die europäische Konkurrenz nicht untergeht: Das entschied der Ständerat überaus deutlich. Im Nationalrat wird es jetzt knapp.
Seit Menschengedenken gilt in der Schweiz die unumstössliche Regel, von den Bürgerlichen stets durch alle Instanzen verteidigt: Industriepolitik ist des Teufels. Der Staat mag die Landwirtschaft unterstützen oder den Tourismus, notfalls auch die Banken, aber unter gar keinen Umständen die Industrie – denn das verzerre nur den Wettbewerb.
Versorgungsengpässe und explodierende Energiepreise seit der Pandemie und dem Ukraine-Krieg haben jetzt die Kehrtwende gebracht. Auch viele Bürgerliche stimmten im Ständerat einer Motion zu, die verlangt, dass der Bund der Stahl- und Aluminiumindustrie unter die Arme greift.
Ungleiches Duo reichte Vorstösse ein
Die Motion «zur Sicherung des Produktions- und Recyclingstandorts Schweiz» stammt vom Solothurner Sozialdemokraten Roberto Zanetti und kommt am Donnerstag in den Nationalrat. Dort hat die Thurgauerin Diana Gutjahr einen gleichlautenden Vorstoss eingereicht.
Nun ist Gutjahr nicht Mitglied der SP, sondern der SVP – und als Mitinhaberin eines Metallbaubetriebs aus Romanshorn sowie Präsidentin des Branchenverbands Metal Suisse vom Fach. Sie sagt, es gehe nicht um Parteipolitik, sondern um die Frage: «Wollen wir weiterhin eine Industrie in der Schweiz, oder nur Banken und Versicherungen?»
In der EU würden Hunderte von Millionen oder gar Milliarden Euro in die Stahlindustrie gebuttert, sagt Gutjahr weiter. Es sei deshalb an der Politik, gleich lange Spiesse zu schaffen. «Wenn wir es dem Markt überlassen, dann wird er es so regeln, dass die Firmen das Land verlassen.» Dann aber gingen nicht nur 20’000 Arbeitsplätze in den Stahl- und Aluminiumfabriken sowie Giessereien verloren, sondern insgesamt rund 100’000 entlang der ganzen Wertschöpfungskette.
Zudem: Würden die beiden noch verbliebenen Stahlwerke – jenes im solothurnischen Gerlafingen und Swiss Steel in Emmenbrücke bei Luzern – keinen Schrott mehr zu Stahl verarbeiten, müsste das, was in der Schweiz anfällt, ins Ausland exportiert und Hunderttausende Tonnen zu Stahl verarbeiteter Schrott wieder importiert werden. Dazu bräuchte es 250’000 zusätzliche Strassentransporte, rechnet Gutjahr vor: «Ein ökologischer und ökonomischer Wahnsinn.»
«Ohne Stahl könnten wir keine Tunnel mehr bauen und den Ausbau der Autobahn vergessen.»
Noch wichtiger sei die Versorgungssicherheit, sekundiert Metal-Suisse-Geschäftsführer Andreas Steffes. Die Bauindustrie, der Maschinenbau sowie die Infrastrukturen seien auf Stahl angewiesen. «Ohne könnten wir keine Tunnel mehr bauen und den sechsspurigen Ausbau der Autobahn vergessen.»
Wegen der anhaltend hohen Strompreise hat die Branche tatsächlich Probleme. Kleinere metallverarbeitende Betriebe wie die Sinterwerke in Grenchen oder Benteler in Rothrist mussten kürzlich schliessen. Swiss Steel hat diese Woche mitgeteilt, dass der erwartete Gewinn nicht erreicht werden könne. Ob es überhaupt einen geben wird, sagte das Unternehmen nicht. Beide Stahlwerke mussten Kurzarbeit beantragen.
Gefordert sind befristete Massnahmen
Wie genau ihnen geholfen werden soll, lassen Gutjahr und Zanetti offen. «Sicher nicht mit Subventionen, sondern mit befristeten Massnahmen», erklärt die SVP-Nationalrätin. Beispielsweise könnte den Betrieben der Netzzuschlag temporär erlassen werden. Oder man könnte sie für einen Monat stilllegen und für diese Zeit, in der keine Energie verbraucht würde, entschädigen, schlägt Zanetti vor. Das käme billiger als die Entschädigung für die Wasserkraftreserve, die in den Speicherseen im Hinblick auf eine Mangellage zurückgehalten wird.
Freuen würde das nicht zuletzt die Besitzer der Stahlwerke. Zu den Aktionären von Swiss Steel gehören neben dem Amag-Erben Martin Haefner der russische Oligarch Viktor Vekselberg sowie der ehemalige Thurgauer SVP-Nationalrat Peter Spuhler. Die Stahl Gerlafingen wiederum gehört der italienischen Beltrame-Gruppe.
«Es geht um ökonomische und ökologische Landesverteidigung.»
Im Ständerat war davon nicht die Rede, dafür aber von der Bedeutung der Branche für das Land. «Es geht um ökonomische und ökologische Landesverteidigung», sagte der ehemalige Gemeindepräsident von Gerlafingen, der das dortige Werk bereits vor einem Vierteljahrhundert vor dem Untergang gerettet hatte. Wettbewerbspolitisch handle es sich um eine Notwehrsituation, «in der man auch über diesen ideologischen Schützengraben springen sollte».
Den Ständerat hat Zanetti überzeugt: Mit schon fast sensationell anmutenden 35 gegen 5 Stimmen hiess die kleine Kammer die Motion gut, obwohl Wirtschaftsminister Guy Parmelin eindringlich davor gewarnt hatte, weil dann andere Branchen folgen und Staatshilfe fordern würden.
Im Nationalrat wird es spannend
Im Nationalrat wird es deutlich schwieriger werden. Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben beantragt mit 15 zu 8 Stimmen ein Nein. Zwar haben Mitglieder sämtlicher Fraktionen den Vorstoss von Diana Gutjahr unterzeichnet, darunter Mitte-Präsident Gerhard Pfister, GLP-Präsident Jürg Grossen, SP-Präsident Cédric Wermuth und Gewerbeverbands-Präsident Fabio Regazzi.
Letzterer scheint seine Meinung allerdings inzwischen geändert zu haben: Regazzi führt die ablehnende Kommissionsmehrheit als Sprecher an. Vielleicht hat er sich als Nationalrat der Mitte-Partei daran erinnert, dass Industriepolitik für bürgerliche Politiker des Teufels ist.
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