Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Klimaneutrale Stahlindustrie
Nun endet die Ära der Hochöfen

Eine Anlage, die ihre Umgebung prägt: Das Thyssenkrupp-Stahlwerk Schwelgern in Duisburg.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Man gebe Eisenerz und Kohle in den Hochofen und erhalte flüssiges Eisen, aus dem Stahl gemacht werden kann. Während Jahrhunderten funktionierte die Verhüttung von Erz nach diesem Rezept, Stahl wurde zum wichtigsten Werkstoff, weit vor den Kunststoffen. Doch künftig fehlt eine entscheidende Zutat, wenn aus Gründen des Klimaschutzes der Abbau von Kohle eingestellt wird. Für den Hochofen ist Kohle, genau gesagt Koks, mehr als nur ein Brennstoff; Kohlenstoff spielt als chemisches Element die Hauptrolle in dem Prozess und kann nicht einfach ersetzt werden.

Hochöfen mit ihren riesigen vor- und nachgelagerten Fabrikkomplexen sind landschaftsprägend. In den nächsten drei Jahrzehnten sollen sie aber durch neue Anlagen ersetzt werden. Ziel ist es, die CO₂-Belastung durch die Stahlproduktion schrittweise auf fast null zu reduzieren. Weltweit verursacht die Stahlherstellung heute 8 Prozent der CO₂-Belastung und ist damit eine wichtige Grösse in der Klimadiskussion. Der Sektor Eisen- und Stahlproduktion ist für ebenso viel CO₂ verantwortlich wie der gesamte Güterverkehr auf den Strassen der Welt.

Für die Erzeugung von Stahl gibt es zwei Wege: die sogenannte Hochofenroute und die Elektrolichtofenroute. Im Hochofen wird unter Einsatz von Koks oder Erdgas aus Eisenerz rohes Eisen erzeugt, im Elektroofen wird Schrott aufgeschmolzen. Neu kommt nun die Wasserstoffroute dazu, die ohne fossile Stoffe funktioniert. Das Eisenerz, wie es aus dem Bergwerk kommt, ist chemisch ein Eisenoxid. Damit reines Eisen entsteht, muss der Sauerstoff entfernt werden, das heisst, es findet ein Reduktionsprozess statt.

Im Hochofen wird der Sauerstoff an Kohlenstoff gebunden. Dieser stammt vom Koks (in der Kokerei erzeugt aus Kohle) oder vom Erdgas. Dabei entsteht viel Kohlendioxid (CO₂) – genau das muss vermieden werden. Wird als Reduktionsmittel Wasserstoff verwendet, bildet sich aus dem Sauerstoff (O) und dem Wasserstoff (H) Wasser, der Kohlenstoff ist nicht mehr im Spiel. Das heisse Wasser kann weiter genutzt werden.

Eisenschwamm statt Flüssigeisen

Am Anfang der Umstellung steht ein neues Verfahren für die Trennung von Eisen und Sauerstoff, die sogenannte Direktreduktion. Im Gegensatz zum konventionellen Hochofen wird das Erz nicht aufgeschmolzen, sondern bleibt fest. Es wird in Form von Pellets in die Anlage gegeben. Dort findet der Kontakt mit dem Reduktionsmittel statt; zunächst ist das noch Erdgas, später immer mehr reiner Wasserstoff, die Kokerei, die aus Kohle Koks herstellt, wird überflüssig. Das Produkt der Direktreduktion ist nicht flüssiges Eisen, sondern ein fester sogenannter Eisenschwamm, der anschliessend im Elektrolichtbogenofen verflüssigt wird. Da für die Direktreduktion sowohl Erdgas wie auch Wasserstoff verwendet werden kann, gilt sie als Brückentechnologie für einen stufenweisen Übergang vom Erdgas zum fossilfreien Wasserstoff.

Die Krux der fossilfreien Stahlproduktion: Es werden enorme Mengen von Wasserstoff benötigt, die CO2-frei hergestellt werden müssen. Möglich wird das nur sein, wenn in grossem Stil CO₂-freier Strom aus grünen Quellen verfügbar ist, um die Elektrolyseanlagen zu versorgen, die den Wasserstoff erzeugen. Ein Stahlwerk wie etwa die deutsche Salzgitter AG benötigt für die vollständige Dekarbonisierung eine elektrische Leistung von 1700 Megawatt, eine einzelne Windkraftanlage liefert zwischen 2 und 5 Megawatt. Der spanische Energiekonzern Iberdrola sieht grosse Chancen für den Absatz von grünem Wasserstoff für die Stahlindustrie und will für mehr als zwei Milliarden Euro ein Wasserstoffwerk von 1000 Megawatt Leistung bauen.

Der eigentliche Prozess der Stahlherstellung lässt sich in absehbarer Zukunft CO₂-arm oder klimaneutral durchführen. Wie und zu welchen Preisen aber die grüne Energie für die nötige Wasserstoffproduktion beschafft werden kann, ist vorerst unklar. Die Kosten für den Wasserstoff sind heute noch zu hoch für die Stahlindustrie, die alte Hochofenroute wird noch lange konkurrenzlos sein.

Fossilfreier Schwedenstahl

An Verbesserungen der heutigen Technik und an neuen Verfahren arbeiten derzeit alle Stahlhersteller. Ebenso intensiv wird bei den Anbietern von Elektrolyseanlagen geforscht und entwickelt, wobei auch Schweizer Know-how mitspielt. Die Firma IHT in Monthey baut seit 70 Jahren Elektrolyseapparate; sie gehört heute zu Sunfire, einem jungen deutschen Unternehmen, das an zahlreichen Pionierprojekten beteiligt ist.

Eine erste kleine Charge von «fossilfreiem» Stahl wurde im August vom schwedischen Stahlhersteller SSAB an Volvo geliefert. Das Stahlwerk hat zusammen mit dem Bergbaukonzern LKAB und dem Energiekonzern Vattenfall seit 2016 an der Technik gearbeitet, Pellets, Strom und Wasserstoff ohne Rückgriff auf fossile Quellen zu kombinieren. 2026 soll der fossilfreie Schwedenstahl auf den Markt kommen. Bedingung sei laut Vattenfall, «dass Genehmigungsverfahren für den Ausbau des Stromnetzes und der Stromerzeugung schneller und einfacher werden».

Neustes Teilprojekt in Schweden ist der Bau eines Speichers für fossilfreien Wasserstoff. Dessen Verfügbarkeit entscheidet darüber, ob die Stahlindustrie ihre CO₂-Ziele erreichen kann. Der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft, an der unter anderem auch Autohersteller interessiert sind, ist nicht einfach. «Die besonderen chemischen und physikalischen Eigenschaften des Wasserstoffs erfordern neue Überwachungsverfahren, um die Sicherheit der Anlagen auf hohem Niveau zu gewährleisten», schreibt etwa der Stahlhersteller Salzgitter. Es brauche Messmethoden, Bewertungskriterien und technische Normen. An das Material werden hohe Anforderungen gestellt, Wasserstoff kann zum Beispiel zur Versprödung führen, mit ähnlichen Effekten wie die Korrosion. Und ein Leck im Wasserstoffsystem wäre sehr gefährlich.

In der Schweiz wird rezykliert

Hierzulande gibt es keine Hochöfen. In den beiden Stahlwerken Gerlafingen und Emmenbrücke wird in Elektrolichtbogenöfen ausschliesslich Schrott verarbeitet. Dabei entsteht etwa siebenmal weniger CO₂ als bei der Hochofenroute. «Die Herausforderung einer Dekarbonisierung ist beim Recyclingstahl deutlich kleiner», betont man bei Stahl Gerlafingen. Der grosse Aufwand bei der Erzeugung von Primärstahl dürfte zu höheren Preisen führen, was im Konkurrenzverhältnis dem Recyclingstahl zugutekommt. Der Schweizer Strommix ist deutlich CO₂-ärmer als der EU-Strom; wünsche ein Kunde Stahl, der mit speziell CO₂-armem oder grünem Strom hergestellt werde, könnten dies die Schweizer Stahlwerke gegen einen entsprechenden Preisaufschlag ebenfalls liefern.

Als Ausgangsmaterial dient vor allem Altmetall: Produktion im Stahlwerk Gerlafingen.

Die Schweizer Recyclingstahlwerke investieren Millionen in effizientere Anlagen, die Erdgas und damit CO₂ einsparen. Probleme bereiten der Branche nicht die technischen Herausforderungen, sondern die wirtschaftspolitischen Randbedingungen. Ausländische Konkurrenten profitieren von Fördermassnahmen und Krediten. Die Schweizer Stahlwerke fühlen sich benachteiligt. Dabei leiste man mit dem Recycling des anfallenden Schrotts im Inland einen wichtigen Beitrag zu einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft, betont etwa das Stahlwerk Gerlafingen.

Newsletter
Celsius
Erhalten Sie die wichtigsten Hintergründe und Analysen rund um Klima und Wetter.

Weitere Newsletter